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DIE MARKGRAFSCHAFT
Nr. 1 /1. Jahrgang Heimatpost der Hebelfreunde Müllheim i. B. September 1949
Die Welle der Zerstörung, die auf einem verhältnismäßig
kleinen Raum zahllose Ruinen aller Art hinterließ
, ist wieder zurückgerollt in das dunkle Meer der
Menschheitsgeschichte. Überall regen sich Geister und
Hände, um das Zerstörte wieder aufzubauen und um
neuen Zerstörungen vorzubeugen. Neue Bauten wachsen
aus den Ruinen; in Konferenzen am runden Tisch versucht
man wieder Ordnung in das politische Trümmerfeld
zu bringen. Aber kaum sind die letzten Opfer begraben
, kaum sind die Todesängste einer neuen Lebenslust
gewichen und kaum wagt sich da und dort neues
Hoffen und Planen für eine bessere Zukunft bemerkbar
zu machen, da zieht auch schon wieder das Grollen eines
fernen Weltgewitters drohender und in seinen Ausmaßen
unerhörter als je zuvor am politischen Horizont herauf
und beginnt zahllose Menschen zu verwirren und in ihrer
Zielsetzung zu lähmen. Viele erklären sich angesichts der
drohenden Gefahr für einen bedingungslosen Lebensgenuß
, wie seicht die Genüsse dieser „Lebenshungrigen"
auch sein mögen. Andere wiederum tun so, als sei nichts
geschehen, als habe sich über den Feuersbrünsten des
Krieges nicht deutlich der Finger Gottes gezeigt; sie
trotten ihren alten Trott weiter und, da sie schläfrig sind,
werden sie bald einnicken. Wer aber einmal im Krieg,
an der Front oder in einer durchgehaltenen Bombennacht
in der Heimat, so ganz auf die letzten Dinge geworfen
wurde, wer auf die grausamste Weise belehrt
wurde, wie so viele als fest empfundene Besitztümer
hinfällig und vergänglich waren, wer auf eine schmerzliche
Art belehrt wurde, was verlterbar ist, dem hat sich
auch die Erkenntnis geöffnet, was zum Unverlierbaren
gehört. Es sind nicht wenige, die nach der zweiten Katastrophe
unseres katastrophalen Jahrhunderts wieder versuchen
, den Dingen ein rechtes Maß zu geben. Der 200.
Geburtstag Goethes war für die ernst zu nehmenden
Goethe-Verehrer ein willkommener Anlaß, in Deutschland
, in Europa, ja sogar in Amerika den Menschen wieder
ein Maß nachzuweisen, indem man schon halb verschüttete
Quellen freilegte, Quellen eines reinen und
edlen Menschentums, aus dem der unerschöpfliche Reichtum
des großen Menschen und Dichters Goethe fließt.
„Wir müssen zu unseren Quellen zurück", erklärte auch
der Rektor der Universität Chikago und er meinte damit
wohl in erster Linie, wir müssen uns wieder aus
dem Materiellen ins Menschliche erheben und Ehrfurcht
haben vor dem Schöpfer und der Schöpfung.
So zeigen sich uns überall Versuche, den frivolen, bindungslosen
Übermut unserer Zeit zu überwinden und
eine neue Ordnung unserer menschlichen Beziehungen
aufzustellen. Es wird uns niemand schelten, wenn
wir in diese neue Ordnung auch ein besonderes Verhältnis
zu Heimat und Muttersprache einbeziehen wollen.
Denn darin sind sich wohl alle einsichtigen und guten
Kräfte einig: daß Heimat und Muttersprache zu den
wesentlichen Werten unseres Lebens und unserer Kultur
(soweit diese überhaupt lebendig sein will) gehören.
Millionen aus ihrer Heimat und aus dem Wurzelgrund
ihrer Muttersprache Vertriebenen bestätigen uns dies auf
eine eindringliche Weise. Das Heimweh dieser Heimatlosen
sollte uns Mahnung und Verpflichtung sein, die
Heimat als ein teures Gut zu schätzen, als eine Gabe
Gottes, die wir uns täglich verdienen müssen, als ein
Geschenk, mit dem wir tausendfältig beschenkt werden,
wenn wir es nur erkennen wollen und wenn wir in uns
den rechten Geist erwecken. Gerade dies hat sich der
Hebelbund zur Aufgabe gemacht. Einige sichtbare Erfolge
, über die wir in unserer Chronik berichten, sind
bereits erzielt worden. Der Gedanke, der dieser Arbeit
vorausging, hat bei vielen Markgräflern Sympathie gefunden
. Aber er bedarf wie alle Ideen eines Sprachrohrs,
das von recht vielen verstanden wird. Besonders auch
IL
neuen
von der Jugend, die aus dem reichen geschichtlichen
Leben unserer Markgrafschaft nur noch wenig weiß. Mit
jedem Jahr gehen liebe Menschen von uns in die Ewigkeit
und nehmen altüberliefertes Wissen mit ins Grab,
ohne daß jemand dies noch weitergeben kann. Es ist
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Die alte Kirche in Müllheim
Federzeichnung von H. von Preen
höchste Zeit geworden, daß wir wieder jene Schätze sammeln
, die heute verstreut und vielfach unbeachtet herumliegen
und morgen verschwunden sind. Wir rufen
dazu alle auf. „Die Markgrafschaft" will nicht ein übliches
(oder übles) Vereinsblättchen sein, sondern vielmehr
ein Sammelbecken freudiger und tätiger Heimatliebe, auf
deren klarem Grund sich das liebliche vertraute Bild
des gottgesegneten Weinlandes am Oberrhein leuchtend
und mannigfaltig wiederspiegelt.
Ueber dem Geschick dieser Blätter möge der Heimatgeist
, der gute Geist unserer Markgrafschaft, der aus
Heimweh zum Dichter gewordene Johann^ Peter Hebel
wachen. Was er seinen Wächter in der Mitternacht rufen
läßt, begleitet uns als guter Trost in die Zukunft, denn
er ist echt und darauf kommt's an:
Un isch's so schwarz un finster do,
Se schiine d'Sternli noch so froh,
Un us der Heimet chunnt der Schii;
's mueß liebli in der Heimet si! L. Börsig
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