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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-01/0010
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Die Markgrafschaft

Oktober 1814, war ein guter Naturwissenschaftler
und Physiker, der noch zu Lebzeiten des Vaters
dessen Fabrik für feinmechanische Instrumente
übernahm und viele Jahre lang der Hersteller
der Oechsleschen Mostwaage war. Nach
dem Tode von Frau Karoline blieb der alternde

Vater Oechsle im Haushalt seines Sohnes Christian
, wo er den Rest seines Lebens seinen Liebhabereien
lebte. Er starb 77 Jahre alt am 17. März
1852 in Pforzheim. Sein Name lebt heute noch
bei allen weinbautreibenden Deutschen in seiner
Mostwaage weiter.

Feuer zerstört die Erde / von Franz nirti

e r

Oer Weltuntergang in Hebels „Vergänglichkeit" und in „Muspilli"

„Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis". Wer
durch das Inferno eines Bombenangriffs, durch
die Zerstörungswelle eines Trommelfeuers hindurchging
, möchte dieses Erleben nachträglich
wohl in ein irgendwie sinnvolles Weltbild einreihen
und sucht nach dichterischen Gestaltungen
, die nicht nur eine Schau, sondern auch eine
Deutung eines solchen verheerenden Geschehens
geben. Von Johann Peter Hebel, dem angeblich
biedermeierischen Kalendermann, dem vermeintlichen
Idylliker, wird man kaum eine dichterische
Widerspiegelung solcher elementarer Vernichtungsvorgänge
erwarten. Und doch wird der
Kenner Hebels hier auf jenes merkwürdige und
erschütternde alemannische Gedicht „Die Vergänglichkeit
" hinweisen können, auf eine der gewaltigsten
Visionen des Erduntergangs.

Großartig in ihrer bildhaften Eindringlichkeit
ist schon die Eingangsbetrachtung, in der die
Ruine des Röttelner Schlosses in einen Vergleich
gestellt wird mit dem „schaudrigen" Tod im Basler
Totentanz. Die kindliche Frage seines Enkels
beantwortet der „Ätti" mit einer tiefsinnigen
Betrachtung über die Vergänglichkeit, in deren
Zeichen ihm das ganze Weltgeschehn zu stehen
scheint, in dem „alles fließt", alles kommt und
geht. Basel, die prächtige Stadt, werde auch einmal
etwas Gewesenes sein. Der Alte, gepackt von
seinen eigenen, seltsamen Vorstellungen, schildert
dem erschrocken lauschenden Enkel eine
schauerliche Vision des Untergangs der Erde im
Feuer:

der Himmel, und es dunderet überall,

zerst heimli, alsgmach lut, wie sellmol,

wo Anno sechsenünzig der Franzos

so uding gschosse het. Der Bode wankt,

aß d'Chilchtürn guge; d'Glocke schlagen a,

und alles bettet. Drüber chunnt der Tag,

o, b'hüet is Gott, me brucht ke Sunn' derzue:

der Himmel stoht im Blitz un d'Welt im Glast,

und endli zündet's a und brennt und brennt,

wo Boden isch, und niemes löscht. Es glumst

wohl selber ab.

Ein Bild, gefüllt mit der Anschauung apokalyptischer
Dinge, genährt aus dem Erlebnis der
Kriegsschrecken. Der Alte, dessen frommer Sinn
dem Enkel ans Herz legt, sich gut zu halten, weist
schließlich darauf hin, daß er dann von den Sternen
herab die ausgebrannte Erde und Heimat
sehen werde: den verkohlten Belchen neben seinem
Nachbarn, dem Blauen, zwei alten Türmen
vergleichbar, und dazwischen alles ausgebrannt
bis tief in den Boden hinein. Der heimatliche
Fluß, die Wiese hat kein Wasser mehr, alles ist öde

und schwarz und totenstill, so weit man blickt.

Der tiefere Sinn des in seinem Gegenstand wie
in seiner Gestaltungskraft gleich gewaltigen Gedichts
ist — entgegen der sonstigen lehrhaften
Art Hebels — nicht geradezu ausgesprochen.
Diese -Verse sollen den Leser nicht entmutigen
durch Betonung der Endlichkeit alles Irdischen,
sondern hinführen zum Unvergänglichen, Ewigen
, das auch in einem reinen Gewissen seine
Wohnung hat.

Es ist kaum denkbar, daß der alemannische
Dichter Kenntnis hatte von dem über tausend
Jahre alten Gedicht „Muspilli", das auch die Vorstellungen
von der einstigen Zerstörung der Erde
durch ein geheimnisvolles Feuer mit ähnlichen
Gedanken verbindet. Der Dichter des „Muspilli",
ein bayrischer Klostergeistlicher, schildert den
Kampf der Engel und Teufel um eine Seele. Der
Antichrist wird von Elias besiegt. Das Blut des
verwundeten Siegers tropft auf die Erde herab
und setzt sie in Brand:

Es entbrennen die Berge, kein Baum bleibt mehr
stehen auf der Erde, die Wasser vertrocknen,
das Meer verzehrt sich, es verbrennt in Lohe
des Himmels,

der Mond fällt herab, es brennt die Erde,
kein Stein bleibt stehen. Dann fährt der
Gerichtstag ins Land,

er fährt daher, um mit Feuer die Erde heimzusuchen
,

dann kann kein Verwandter dem andern helfen
vor dem Weltenbrand.

Wenn dann der breite Erdwasen ganz verbrennt
und Feuer im Sturm alles wegfegt,
wo ist dann die Feldmark, um die man immer
Streit führte mit Verwandten?

Nicht bezwungen ist die Seele durch das Überwältigende
der Zerstörung oder die Erkenntnis
der Vergänglichkeit der Erdendinge (etwa der
Feldmark, um die man mit Verwandten herumstritt
!), sondern durch die ihr gewordene Gewißheit
ewiger Werte. Alles dingliche Sein bewegt
sich, wie Heraklit lehrte, im Strome ewigen Entstehens
und Vergehens, und so bemühen wir uns
wohl in den schmerzlichen Bildern der Zerstörung
eine Auswirkung der Weltvernunft, des
„Logos" zu erkennen. Deren Sinn und Ziel ist
uns aber verborgen!

Zu solchen Gedanken lenkt uns Johann Peter
Hebel hin, der aus seinem humanistisch geschulten
Wissen heraus und in dichterischer Schau ein
Bild der letzten Dinge gibt, das auch den schlichtesten
Leser etwas ahnen läßt von den Geheimnissen
der Welt.


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