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Die Markgrafschaft
Langenauer grüßt. Denn die Träne der Reue und
Umkehr — wie beim Frieder — und die Zähre
der Not — wie im Weihnachtsgedicht: „Eine
Frage" dort im Hause der Armut — lassen Gott
nicht ungerührt:
„Gott im Himmel sieht's, un het us menggem
arme Büebli doch
e brave Maa un Vogt un Richter gmacht,
un us em Töchterli ne bravi Frau."
So hat für Hebel „der heilig Christ" doch eben
immer wieder „Fleisch un Bluet aagnoo" im rechtschaffenen
, gottesfürchtigen Menschen, der darum
, wie Hebel an anderer Stelle sagt, schon den
Himmel in sich trägt und seinen Mitmenschen
zum Segen ist. Das entscheidende und sein Leben
umwälzende Wort des Frieder: „Un jo, i will
anderster werde", ist gewiß auch das Wort, das
sich Hebel von seinen lieben Markgräflern für
diese Weihnacht wünscht und das wir ihm mit
festem Handschlag geben wollen, um dergestalt
wirklich und endgültig aus einer Mentalität herauszukommen
, die uns ganz und gar nicht ansteht
und unser unwürdig ist. R. Nutzinger.
Weihnachtsglocken /Von Fritz Wolfs berger
Es war am Heiligen Abend des Jahres 1944.
Die Nacht schickte sich ,eben an, ihren schwarzsamtenen
Mantel über die kriegsmüde, stöhnende
Erde auszubreiten. Am Himmel leuchteten bereits
die Sterne und die Straßen wurden einsam. Da
und dort schimmerte durch die abgedunkelten
Fenster ein vorwitziger Lichtstrahl und beleuchtete
ein winziges Stück der Straße. Drüben überm
Rheinstrom geisterten Scheinwerfer am Himmel,
und in der Ferne dröhnte die schaurige Stimme
des Krieges.
Den einsamen Soldaten, der eilenden Fußes auf
der Straße nach Basel dahinschritt, störte dies
wenig. Er war ein Urlauber, der seine Angehörigen
drüben in der Schweiz hatte und die ihn am
Heiligen Abend an der Grenze erwarteten. —
Mürrisch und ärgerlich hatte er anfangs den Weg
unter die Füße genommen; denn der Zug, der ihn
an sein Ziel bringen sollte, war unterwegs stehengeblieben
, und so mußte er eben auf Schusters
Rappen seine Reise fortsetzen, um zur verabredeten
Stunde an Ort und Stelle zu sein. Nun schritt
er aber rüstig aus. Die Einsamkeit und Stille des
Abends taten ihm wohl. Sein Geist beschäftigte
sich »mit Bildern aus der Vergangenheit. An seine
Kindheit dachte er, an Weihnachten daheim im
lieben Elternhaus. Er sah sich mit seinen Geschwistern
vor Spannung und Erwartung fiebernd
in der Küche des kleinen Häuschens stehen,
während drinnen in der Stube die liebe, gute
Mutter den Weihnachtstisch herrichtete und der
Vater mit sorgsamer Hand den Christbaum
schmückte.
Wenn dann die Lichter am Christbaum brannten
und die von den Kerzen angesengten Tannenzweige
das kleine Häuschen mit dem köstlichen
Harzduft füllten, war es den Kindern allemal
, als sei das Christkind selber dagewesen. —
Öffnete sich dann endlich die Tür zum Weih-
nachtsstübli, dann traten sie in ein Heiligtum.
Auf dem mit schneeweißem Linnen gedeckten
Tisch, das noch der Großvater gewoben hatte,
lagen die sorgfältig und mit großer Liebe eingepackten
Geschenke. Bei jeder Gabe lag ein Kärtchen
mit einem Gruß der Eltern oder Verwandten
, Zuckerbrötli wurden verteilt, und dann las
der Vater aus der alten Familienbibel die Weihnachtsgeschichte
aus dem Lukas-Evangelium. Alle
lauschten andächtig der wundersamen Botschaft
der Heiligen Nacht.
Die Weihnachtslieder, so dachte unser Wanderer
, haben seither nie mehr so schön geklungen,
ja, es war ihm, als hörte er sich selber wieder mit
seiner hellen Knabenstimme im heimeligen, kleinen
Chor des Elternhauses. — Es ist doch schön,
sagte er vor sich hin, aus seiner Kindheit solche
Bilder und Erinnerungen mitnehmen zu dürfen,
sie sind ein unvergänglicher Reichtum, eine verborgene
, reine Quelle, aus der man in allen
Wechselfällen des Lebens schöpft und sich daran
erquickt.
Mittlerweile hatte er Weil hinter sich gebracht.
Die Lichter von Basel leuchteten herüber, in
einer Viertelstunde mußte er an der Grenze sein.
Die Erinnerungen aus seiner Kindheit traten wieder
zurück. Seine Aufmerksamkeit galt jetzt der
nahen Grenze. Um halb 8 Uhr sollte er dort sein.
Er hatte es also geschafft; eine Viertelstunde war
er noch zu früh. — Unendlich lang dünkte ihn die
Zeit des Wartens, und als es von einem der Türme
Basels halb acht Uhr schlug, dann dreiviertel und
immer noch kein Zeichen von drüben gegeben
wurde, da ward es ihm schwer ums Herz; denn
der Wachtposten dort hatte ihm nur für eine
Viertelstunde den Aufenthalt am Stacheldraht
der Grenze gestattet. Pünktlich wurde er gemahnt
und hinweggeschickt. Traurig ging er den Weg
zurück. Da, plötzlich klangen in die Stille der
Nacht die Glocken des Münsters von Basel. Jubelnd
hell zuerst die kleinen, dann fielen nacheinander
die größeren ein und füllten jauchzend
mit ihrer voll und rein tönenden Harmonie die
Lüfte. Der Soldat war stehengeblieben. Seine
Sinne lauschten andächtig den Klängen der
Glocken, die ihm die Botschaft der Heiligen Nacht
in seine Einsamkeit und Verlassenheit brachten.
Und als sie schwiegen, war alle Traurigkeit gewichen
. Weihnachtsfrieden erfüllte seine Seele,
und dankbaren Herzens schaute er hinauf nach
den Sternen, die in mildem Glanz über ihm
leuchteten. Eine stille Freude war in seinen
Augen, und als sei er reich beschenkt worden,
lenkte er seine Schritte seinem fernen Quartier
zu.
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