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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-02/0005
- Die Markgrafschaft

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manchmal bedächtig und gut an; auch die Kleine
wird die Weisheit des Schweigens hier oben
lernen,

20. Februar.

Heute nur ein fremder Gast: Martha, die
Masseuse, welche den gebrochenen Fuß der Weckhofbäuerin
massieren muß. Dort bekommt sie
nichts zu essen, trotzdem sie einundeinehalbe
Stunde durch den hohen Schnee über drei Berge
zu gehen hat. Da nimmt sie den Rückweg natürlich
über den Wandererhof.

21. Februar.

Heute wurden zwei Soldaten, die Kartoffeln
aufkauften, zum Essen dabehalten.

22. Februar.

Die Männer gehen heute zum ersten Mal aufs
Feld, Mist führen. Ihre Silhouetten heben sich
in der klaren Winterluft herrlich* ab. Hat nicht
jeder einen Heiligenschein nicht nur um das
Haupt, sondern um die ganze Gestalt? Der Doktor
Dill, der heute Vesperbrot und Milch von den
Wandererfrauen liebevoll dargeboten erhielt,
würde das vorher physikalisch erklärt haben.
Nach dieser unverlangten Darbietung aber geht
er erhoben in die Hölle der Stadt zurück. Wie
oft mußte er wohl vor den Tieffliegern in die
Bachrine oder in eine Feldfurche flüchten?

23. Februar.

Heute wieder vier Soldaten, die nicht genug
Kartoffeln auftreiben konnten in der Gegend.
Natürlich bekommen sie hier die fehlenden und
ein gutes Mittagessen dazu.

24. Februar.

Mechaniker B. mit Frau. Dazu Fräulein N., die
im Lukashof höhnisch abgewiesen wurde. Mir ist
manchmal so froh zu Mute, wie in der Kirche,
wenn ich den Blicken der Bäuerin folge, wie sie
fast ehrfürchtig den Aller ärmsten anschaut:
Wenn du nicht Christus selber bist, der uns hier
aufsucht, dann bist du bestimmt sein liebster
Bruder!, scheint sie dem Gast sagen zu wollen.

6. März.

Heute 60. Geburtstag des Bauern., Die ganze
Flüchtlingskolonie tritt an. Stadtkinder sagen
Sprüchlein auf. Zum Mittagessen außer den
Eigenen (der Pole ist nächstens auch schon vier
Jahre auf dem Hof und wie der älteste Sohn
gehalten) noch acht Ausgebombte; zum Kaifee
werden wahrscheinlich noch mehr erscheinen. Ich
schämte mich dieses Massenandrangs und floh
ins Häusle.

7. März.

Viele Soldaten unterwegs, lauter junge Bürsch-
lein. Sie erhielten alle Most, Milch und Brot.—
Ukrainerin vom Bengelehof. Sie soll den Rahm
von der Milch abgetrunken haben, weil die geizige
Bäuerin ihr jeden Bissen vergönnt, und wird
dem Ortsbauernführer zur Maßregelung vorgeführt
. Er hört sich die Anklage der hageren Rippe

an, die dann mit Getöse abgeht. Unser Bauer
besinnt sich. Die Wandererbieri holt Speck, Brot
und Milch, Beate Teller und Messer. Mit blanken
Augen bieten sie dem armen Mädchen das kräftige
Mahl.

23. März.

Zwei Kinder vom Roggenberg, ein Soldat,
Professor W. und Frau zum Essen. Zum Vesper
Frau B. Die Flieger in reger Tätigkeit.

6. April.

Einquartierung: elf Mann hoch. Sechzehnjährige
Kinder sollen hier oben für den Krieg ausgebildet
werden. Hunger und Müdigkeit schauen ihnen
aus den bleichen Gesichtern. Das ist Hohe Zeit
für die Wandererfrauen. Da die Gulaschkanone
ausbleibt, kochen sie für alle. Abends bekommen
sie das Feldküchenessen als Nachtisch. Die
Bürschlein starren auf die Bäuerin und Beate, als
schauten sie vor dem Gang zum Henker noch
einmal Mutter und Schwester.

10. Aprü.

Vier Tage blieben die elf Kinder bei vollständiger
Verpflegung auf dem Wandererhof. Heute
nacht mußten sie plötzlich fort. Einige weinten.

20. April.

Artilleriefeuer näher. Man munkelt, die Franzosen
stünden hinter den Bergen. Durchziehende
Truppen, auch Einzelgänger, müde, mit zerrissenen
Sohlen. Wer ankehrt, bekommt zu essen, oft
noch etwas mit.

22. April.

Unten soll der Sieger eingekehrt sein. Hier
oben ziehen endlos, Tag und Nacht, die Reste der
deutschen Truppen vorbei. Fast alle zu Fuß.
Trostlos.

Als dann ein paar Tage später ein Kommissar
kam und Johann, der Pole, quasi als Belastungszeuge
zugezogen wurde, floh die Bäuerin hinter
unser Häusle. Sie konnte den Anblick ihres Hofes
nicht ertragen, darin die vielleicht ungerechten
Richter saßen.

Ich erspähte sie plötzlich und ging zu ihr:
„Jetzt wird sich die Wahrheit des Satzes erweisen
, der meiner Mutter Wahlspruch war: Guten
ergeht es am Schlüsse doch gut!"

Die Wandererleute leben im Frieden. Keine
durchziehende Truppe plünderte; die verlangten
Eier, Hühner und Gänse wurden fast immer bezahlt
. Der einzige Fanatiker, der mit angeschlagenem
Gewehr den Hof betrat, wurde angesichts
des stillen, schönen Antlitzes der Bäuerin gesittet.
Nach dem guten Eierkuchen sprach er von der
zukünftigen Europa-Union, und einer einstigen
Weltliga aller Gutgesinnten.

Die Frauen vom Wandererhof tragen ihre
Fahnen voran!


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