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Die Markgrafschaft
Die Ohrfeige
Erzählung aus dem Immengärtlein j Von Jda Guldenschuh
Mein Urgroßvater väterlicherseits war Flößer
von Beruf und fuhr oft auf dem Rhein von Basel
bis Holland. Er soll ein großer, starker Mann
gewesen sein mit dunklem Haar und blauen
Augen. Er war sehr ernst und still und ohne jedes
Gefühl von Furcht. Wenn er dann erst die
großen Flößerstiefel anhatte, die Geldkatze umschnallte
und den Knotenstock zur Rückwanderung
in die Hand nahm, dann habe er ausgesehen
, wie mit übernatürlichen Kräften begabt
— sagte meine Großmutter. Eine seiner abenteuerlichen
Fahrten hat sie uns Kindern oft erzählt
:
Er war, wie schon öfter, wieder von Basel nach
Holland gefahren. Die Urgroßmutter hatte schon
beim Abschied gefühlt, daß diesmal etwas
Außerordentliches geschehen werde. Während der
ganzen langen Abwesenheit ihres Mannes war
sie sehr unruhig. Als die Zeit seines Heimkommens
herankam, stieg sie oft auf die Bühne hinauf
, um den Weg zu überschauen, den er kommen
mußte von Istein her. Eines Abends steigerte sich
ihre Unruhe von Stunde zu Stunde. Sie rief alle
ihre Kinder zusammen und betete mit ihnen um
des Vaters Rettung. Von Zeit zu Zeit zog sie an
einem ihrer Strümpfe, was ein sicheres Mittel
sein soll, Menschen, die einem nahe stehen, aus
einer großen Gefahr zu sich herzuziehn. Die vierzehn
Kinder standen verängstigt auf einem
Häuflein und wußten nicht, was geschehen war.
Nach einiger Zeit wurde die Urgroßmutter ruhiger
und brachte die Kinder zu Bett. Es dauerte
noch einige Tage, bis der schwere Schritt des
Vaters die Gasse herauf zu hören war und er
selbst unter der Stubentüre erschien, genau so,
wie er fortgegangen — nur mit dem Unterschied,
daß die Geldkatze jetzt voll war. Die Mutter begrüßte
ihn scheu und prüfend, half ihm die schweren
Stiefel ausziehen und versorgte Stock und
Hut. Dann brachte sie das einfache Mahl, und die
ganze, große Familie versammelte sich um den
Tisch. Endlich fing der bisher schweigsame Vater
zu erzählen an.
Er war mit seinem Floß gut nach Holland gekommen
, hatte sein Geld erhalten und sich mit
den andern Flößern noch ein wenig in der schönen
, großen Stadt umgesehen. Auch hatte er für
Frau und Kinder noch ein Chrömli gekauft und
sich dann zu Fuß auf den Heimweg gemacht. In
den ersten Tagen war das Wandern noch kurzweilig
gewesen, durch schönes Land, kleine
Städte und saubere Dörfer. Dann bröckelte ein
Kamerad nach dem andern ab, und der Weg
führte oft durch Wälder und einsame Gegenden.
Da er diesen Weg nicht zum ersten Male machte,
so wußte er genau, wie weit es von einer Herberge
zur andern war. Das schlimmste Stück
stand ihm noch bevor, der damals sehr berüchtigte
Hardtwald. Er aber fürchtete sich nicht,
nahm seinen Knotenstock fest in die Hand,
knöpfte den Kittel zu über der Geldkatze und
schritt aufrecht fürbaß.
Er mochte so einige Stunden gegangen sein auf
der einsamen Landstraße im düsteren Halbdunkel
des Waldes, als sich wie von ungefähr ein
Mann zu ihm gesellte. Er musterte den Vater von
oben bis unten und wollte wissen, woher und
wohin. Damit kam er aber an den Letzen. Der
Vater war von Natur aus schon ein wortkarger
Mann und einem Fremden gegenüber erst recht.
Trotzdem er auf keine seiner Fragen eine Antwort
bekam, ließ sich der Unbekannte nicht abschütteln
und ging auch mit in die nächste Herberge
, da es schon zu nachten anfing. Da war
nun allerlei Volk beisammen in dem niedrigen,
verräucherten Raum, wo der Vater fast an die
Deckenbalken stieß rr^it dem Kopf. Er setzte sich
an den Ofentisch zu den Wirtsleuten, bei denen
er ein gern gesehener und oft bestaunter Gast
war. Der Fremde verlor sich unter den anderen
und kam erst wieder zum Vorschein, als die
Stube bereits leer, und außer den beiden kein
Gast mehr zugegen war.
Ob er nicht auch schlafen gehen wollte, redete
er den Vater an. Nein, antwortete dieser, er sei
noch nicht müde. Er habe aber doch noch einen
langen Weg vor sich morgen, meinte der Fremde.
Der werde auch nicht kürzer, wenn er jetzt
schlafe, sagte der Vater. Als der andere immer
weiter auf ihn einredete, gab er keine Antwort
mehr — nahm sich aber fest vor, kein Auge zu
schließen und auf alles zu achten, was um ihn
her vorging. Der Unbekannte verschwand wieder
, und war auch am andern Morgen nicht mehr
zu sehen bei der Weiterreise.
Mein Urgroßvater hatte sich mit der nötigen
Wegzehrung versehen und wanderte mit kleinen
Unterbrechungen in den Tag und Abend hinein.
Als es zu dämmern begann, hörte er neben seinem
laut verhallenden Schritt plötzlich ein leises
Tappen. Das dauerte eine Weile, bis es dem herzhaften
Mann zu dumm wurde und er sich schnell
umdrehte. Da sah er ein paar Schritte hinter sich
eine Frauensperson, die ebenfalls stehen geblieben
war. Das Gesicht war durch ein großes
Kopftuch so verhüllt, daß man es kaum sehen
konnte. Sie war ungewöhnlich groß und ganz
nachlässig gekleidet. ,,Warum gehst du immer
hinter und nicht neben mir?," fragte mein Urgroßvater
barsch. Ohne Antwort zu geben, kam
sie an seine Seite. Er faßte die Geldkatze fester
mit der einen Hand und mit der andern den
gewaltigen Knotenstock. So wanderten sie wortlos
weiter durch den unheimlichen Wald, von
dessen undurchsichtigem Dickicht eine spürbare
Bedrohung ausging, die langsam die Nerven erregte
. Diesmal war es auch meinem Urgroßvater
zuviel. Mit einem Ruck stand er still und
redete das sonderbare Wesen an. „Wer du auch
bist, ob Mensch oder Geist, was willst du von
mir?" Statt einer Antwort steckte das Weib zwei
Finger in den Mund und ließ einen gellenden
Pfiff hören. Jetzt wußte er, was es geschlagen
hatte, und handelte auf der Stelle. Er holte weit
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