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dem Morgenland auf ihren Kamelen wurden in
der Ferne schon sichtbar, bis sie dann am
Erscheinungsfest (6. Januar, Dreikönigstag) vor
der Krippe knieten und dem Kindlein ihre
Gaben opferten. Aus der Höhe glänzte der
Stern, der ihnen den Weg wies. Man änderte
die Figuren je nach dem Datum der Ereignisse,
sodass es immer Veränderungen an der Krippe
gab; sie blieb wochenlang aufgebaut und fand
täglich ihre Bewunderer; vielleicht weniger die
im Schulhaus als das zweite Exemplar, das es in
Schramberg noch gab. Dasselbe war Eigentum
des Seifensieders Haas, gegenüber dem Hirsch.
(Gewiss erinnern sich die Altersgenossen noch
des Besitzers unter dem Übernamen „Seifen-
schnackel"). Vor dieser Krippe, die wohl noch
größer war als die Schulkrippe, bin ich auch oft
in Bewunderung und Andacht versunken
gestanden. Sie ging später an Zimmermann Alle
über; wo mag sie jetzt sein? - Die schönsten
Krippli-Mali machte ein armer Mann namens
Hatschierli; man sah ihn ab und zu in Schramberg
auf den Strassen, doch hieß es, er wohne
in einer Höhle auf der Hochsteige. Das war uns
sehr interessant und wir suchten dieselbe oft,
fanden sie aber nie.
Diejenigen Schülerinnen, deren Eltern
dem Herrn Lehrer eine Aufmerksamkeit
erweisen wollten, brachten Gaben verschiedener
Art
Nach den Weihnachtsferien begann am 2.
Januar die Schule wieder. Diejenigen Schülerinnen
, deren Eltern dem Herrn Lehrer eine
Aufmerksamkeit erweisen wollten, brachten
Gaben verschiedener Art und ordneten sie
auf dem Tisch vor der Wandtafel so vorteilhaft
als möglich. Die Gabe meiner Eltern
bestand einst aus einer großen „Butter-Balle",
die mich dummes Kind viel zu prosaisch
dünkte und ob der ich mich genierte. Als Lehrer
Waller mit kritischem Blick alles übersah,
die bunten Taschentücher, die Schnupftabak-
Päckchen und anderes und befahl: „Eine jede
trage das, was sie gebracht hat, in meine Wohnung
hinüber", da ging ich als Letzte ganz zaghaft
mit der Butter hintendrein. Aber plötzlich
ertönte die Stimme des Herrn Lehrers:
„Junghansige, du bisch die Gscheidt'st
gwese." Da wurde mir ganz wohl unterm
Brusttuch!
Ferien
Die Hauptferien waren zu jener Zeit noch wie
heutzutage in ländlichen Gemeinden zur Zeit
der Heidelbeerreife - Heidelbeervakanz - und
im Herbst zur Kartoffelernte - Erdäpfelvakanz.
Vor Beginn der Ferien schrieb der Herr Lehrer
die Aufgaben für diese Zeit an die Wandtafel
zum Abschreiben und am Schluss stand jedes
Mal: „Hundert Äpfel- und hundert Birnenkerne
". Lehrer Waller hatte eine Baumschule hinter
der katholischen Kirche neben und zum
Teil auf dem alten Kirchhof und wir mussten
ihm auf diese Weise den Samen zu derselben
liefern. Damals lernte ich Äpfel- und Birnenkerne
unterscheiden, ohne die Frucht zu
sehen. Ob wir alle treulich je 100 Kerne brachten
, weiß ich nicht, glaube auch nicht, dass er
sie zählte, aber jedenfalls gab uns diese Aufgabe
den willkommenen Anlass, zuweilen dem
„Hennevögeli" einen Besuch abzustatten.
Originale: Das Hennevögeli,
der Seeburger
Das war ein zwerghaftes Weiblein mit ganz
rundem Kopf und merkwürdigem Gesicht mit
großen, einen anstarrenden Augen, das einen
Obsthandel hatte. Der Laden war in der hinteren
Gasse in der Nähe der Apotheke und
bestand nur aus einer Kammer, in welcher
Hennevögeiis Bett stand. Die gefüllten Körbe
und Säcke standen teils auf Schrannen
[Bänke, s.o.], teils auf dem Boden und man
durfte selbst auswählen, was man wollte, wenigstens
durften das die Günstlinge des Weibleins
tun. Da bekam man noch um einen Kreuzer
, einen Groschen etwas Rechtes und besaß
man gar einen Sechser, so dünkte man sich
reich. Wenn man an der Haus- oder an der
Ladentüre die Glocke zog, so erschien das
Hennevögeli aus einer Türe im Hintergrund
des Hausgangs und heute noch steht es mir
vor Augen, wie es gebückt, die Arme um den
Bauch geschlungen, als müsste es ihn vor dem
Platzen bewahren, mit einer Jammermiene
und im Klageton sagte: „I han so's Grimme
ghett, i han müesse en Schluck Chriesewasser
[Kirschwasser] nemme". Offenbar fürchtete
das Weiblein, wir Kinder möchten ihm das
Chriesewasser anriechen. - Oberhalb des
„Engels" im sogenannten Flecken, gab's noch
einen Obsthändler Zäberli, aber wir bevor-
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