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Die Markgrafschaft
Die Macht des Liedes
Von Fritz vom Klemmbach
Es war in der Zeit der Straußwirtschaften. Der
„Neue" spukte im Land herum und ein Räuschlein
war billig zu haben. Auf den Straßen
herrschte reges Leben, und gar manchen sonst
wackeren Bürger sah man in später Stunde im
Kielwasser des Alkohols durch die Gassen rudern
, krampfhaft bemüht, sein Gangwerk in Ordnung
zu halten.
Ähnlich ging es auch unserem Sänger N. Längst
war die Gesangstunde aus; aber di§ „Sitzung"
nachher, die nun einmal unter Sangesbrüdern
Obligatorium ist, war diesmal dem „Neuen" zuliebe
besonders lange ausgedehnt worden. Es war
2 Uhr morgens, als er, nach Hause kam. Seine
Frau war wie immer noch wach und hatte durch
das Kammerfenster den im Vollmondschein heimkehrenden
Gatten beobachtet. Wohl hatte er sich
alle Mühe gegeben, seinen etwas unsicheren
Schritt und seine Haltung zu kontrollieren, aber
den scharfen Augen seiner Frau war nichts entgangen
, und die Gardinen- oder Frühpredigt fiel
dementsprechend aus und war auch dann noch
nicht beendet, als beide nebeneinander sich zur
Ruhe legten. Immer wieder blitzte es neben dem
Sänger auf, bis endlich der Schlaf seine Rechte
geltend machte und der müden Mahnerin die
Augen zufielen. Unser Sänger aber konnte nicht
schlafen. Dankbar genoß er die nun eingetretene
Stille und lauschte den ruhigen Atemzügen seiner
Frau. „Das war wieder Überstande; aber
nonemol möcht i sone Vorlesig nit erlebe. Lieber
bigoscht 's Füür vu zwei Batterie ushalte!" murmelte
er unter die Bettdecke. Endlich schlief auch
er ein. Aber nach kaum einer Stunde wachte er
mit einem scheußlichen Durstgefühl wieder auf.
Alle guten Vorsätze waren vergessen, und der
Neue drunten im Keller lockte mit unwiderstehlicher
Macht. Lautlos glitt er aus dem Bett und
zog sich notdürftig an. Vorsichtig betrat er Stufe
um Stufe der verräterisch knarrenden Treppe.
Endlich stand er im Keller. Ein bequemer Lehnstuhl
, den er von einer früheren „Sitzung" aus
einem Winkel hervorholte, wurde neben das Faß
gestellt und beim Kerzenlicht bediente er sich
der so köstlichen Gabe der Reben. Zärtlich strichen
seine Hände über das Eichzeichen eines
600-litrigen Fasses, und der Schlauch, der aus
dem Spundloch herunterhing, füllte auf Wunsch
Schoppen um Schoppen. Die Strafpredigt seiner
braven Frau hatte er längst vergessen, und das
bekannte Sprüchlein des alten Berlichingen
grinste ihn aus jedem Winkel des Kellers an.
Feuchtfröhlich streckte er sich in seinem Lehnstuhl
aus und sang mit verhaltener Stimme ein
Lied von Lenz, Liebe und Glück. Da plötzlich
ging die Kellertüre, und im wallenden Nachtgewand
stand vor ihm seine Frau. Mit einem
Blick, der nichts Gutes ahnen ließ, maß sie den
im Lehnstuhl zu einem HäufleiA Elend zusammengesunkenen
nächtlichen Zecher und wies
energisch mit dem Daumen nach oben. Eine unheimliche
Spannung lag zwischen den beiden
Ehegatten, und der gefüllte Schoppen zitterte in
den Händen des Mannes. Da kam ihm ein rettender
Gedanke, So schnell er noch konnte, sprang
er vom Stuhle auf, stellte sich vor seiner Frau in
.Positur und sang mit seiner schönen Tenorstimme
das Lied „Dein ist mein ganzes Herz!"
von Anfang bis zu Ende mit solcher Innigkeit
und Wärme, daß, noch ehe das Lied verklungen
, jede Härter im Gesicht der eben noch aufs
äußerste empörten Frau verschwunden war.
Lautlos, wie sie gekommen, stieg sie wieder hinauf
in ihre Kammer. Kein böses Wort war gefallen
. Die Macht des Liedes hatte ein Wunder
vollbracht.
Dem Sähger war es nun auch nicht mehr wohl
im Keller. Rasch räumte er seine sieben Sachen
zusammen und legte sich behutsam neben seines
Hauses Gebieterin, die ihm, eisern schweigend,
den Rücken zudrehte und bald einschlief.
Zum Nachahmen ist diese Geschichte nun freilich
nicht geschrieben; denn die Reaktion wird in
den meisten Fällen eine andere sein, und der
geneigte Leser tut besser, es nicht auf eine solche
Probe ankommen zu lassen. Der Schreiber selbst
läßt sich jedenfalls aufs Probieren nicht ein.
Aus der Geschichte des Weinortes Schliengen
Von Karl Kraus-Mannetstätter
(Fortsetzung und Schluß.)
In der Zeit, da die Markgrafen von Hachberg-
Sausenberg als Landgrafen des oberen Breisgaues
zugleich Richtsherren in Schliengen waren, kam
es wegen der Zuständigkeit in Gerichtssachen oft
zu Streitigkeiten, die dann 1424 in einem umfangreichen
Vertrage, dem sogenannten „Langen
Spruch" geregelt wurden. Um den Rechten der
Schliengener Geltung zu verschaffen, brachte der
Schultheiß damals die ältesten Einwohner als
Zeugen ih- h Basel mit. Es sollen 80-, 90- und
100-Jährige darunter gewesen sein; ja einer berief
sich sogar auf seinen 130-jährigen Schwager!
Als die SchlienfTener einmal ohne Erlaubnis des
Markgrafen gehenkt hatten, mußten sie den Gehenkten
wieder vom Galgen nehmen und wurden
obendrein etliches Vieh los, das ihnen als
Strafe dafür vom Markgrafen weggenommen
wurde. Zu solchen „Henkete", die jedesmal Festtage
waren, kamen immer, wie es in der Chronik
heißt, „viel edle und unedle Lüt, sogar die ältesten
und auch vom Walde."
Enttäuscht und erbittert über die kläglichen
Mißerfolge der Bauernkriege, wurden auch in
der Landvogtei Schliengen die Bauern noch ver-
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