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Wilhelm Weiss in Schramberg, um i960
seinen Kindern Rumänien und fuhr mit dem
Auto in Richtung Wien. Auf abenteuerlichen
Wegen - das Land war bereits von der sowjetischen
Armee besetzt - folgte ihm dorthin
etwas später seine Frau nach. Zum Zeitpunkt
von Wilhelms Flucht hatte sie sich noch in
Bukarest aufgehalten. Nun musste sie sich
allein unter Kriegsbedingungen auf einem langen
Weg von Bukarest nach Wien durchschlagen
. Wilhelm Weiss musste in Bukarest nicht
nur das besonders in den Kriegsjahren florierende
Fotogeschäft samt Inventar und Fotografenausstattung
sondern auch ein umfangreiches
Archiv fotografischer Platten (meist
18/24-Format), also sein gesamtes Lebenswerk,
zurücklassen. Nachdem die russische Armee
weiter bis in die Nähe der ehemaligen österreichischen
Grenze vorgerückt war, verließ die
Familie Weiss Wien in Richtung Schramberg.
Hier wurde sie in der Schillerstraße 49 im großelterlichen
Haus von Elisabeth Weiss, geborene
Faist, seßhaft.
Neubeginn in Schramberg
Als der Krieg 1945 zu Ende ging, war Wilhelm
Weiss 52 Jahre alt. Er wollte wieder in seinem
Beruf als Fotograf arbeiten. Das von Carl Faist
1875 gegründete Fotostudio in der Berneckstraße
14 war verwaist. Carl Faist jr., der Cousin
von Elisabeth Weiss, der es vom Vater übernommen
hatte, war noch nicht von seinem
Kriegseinsatz zurückgekehrt. Weiss wollte
daher dessen Geschäft bis zur Rückkehr des
Kriegsteilnehmers weiterführen. Aber Carl
Faist jr. blieb vermisst. Seine Witwe Elisabeth
verpachtete schließlich 1947 das Geschäft an
Wilhelm Weiss. So wurde in der Berneckstraße
aus dem „Foto-Studio Faist" das Geschäft „Foto-
Weiss".
Der aus Rumänien zugezogene Fotograf hatte
reichlich zu tun. In den ersten Nachkriegsjahren
waren unter den Kunden auch viele französische
Besatzungssoldaten. Die Angebotspalette
umfasste neben den klassischen
fotografischen Dienstleistungen Aufträge vor
Ort (überwiegend Außenaufnahmen), viele
Werbeaufnahmen, Studioaufnahmen, insbesondere
Kinderserien, Porträts und Postkarten, die
er in einem Eigenverlag vertrieb. Zahlreiche
Aufnahmen zeugen heute noch von seinen vielfältigen
Arbeitseinsätzen. Nicht nur in Schramberg
, auch in den umliegenden Gemeinden
war Wilhelm Weiss ein gern gesehener Fotograf
.
Im Atelier und bei Gruppenaufnahmen wurde
die schwere „Reisekamera" eingesetzt, die zum
Inventar des gepachteten Geschäftes gehörte.
Seine Lieblingskameras jedoch waren eine
Kleinbildkamera Leica III s (3 s) und eine Mittelformatkamera
Rolleiflex (T 3,5), mit denen er
eine Vielzahl an Aufnahmen machte. Auch bei
seinen bekannten lebendigen Kinderserien
kamen sie zum Einsatz.5
Gerne ging Wilhelm Weiss nach getaner Arbeit
zum Stammtisch ins „Bruckbeck", wo er als
geselliger und amüsanter Unterhalter immer
willkommen war.
Als die Ehefrau Elisabeth 1950 schwer erkrankte
, versuchten die Kinder Walter und Hildegard
neben ihrer Berufsausbildung die Eltern
zu entlasten. Den letzten Fotografenlehrling,
den Wilhelm Weiss in den 1950er Jahren ausbildete
, war Marianne Faist, die Tochter des im
Zweiten Weltkrieg verschollenen Carl Faist. Sie
ist um 1961 mit ihrer Mutter aus Schramberg
weggezogen und war danach noch in Frankfurt
in ihrem erlernten Beruf tätig. Wilhelm Weiss
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