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Die Markgrafschaft
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Si me amas — ?
Eine Kunde aus der klassischen Badezeit Badenweilers
Von Rudolph Vogel t
(Fortsetzung.)
Was dort zwischen mächtigen Baumstämmen
und dem dichten Grün wild wuchernden Gebüsches
aufdampft und zarte weiße Wölkchen in
die klare Herbstluft emporsendet, die oben in
nichts zerflattern wie nächtlicher Geisterspuk im
Lichte der Frühsonne, das ist des alemannischen
Südgaus Wahrzeichen, der warme Quell, der
stark, in breiter Woge aus dem heißen Herzen des
heimischen Gebirges hervorschießt. In rastloser
Arbeit von Jahrtausenden spült und nagt er am
felsigen Gestein und hat sich sein eigenes Becken
geschaffen, aus dem er nunmehr in ruhigerem
Strome gemächlich zu Tale fließt.
Eine wundersame Stätte! Üppiger rankt sich
hier der Brombeer, satter grünt die Eibe, goldiger
glänzt das Buchenlaub im durchfallenden Sonnenstrahl
, und was an schwimmendem, kriechendem
und fliegendem Getier die herbe Strenge
nordischer Landschaft scheut, sucht hier Unterschlupf
und warmes Behagen: Eine reiche Werkstatt
schaffender, erneuernder Mächte, die in
lebendigem Wirken sich dem Auge und dem Herzen
erfreulich offenbaren. Hic di sunt — hier
waltet die Gottheit! Und Gottesfriede umgibt den
Ort ihres Waltens mit unsichtbar wehrender
Schranke — Quell und Hain sind heilig. Wer
ihnen naht, den befällt's, und er fühlt's an seines
Herzens bangerem Schlage, daß sein Fuß geweihten
Boden berührt.
Wie still alles — wie regungslos! Der Wind
wagt kaum zu atmen, lautlos neigen sich die
Zweige über den dampfenden Spiegel; nur der
Quell raunt nimmermüde sein altes Lied aus den
Uranfängen der Schöpfung und wird es weiter
singen, bis am Weltenende Heimdalls gellendes
Horn ertönt, bis der nächtliche Wolf den Göttervater
fällt, bis die Berge bersten und brechen
und die lichte Welt der Asen im letzten Brande
lodernd in Trümmer sinkt.
Und wie eine Gottheit, hehr und lieblich zugleich
, erscheint dem Blicke jene stattliche Mädchengestalt
am Rande des Weihers, die, gleichfalls
regungslos, dem wüsten Lärme lauscht, der
verworren aus dem Tale heraufschallt, klirrend,
krachend wie Zusammenprall von Waff und
Wehr, übertönt von zornigem Kampfruf und dem
Aufschrei schwergetroffener Männer. —
Das ist seit langem nichts Seltenes mehr in der
Heimat der Alemannen. Breit öffnet sich hier die
Talschlucht gegen den mächtigen Grenzstrom,
und über den Rhein herüber dringen immer
häufiger eng geschlossene Scharen dunkelhaariger
, gepanzerter Männer, klein aber keck,
herrschsüchtig und raffgierig, Unfried' und Unheil
stiftend, und bereiten dem Alemannen, der
am liebsten einzeln ficht, Mann wider Mann, und
stolz den schützenden Panzer verschmäht, manche
harte und unbequeme Stunde.
Allmählich verzog sich das Getöse und verhallte
talab, der Römer war im Weichen. Das
Mädchen atmete tief. Da knisterte es ihr gegenüber
im dichten Unterholz wie von brechendem
Reisig, und die beiden Rüden zu ihrer Seiten
hüben mit grollendem Knurren die zottigen
Köpfe.
Die Jungfrau richtete sich auf und schürzte ihr
weißes, ärmelloses Gewand bis zum Knie. Einer
Wildsau auf dem Waidgange gewärtig, hub sie
den Jagdspeer. Ihre hellen Augen flammten auf.
So stellte sich die Herrliche dem Auge eines
römischen Mannes dar, der sich, aus schweren
Wunden blutend, mühsam durchs Dickicht wand.
Bestürzt und von heiligem Grauen gepackt,
hemmte er seinen Schritt und starrte verwirrt
auf die wundersame Erscheinung. Verblaßte Bilder
aus der heimischen Götterwelt tauchten auf
und gewannen Gestalt, Farbe und Leben. Daheim
, in den kleinen Kreisen, wo man noch altrömische
Frömmigkeit kannte und übte, lief trübe
und ängstliche Sage heimlich um. Die alten Götter
— so raunte man sich zu — hätten Roms unheiligen
Boden verlassen und sich unter anderen
Namen hinübergerettet in die Wälder der blonden
Barbaren, zögen wandernd durch das frostkalte
Land und führen mächtig einher im Sturm
auf heulender Windsbraut. So berichteten weltkundige
Männer, die es selber gehört und
gesehen.
So war es denn kein Wunder, daß dem schwerkranken
Römer das zauberische Bild wie eine
Theophanie der heimischen Diana erschien, die
Italiens Staub von den Füßen geschüttelt. Dort
waren die Wälder niedergehauen, und auf den
Latifundien stöhnten Sklaven unter der Peitsche
ihrer Peiniger. Wo sollte die Waidfrohe Wild
finden? Die Jagdverhältnisse waren mehr als
kläglich, und Roms Sündenpfuhl kein passender
Aufenthalt für eine Göttin, die auf Ehrbarkeit
und guten Ruf hält! Hier, unter den starken,
wilden Männern mit den kindlichen Herzen hatte
sich die Keusche, der milden, südlichen Heimat
gedenkend, mit göttlich mächtiger Hand dies
liebliche Waldwunder geschaffen, und ein glücklicher
Stern hatte ihn, den feldtüchtigen Römer,
zum Asyle der Tochter Latonas geleitet.
Er trat vor und warf sich betend aufs Knie:
,,Ave, filia magnae genetricis," rief er und hub;
die bittenden Hände, ,,supplex adeo Romanus!" *)
Die Jägerin war über dies neuartige Stück Wild,
das ihr in den Wurf kam und sie mit so feierlich
klingenden Worten anredete, nicht wenig
verdutzt. Rüstung und Sprache des Mannes verrieten
den Römer; aber das blonde Kraushaar,
obwohl geschoren, und die hohe, breitschulterige
Gestalt wiesen auf nordische Herkunft.
Sie musterte den Fremden mit der furchtlosen
Neugier eines Kindes und schüttelte zu seiner
*) „Sei gegrüßt, Tochter der großen Göttermutter (d.i.
Latona) Hilfe flehend nahe ich, ein Römer."
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