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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1949-03/0005
Die Markgrafschaft

3

Jahrmarkterinnerungen

Von Fritz Wolfs berger

Zu all den Dingen, die ein Bubenherz begeistern
können, gehört wohl die Zeit des Jahrmarkts
an erste Stelle, Schon Wochen und
Monate vorher wird gespart und jeder selbstverdiente
oder geschenkte Pfennig für diese zwei
Tage auf die Seite gelegt und sorgsam gehütet.

Das war auch in meiner Bubenzeit so, und ich
erinnere mich noch gut, wie wir uns gegenseitig
unsere Schätze zeigten, und wie es das Selbstbewußtsein
des einzelnen aufstachelte, wenn seine
Kasse ein paar Pfennige mehr aufwies wie die
der andern.

Wir waren ja, an der heutigen Zeit und an
den Ansprüchen der heutigen Jugend gemessen,
sehr bescheiden und unser Reichtum hat kaum
mehr als 50 Pfennig betragen.

Das Aufschlagen der Stände und Buden war
unsere Vorfreude; wir paßten auf wie die Luchse,
und wo es dabei etwas zu verdienen gab, haben
wir tapfer zugegriffen. In manchen Jahren war
es um die Jahrmarktszeit schon recht kalt; es gab
schon blaugefrorene Hände, steife Ohren, und
man mußte sich wehren und bewegen, um seine
Eisbeine aufzutauen. Aber was tut ein Bub
nicht alles! Wenn dann der große Tag kam
und die Oberstädtler uns begeistert am frühen
Morgen in der Schule berichteten, was am Stalten
oder auf dem Viehmarktplatz alles los war,
konnten wir unsere Ungeduld kaum zügeln, und
mit der Aufmerksamkeit beim Unterricht war es
an diesem Vormittag nicht weit her. Die Lehrer
zeigten jedoch Verständnis, und ungebrannte
Asche hat es an diesen Tagen meines Wissens nie
gegeben. War dann mittags die Schule aus, gab
es kein Halten mehr. Wie die Wilden rannten
wir .aus dem Schulhaus, um so rasch als möglich
die Essenszeit hinter uns zu bringen. Sobald aber
„der Löffel putzt" war, ging es los. Gewöhnlich
stand schon einer der Schulkameraden im Hof
und pfiff das verabredete Signal, was meinen
Vater immer heillos ärgerte, und dem Pfeifer
gewöhnlich eine Zurechtweisung eintrug. Aber
unsern Johrmärt hatten wir doch, und meist ging
der Vater selbst mit.

Man muß sich nun unter der oben geschilderten
Hochspannung vorstellen, was es für einen
Buben bedeutet, wenn er, weil die Umstände es
erfordern, auf seinen Johrmärt verzichten muß.
Daß es in diesem Falle Tränen gibt, ist noch das
wenigste.

Und unser Robert mußte verzichten. Als er von
der Schule heimkam, bekam er die väterliche
Order: „Robi, hit Nomittag gohsch mit-em Vieh
uf d'Weid! An dr Hole ene un uf dr Schloßmatt
stoht 's Gras fascht wie im Früehlig. Hesch mi
verstände?" — ,,Jo, Vadder!" preßte er zwischen
Heulen und Zorn heraus. Und er ging. Denn
Widerspruch duldete der strenge Vater nicht. Da
saß er nun ob der Hole im Gras und lauschte dem
aus der Oberstadt herüberklingenden Jahrmarktslärm
. Er sah von seinem Sitz aus die auf dem
Bachdamm heimkehrenden Jahrmarktsbesucher
ihre „Chrömli" heimtragen, die Kinder tuteten

auf ihren eben erstandenen Trompeten, und er,
ausgerechnet er, mußte das chaibe Vieh hüten. —
Da griff die Sehnsucht mit unwiderstehlicher Gewalt
nach seinem Bubenherzen. Er trieb seine
beiden Kühe noch etwas die Hole hinauf, schlug
der Bleß mit dem Weidstecken wohlmeinend über
das Hinterteil, als wollte er sagen: halten euch
guet, ihr Zwo, i chumm gli wieder! Dann sprang
er den Berg hinunter und ging schnurstraks auf
den Jahrmarkt.

Zwei Stunden mochte er sich schon herumgetrieben
haben; staunend und verlangenden
Herzens stand er eben vor einer Lebkuchenbude.
Seine paar Pfennige hatte er längst ausgegeben.
Rößliryti war er mehrere Male gefahren, zum
Teil auch umsonst; denn er verstand sich darauf
ausgezeichnet, auch den Lukas hatte er probiert.
Aber jetzt noch ein Lebkuchen, den muß ich
haben, dachte unser Robi.

Drüben an der Hole war das Vieh inzwischen
unruhig geworden. Es mangelte den Weidbuben.
Auf einmal stellte die Bleß den Schwanz in die
Höhe und sprang den Weidhang hinunter, als
wollte sie es dem Robi nachtun. Gefressen hatte
sie eigentlich genug, aber da sie eine echte mark-
gräfler Kuh war, wollte sie nun auch etwas zu
saufen haben. Behäbig trottete die Bleß der
Kogermühle zu, trat bei der Mühle ins Bachbett,
denn sie wollte genug haben und kam so unversehens
an die gefährliche Stelle, wo das Wasser
in einem Holzkanal zu den Schaufeln der Mühlenräder
geleitet wird. Dumm, wie eine Kuh nun
einmal ist, wollte sie im Holzkanal weiterlaufen,
trat auf eine brüchige Stelle und — plumps! —
lag sie unten im tiefen Wasser zwischen den beiden
Mühlenrädern.

Unser Robi stand indessen immer noch vor der
Lebkuchenbude. Da rief ein Schulkamerad seinen
Namen. „Ums Gottswille, Robi, chumm schnell,
euri Bleß lit bi dr Kogermühli im Bach! Chumm,
si sueche di überall!" Der Lebkuchen war schnell
vergessen. Er lief zur Unfallstelle als gelte es sein
Leben. Und es war schlimm genug, was er dort
zu sehen bekam. Die Kuh stand bis zum Bauch
im Wasser, und durch die Bruchstelle wurde das
arme Tier dauernd unter Guß gehalten. Nirgends
war ein Ausweichen möglich. Hinter ihr war eine
vier Meter hohe Mauer und vor ihr hingen die
beiden Mühlenräder. Das rechte Horn hatte sie
beim Sturz verloren; nur der blutige Zapfen war
noch zu sehen. Auch sonst war das arme Tier arg
zugerichtet. Aber schon war auch Hilfe da. Die
Nachbarn wurden zusammengerufen, und nach
Stunden harter Arbeit — man mußte die Kuh an
Seilen hochziehen — war das Rettungswerk
getan. Dem Robi war natürlich der ganze Jahrmarktzauber
verflogen. Er dachte an die Prügel,
die er zu erwarten hatte und auch bekam und die
ihm, wie später das bengalische Feuer beim Seenachtsfest
in Luzern, zeitlebens eindrücklich geblieben
sind. Aber er hat's überstanden, und es
ist ihm, soviel ich weiß, nie mehr eine Kuh in
den Bach gefallen.


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