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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/kraez_36/0022
»Liebe Gemeinde,

wir sind hier zu einer Abschiedsfeier versammelt
. Jeder Abschied hat etwas Wehmütiges an
sich.

Wohl handelt es sich in diesem Fall nicht um
den Abschied von Menschen, die uns lieb sind,
sondern um den Abschied von unseren Kirchenglocken
. Aber unsere Glocken sindfür uns nicht
bloß ein Stück Metall, etwas Totes und Lebloses,
sondern sie haben gewissermaßen etwas Persönliches
an sich. Es hat einer so schön gesagt:
.Glocken haben eine Seele. Wie sind sie dazu
gekommen? Zu lange schon haben sie teilgenommen
an allen menschlichen Freuden und
Leiden, an all dem Größten und Tiefsten, was
Menschenseele nur tragen kann1.
So haben auch unsere Glocken seit beinahe 20
Jahren an unserer Freude und an unserem Leid
teilgenommen, sie haben mit uns gejubelt und
mit uns getrauert; und darum, möchte ich
sagen, verbindet uns ein inneres Band mit
unseren Glocken. Nur darum fällt uns heute,
da wir uns von ihnen trennen müssen, der
Abschied nicht leicht, wie man sich von einem
langjährigen Freunde nicht leichten Herzens
trennt. [...]

Und wie haben unsere Glocken die letzten
schweren Kriegsjahre mit uns erlebt, von jenen
ersten Tagen des August 1914, wo unsere Ausmarschierten
sich noch einmal im Hause Gottes
gefunden. Allwöchentlich haben sie uns seither
zur Kriegsbetstunde zusammengerufen,
damit wir uns von Gott Kraft und Trost, Sieg
und Frieden erbitten. Wie manches Mal durften
unsere Glocken froh und freudig eine Siegesnachricht
hinaus in die Lüfte jubeln; wie manches
Mal auch haben sie einem gefallenen Helden
zu Ehren den Klagegesang angestimmt.
Wir hofften so zuversichtlich, daß unsere Glocken
uns in Bälde die schönste Freude, die Botschaft
des endgültigen Sieges, des ehrenvollen
Friedens einläuten würden; dann hätten sie
ihre erhabenen Klänge, ihre schönsten Harmonien
hergegeben. Es hat leider nicht sollen sein.
Unsere Glocken haben nun selber den Gestellungsbefehl
erhalten, sie müssen ihren heimatlichen
Platz verlassen und selber in die große
Schar der Kämpfer für Heimat und Vaterland
eintreten.

Das Vaterland braucht euch, das Vaterland ruft
euch, ihr trauten Heimatglocken.

So lassen wir euch ziehen, bewegten und doch
getrosten Herzens; auch ihr helfet ja mit in
eurem Teile am großen Werke des Sieges, auch
ihr bereitet nur mit den Weg zum Frieden. "4)
Am folgenden Tag berichtet die Schramberger
Zeitung von der „ überaus zahlreich besuchten "
Abschiedsfeier auf dem Vorplatz der Kirche.
Auch in dieser Berichterstattung zeigt sich eine
national und patriotisch gesonnene Deutung
des Glockenopfers:

„ Und heute opfert die evangelische Kirchengemeinde
ihre Glocken auf dem Altar des Vaterlandes
. Groß und klein, Dom und Kapelle, Stadt
und Land müssen ihre Glocken ziehen sehen
[...]. Und doch muss dieses Opfer gebracht werden
. [...] Jetzt mit ihrem Geläut, wollen sie uns
noch einmal eindringlich sagen, daß wir in
unserem Denken und Fühlen der Größe unserer
Zeit würdig bleiben müssen. "5>
Ein ebenfalls in der Schramberger Zeitung
abgedrucktes und vermutlich von Pfarrer Duis-
berg zitiertes Gedicht zum Glockenabschied
enthält folgende Strophe:
„Nun geht ihr, ihr Himmelsboten.
Das Vaterland ruft euch in der Not,
unser Leben fordert euren Tod.
Wir opfern euch, wie uns geboten,
wie unsere lieben Toten." 6>
Auffällig ist in Schramberg wie im ganzen Deutschen
Reich die erkennbare Verschmelzung
von Religion und Nation. Die Glocken werden
personifiziert, was an sich im Blick auf Stimme
und Gotteslob nichts Neues ist; sie werden aber
mit den Soldaten in Verbindung gebracht, die
man ebenfalls in den Krieg schickt und
opfert.

Deutlich wird in diesem Zusammenhang auch
die Läutesitte, die damals gang und gäbe war:
Zu militärischen Siegen wurde zusammengeläutet
. Die Glocken läuteten zu verschiedenen
Anlässen des öffentlichen Lebens. Bis heute ist
das Zusammenläuten in der Neujahrsnacht
noch ein Beispiel dafür.

Vor dem Hintergrund dieser - aus heutiger Sicht
- unseligen Verquickung im 20. Jahrhundert ist
die sehr strenge Läuteordnung der Evangelischen
Kirche in Württemberg zu verstehen. Sie
erlaubt Glockengeläut ausschließlich zum Gottesdienst
und als Betzeitläuten.7)
Die mittlere Glocke wurde am 10. Juli, die
große am 12.Juli 1917 durch das Schramberger

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