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Die Markgrafschaft
Was sich J. R Hebel von uns zu Weihnachten wünscht
Eine kleine Besinnung auf das Christfest 1949
Man hat es schon oft unserm Heimatdichter von
kirchlicher Seite recht verübelt, daß er anscheinend
das Eigentümliche und Zentrale der christlichen
Botschaft so wenig in den Mittelpunkt
seiner Dichtung gestellt hat. Und aufs erste gesehen
, mögen diese gewiß ernst zu nehmenden
Kritiker nicht so ganz unrecht haben. Wenn wir
etwa in seinem reizenden Weihnachtsgedicht „Die
Mutter am Christabend", die zwar während des
Christbaumschmückens allerhand gute pädagogische
Gedanken entwickelt, den Schlußvers lesen:
„Ne andri Chehri mehr! Der heilig Christ isch
hienecht choo, het Chindes Fleisch und Bluet
aagnoo, wärsch au so brav wie er!", so möchte es
dem christlichen Leser vorkommen, als verabschiede
sich der Dichter in dem Augenblick, wo
er den eigentlichen Kern des Weihnachtsfestes
herausschälen sollte. Dazu ist nun vor allem
zweierlei zu entgegnen: Einmal hat Hebel alles,
was ihm hoch und heilig war, mit Worten wiederzugeben
sich gescheut, sondern dies immer
nur zart angedeutet, um es dem geneigten Leser
zu überlassen, daran seine Gedanken weiterzu-
spinnen, ebenso wie es die Mutter an der Wiege
ihres Kindes am Christabend tat. Sodann aber
hat doch Hebel in seinen Dichtwerken sehr vernehmlich
die Folgerungen gezogen, die dem
Menschen aus seiner christlichen Einstellung erwachsen
, nämlich sein sittliches Verhalten, und
also uns doch deutlich gesagt, was das heißen
soll: ,,Wärsch au so brav wie er!"
Dies tritt uns wohl nirgends schöner und unaufdringlicher
entgegen als in seinem ersten
Gedicht, das er offenbar gerade um die Weihnachtszeit
des Jahres 1799 vollendet hat, im
„Statthalter von Schopfheim". Hier hat er geradezu
bewundernswert eine alttestamentliche Erzählung
in eine bewußt christliche Dichtung umgeschaffen
. Erkennt man zwar an der Wahl des
Stoffes noch den Herrn Präzeptor auf dem Katheder
, so sehen wir in der Wahl der Landschaft, in
die er die Geschichte verpflanzt, den Buben
Hanspeter; denn er läßt den Vorgang sich auf
seinem alten Schulweg zwischen Schopfheim und
Hausen ereignen; dadurch wird die Erzählung
uns Markgräflern nicht nur örtlich, sondern auch
gewissenmäßig nahegerückt. Und köstlich ist
auch, wie er sie zeitlich behandelt: erst hört sie
sich an, als sei sie nach dem Dreißigjährigen Krieg
passiert, dann überträgt er sie mit kühnem
Sprung in seine Gegenwart und in die kriegerischen
Ereignisse des Jahres 1799; und gleichzeitig
spürt man an der Lebendigkeit der Wiedergabe
und an den sich uns aufdrängenden Parallelen
unserer Zeit, wie da auch in unsere Nachkriegsverhältnisse
hinein mit einer nicht zu überhörenden
Sprache geredet wird. Lassen wir also
einmal diesen Erstling der Hebeischen Musenkinder
zum 150. Jubiläum seiner Geburt an dieser
Weihnacht etwas zu uns sprechen, und hören
wir den Wunsch heraus, den Hebel an uns, seine
Landsleute, gerade in unserer Lage hat.
Wenn wir dazu einmal nur die „Standrede"
vornehmen, die das Vreneli dem Frieder in nächtlicher
Stunde hält, weil der sich in Rachegelüsten
gegen den Üeli verschworen hat: solche Blutschuld
dürfe er nicht auf sich laden und damit
sein Gewissen und sein ganzes künftiges Leben
belasten:
,,Nimm, wie müeßt's der sy, an sone Missetat
z'denke
un mii's Heere Stab mit bluetige Hände
z'regiere!"
Denn die Handlungsweise des Übeltäters und
lieblosen Geizkragens wird sich ja von selbst
rächen. Und der Fluch: „Der Üeli mueß sterbe",
bedarf nicht der Verwirklichung durch Menschenhände
, das erledigt die höhere Macht des Guten
viel prompter und besser. Und solchem Wort
kann der Frieder nicht widerstehen, er verspricht:
„un jo, i will anderster werde" und ,,lueget an
Himmel un briegget."
Ist hier nicht veranschaulicht und verwirklicht
das urchristliche Prinzip des großen Friedensherren
der Weihnacht, wie er es in der Bergpredigt
und in seinem Leben uns vorgehalten hat:
der Glaube an den unbedingten Sieg der göttlichen
, guten Macht über alles Übel in der Welt?
Haben nicht gerade wir dieses Zutrauen wieder
bitter nötig in unserer Gegenwart? Gilt es nicht
für uns, das uns so viel propagierte Vergeltungsgelüste
endlich und endgültig aufzugeben? Und
leiden wir nicht eben darum so bitter, weil ,,mii's
Heere Stab" — mit blutigen Händen regiert
wurde, und eben nicht mehr der Stab und das
Szepter des Herren des Friedens war? Besinnen
wir uns doch darin einmal gründlich um: so will
uns Hebel mit seinem „Statthalter" mahnen.
Denn alle Vergeltung tritt mit einer unausweichlichen
Gesetzmäßigkeit und Gründlichkeit
nach Hebels Anschauung von oben her ein. Den
Üeli ereilt sein Schicksal; er muß verröcheln wie
sein Schwein, das er geschlachtet und von dem er
so entsetzlich geträumt hat. Und als blutender
Eber muß er noch nach dem Tode umgehen. Der
Böse wird also in ein entsprechend tiefer stehendes
Wesen, in ein seinen Übeln Eigenschaften
verwandtes Tier inkarniert. Auch in „Des neuen
Jahres Morgengruß" spricht der Dichter dieses
unabänderliche Gesetz in Gottes Walten aus:
„Un wer's nit redli meint un guet,
un wer si Sach nit ordli tuet,
dem bringi au kei Sege mit;
un wenni wott, se chönnti nit."
Dagegen wird der Mensch, der das Böse in sich
überwindet, schon auf Erden zu höherem Menschentum
und entsprechender Würde emporsteigen
: wie der Frieder, vorher Hauptmann einer
Räuberbande, dann zum Statthalter wird, der
mit großer Gebärde vom Rathausfenster aus die
(Schluß S. 4)
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