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70 Engelbert Krebs:
das liebste Kleinod genommen wurde. Am andern Tag wandte
sie ihr Herz auch von ihrem Beichtvater, für den sie noch
etwas zu menschliche Begeisterung gefaßt, und schenkte ihr
Herz allein ihrem Gott. In Selbstüberwindung und Gehorsam
hatte sie nun das Leben als lebenswert kennen gelernt, da
zwang schwere Krankheit sie ins Siechenstübchen. Weil sie
nun aus Schwäche die Ordensregel nicht mehr befolgen konnte,
so bat sie den Herrn um der Regel willen um Gesundheit.
Aber der Herr sprach, zu ihr: „Sei geduldig! Dein Leiden ist
mir lieber als dein Tun."
Das Leben dieser edlen Frau liegt vor uns wie ein Bilderzyklus
zu den Büchern der Nachfolge Christi. In allem sich
selbst in den Willen Gottes ergeben im Gebet, im Tun wie
im Leiden, — das ist die wahre Nachahmung des ringenden
Gottessohnes am Ölberg. Sie begegnet uns legendenhafter in
Adelhausen noch mehrfach. Anna Turnerin, die eine liebevolle
Krankenpflegerin war, versank einmal in Betrachtung des Herrn.
Aber die Zeit zum Dienst im Siechenhaus kam und sie riß sich
mit Mühe los. Als sie an die Pforte des Krankenhauses kam,
da stand der Herr darunter und sagte freundlich: „Siehe, nun
bin ich dir vorgelaufen und bin hier." „So empfing sie mehr
Gnade vom Krankendienst als vom Chor1)."
Wenn man Berchthe von Oberried die Ältere fragte, wie
sie es mache, daß sie, die mit Ämtern Überladene, das Doppelleben
der Martha und Maria führen könne, da gab sie zur
Antwort: „Ich folge Jesus in allem als meinem Schulmeister",
dieselben Worte gebrauchend, die Nikolaus von Straßburg in
einer noch erhaltenen, zu St. Agnes in Freiburg stattgehabten
Predigt den Nonnen einmal zurief: „Wandelt vor dem Herrn
als einem Schulmeister2)!"
Ein Seitenstück zu Berchthes und Mechthild Tuschelins
Erlebnissen wird aus Engelthal von Anna Vorchtlin erzählt.
l) Adelhausen 169 f.
5) Adelhausen 159. Pfeiffer Deutsche Mystiker 1, 261 f.
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