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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-02/0004
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Die Markgrafschaft

Die Frauen vom Wandererhof

Von Lina Ritter

a

Das Anwesen bestand aus dem großen, breit-
hingelagerten Bauernhaus, dessen Dach bis fast
zur Erde reichte, darunter Wohnung, Ställe und
mächtige Hausspeicher sich befanden. Daneben
gab es Schuppen, Fruchtscheunen, Gerätespeicher,
Bienenhaus und eben unser „Häusle", ein Leib-
geding, das wir gemietet hatten, in gemessener
Entfernung. Es war, wie bei allen Höfen in den
einsamen Jochspalten des südlichen Schwarzwaldes
, eine Monarchie für sich. Man sah aus
unserer Mulde nur auf drei andere Höfe; das
übrige Dorf lag hinter dem dunklen Tannbühl,
oder verstreut zwischen sieben Bergen.

Also wir wurden akzeptiert, durften für das
Jahr mieten und verbrachten mit unseren Kindern
alle Ferientage oben. Das erste Jahr verging
mit Erfassung all der Eigenheiten dieser Menschen
und Natur: der Geborgenheit in den tiefen
Wäldern, der überraschenden Ausblicke, der
Hochflächen mit weidenden Herden, der jäh abstürzenden
Wälder, der zähen, mühsam arbeitenden
Leute, ihrer Genügsamkeit, ihres frommen
Väterglaubens.

Der Bauer war schaff ig und wach; am Sonntag
nachmittag versammelten sich in seiner Kegelbahn
die Freunde von den anderen Höfen, oder
man ging zur Jagd. Die Söhne verabredeten sich
im Dorf zum Tanz, bis der Krieg ausbrach. Für
den Jüngsten, den tüchtigen, immer frohen Hoferben
wurde der Krieg zum Totentanz. Der andere
kam nach langer Gefangenschaft unlängst
krank zurück.

So war es auf tausenden von Bauernhöfen; was
aber am Wandererhof im Besonderen zu rühmen
ist, daran sind seine Frauen schuld. Im Laufe der
fünfzehn Jahren, da wir nun im Häusle wohnen,
lernten wir allgemach alle Höfe und ihre Inwohner
kennen. Aber nirgend anderswo gab es
Frauen, wie sie auf dem Wändererhof wirken.

Die Jahre vergingen; auch der Jüngste vom
Hof, damals noch ein Knirps, wurde Hütbub, half
auf den Feldern und im Wald. Unsere Kinder
verlebten alle Ferien oben, tummelten sich im
Winter mit Skiern auf den Hochflächen. Hof und
Häusle vertrugen- sich gut.

Aber das Besondere begann erst in der Notzeit:
aJs unser Haus in der Stadt ein Opfer der
Bombenangriffe wurde, und wir Obdachlosen
über die Zufluchtsstätte im Häusle froh
sein mußten. Spät in der Nacht, am Vorabend
vor Nikolaus, als wir endlich einen
Wagen auftrieben, der eines Schneesturms
^ halber zwei Kilometer vor dem Ziel umkehren
wollte, kamen wir auf dem Hof an. In der großen
Stube saßen schon andere Ausgebrannte. Sie
schauten uns mit den gleich starren Augen an,
die wir wohl auch im entsetzten Antlitz stehen
hatten; das Grauen vor der Unerbittlichkeit des
Schicksals war in jenem Winter in alle Gesichter

tief eingegraben worden. In dieser Stunde, da wir
nicht mehr als Herrenleute, die sich eine eigene
Sommerfrische halten können, aber als Bettler
kamen, zeigten sich die Frauen vom Wandererhof
in ihrer ganzen Einmaligkeit. Auch jetzt redete
die Bäuerin kaum ein Wort, nickte uns nur liebevoll
zu. Beate sagte schlicht: „Wir haben schwer
gebangt um Euch. Nun seid Ihr da." Und Irma
sprang ins Häusle hinüber, warf ein paar Wellen
in den Ofen. Franzi hörte ernst auf unsere karge
Beschreibung der Zustände nach dem Angriff;
dann füllte sie ungeheißen ein paar Bettflaschen
und trug sie hinüber in die lange nicht benutzten
Betten.

Die Meinen mußten am nächsten Wochenanfang
wieder hinunter zur Arbeit und Lehre; ich aber
blieb oben, weil keine Wohnung aufzutreiben
war. Und nun, da ich jede Sonne über dem Wandererhof
auf- und untergehen sah, da ich das
nächtelange Sturmheulen, die undurchdringlichsten
Nebel, den meterhohen Schnee als Schutz,
als Gnade empfinden lernte, — weil dann vielleicht
die Bomberheere ausblieben — formte sich
in mir das Hohelied auf die Frauen vom Wandererhof
.

Denn der hervorragendste Zug an ihnen, was
sie weit, weit über die meisten Bauern heraushebt
, ist ihre immerwährende, aus tiefstem Herzen
kommende Güte und Menschenfreundlichkeit.
Hier wurde dem armen Städter nicht nur gegeben
, weil er Tauschartikel anbot, hier ging keiner
ohne Gabe fort. Auch wenn sie von Unwürdigen
ausgenützt wurden, blieben sie gütig. Je
mehr Hamsterer den weiten Weg auch in diesen
abgelegenen Teil des Schwarzwaldes fanden,
umso größer wurde das Verständnis und Mitgefühl
der Wandererfrauen. Auf ein paar Kartoffeln
, oder einen Löffel Schmalz, ein Glas Milch
durfte jeder zählen, auch wenn er nach Schnaps
stank oder das Weib so verwahrlost aussah, daß
man Ekelgefühle kaum unterdrücken konnte. Wie
lehrten mich die Wandererfrauen, die letzte
Überheblichkeit abzutun! Sie wurden für mich
mit jedem Tag, mit jedem neuen Erlebnis die
strahlende Verkörperung der Weisheit meines
geliebten Laotse:

Zu den Guten bin ich gut,

zu den Nichtguten bin ich auch gut,

denn das Leben ist die Güte.

Ich zitiere wörtlich einige Eintragungen aus
meinem Hüttentagebuch:

18. Februar.

Heute, Sonntag, fünf Städter zum Mittagessen,
außer der Familie Ä., die als Flüchtlinge ständig
hier wohnen. Frau A. schafft mit und flickt, aber
das Töchterlein ist etwas verwöhnt und vorlaut,
— wie alle Stadtkinder. Die Bäuerin schaut sie


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