Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1949-03/0007
Die Markgrafschaft

5

VERGÄNGLICHKEIT

Ob Sunneschiin, ob Leid —
's het all's si Zit, si End,
vu beide keis cha sage:
i ha 's Recht un bliib!
's stoht über allem Lebe
wie-ne Fluech d'Vergänglichkeit.

Die starki Eiche, wie dr zarti Halm —
e jedem isch si Stündli prophizeit;
zue allem Lebe sait dr Tod si Spruch.

Dr Riich mueß vu sim Bsitz un Geld,
dr Arm streift sini Lumpen-ab un goht.
Un ähnedra hän alli 's gliichi Recht,
will sage: gliichi Gnad.

Was blibt-is no vu unsre Wanderschaft?

Was trait's-is i, das lusig Lebe do?--

Wo isch dr diefi Sinn vu all der Qual un Not,
dem bitzli Sunneschiin un Glück? —

Gang mit-dr selber z'Rot!

E innri Stimm, si wird dr Antwort ge

un wird dr sage, wie's um alles stoht.

D' Vergänglichkeit sait wohl ihr ehalte Spruch,

schribt allem Läbige dr Toteschiin. —

Doch us Vergangeheit un Gegewart

wachst wie-ne Tuech im Webstuehl d'Ewigkeit.

Fritz Wolfsberger.

„Lieber Gott, wenn ich schlafe, mache mich
bitte wach, wenn Papi kommt, damit ich ihn finden
kann!"

Die kleine Gestalt sank in sich zusammen, ein
Punkt unter der einsamen Laterne. —

Zwei Radfahrer tauchten aus der Dunkelheit
auf. Ein Bursche in blauem, verschmiertem Monteurkittel
auf dem ersten Rad, ein Mädchen mit
geschminkten Lippen dahinter auf dem zweiten.
Sie hatte kein Licht.

Schon hatte sie die Dunkelheit wieder verschlungen
. Der Punkt unter der Laterne war
noch da.

Gegen den Wind ankämpfend, doch nicht so
unsicher in der Bewegung wie vordem, tauchte
der Mann mit dem zerschlissenen Rock wieder
auf.

„Hier habe ich doch eine gesehen," brummte er
vor sich hin. „Es war eine große Kippe, eine ganz
große." Er suchte den Boden ab und näherte sich
langsam dem Punkt unter der Laterne. Doch ehe
er noch so weit war, entdeckte er die halbe Zigarette
, die noch dort, wo er sie erst gesehen, hart
an der Mauer lag.

„Da ist sie. Ich wußte doch, daß ich sie hier
gesehen hatte." Er hob sie auf und betrachtete
sie prüfend im Lichte. Mit der Qualität anscheinend
zufrieden, suchte er nach einem Streichholz.
Doch ohne Erfolg. Mißmutig hob er den Kopf,
drehte unschlüssig den Zigarettenstummel zwischen
den Fingern und blickte sich suchend um.
Der Wind nahm wieder an Stärke zu, fuhr pfeifend
durch die Verspannung der Laterne und
zerrte an einem Blechstück, das sich kreischend
löste und wie mit einem unterdrückten Schrei
zwischen dem Kinde und dem Mann auf das abgetretene
Pflaster schlug. Das Mädchen fuhr erschreckt
hoch und rieb sich die verschlafenen
Augen. Der Mann fluchte ob des Blechstückes,
das ihn fast getroffen hatte, und wurde jetzt erst
gewahr, daß sich da außer ihm noch ein Lebewesen
befand. Verdutzt blickte er auf das kleine
Etwas, zwinkerte mit den rotumrandeten Augen
und schob seine Mütze etwas aus der Stirn. Das
Mädchen aber hob den Blick, daß sich das Licht

der Laterne springend in den weit geöffneten
Augen verfing, und betrachtete den Mann. Plötzlich
sprang es wie elektrisiert hoch.

. „Papi!" rief es ein übers andere Mal, „Papi!"
und umfaßte den zerlumpten Mann und drückte
sein Köpfchen gegen seine abgerissene Jacke. Der
Mann hob unbeholfen die Hände, als wüßte er
nicht, was er mit ihnen anfangen sollte. Er bewegte
den Mund, ohne daß ein Wort über seine
Lippen kam, der Zigarettenstummel fiel zu Boden
. Er bückte sich danach.

„Elke", fragte er dabei gegen den Wind, „Teufelsbraten
, wie kommst du hierher?"

Das Kind schluckte ein wenig und zog die
schmalen Schultern hoch. Dann sagte es mit dünner
Stimme:

„Papi, ich habe dich gesucht. Mutti will wieder
ganz lieb zu dir sein. Sie sagte, sie weiß nicht,
wo du bist und ich sagte, ich werde dich suchen.
Und dann bin ich fortgelaufen, und es war überall
so dunkel, nur hier, hier war es hell, und jetzt
habe ich dich auch gefunden." Elke schluckte wieder
und küßte die bärtige Wange ihres Vaters.

„Und du glaubst, Mutti wird nicht mehr fortgehen
?" fragte er zwischen den Zähnen.

„Mutti geht nicht mehr fort, Papi. Sie sagte
mir, du bist ein guter Papi, und sie will dich so
lieb haben, wie ich dich lieb habe."

„So lieb, wie du mich hast?" Er richtete sich
auf. „Da muß sie noch viel lernen. Doch," fuhr
er, zu dem Mädchen gewendet, fort, „wie lange
bist du denn schon unterwegs?"

„Seit Mittag, Papi, ich mußte ja so weit
laufen."

„Ja, ja, so weit," brummte der Mann, „und
bist doch nur drei Straßen weit gekommen, so
weit wie ich. Komm, du — du — !" Bei diesen
Worten hob er die Kleine hoch, zog seinen löcherigen
Rock um sie und verschwand mit ihr, gegen
den Wind ankämpfend, in der Dunkelheit.

Die Laterne hing über der unübersichtlich
dunklen Straßenecke und verstrahlte gelassen ihr
Licht über den schmalen abgetretenen Gehsteig
und die alte Mauer.


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1949-03/0007