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Die Markgrafschaft

Si me amas — ?

Eine Kunde ^aus der klassischen Badezeit Badenweilers

Von Rudolph Vogel t

(Fortsetzung.)

Der Deutsche hat vor allem Achtung, was er
nicht versteht. Wer auf Deutsch dummes Zeug
schwätzt, ist ein Narr; wer aber die gleiche
Dummheit auf lateinisch sagt, gilt als gebildeter
Marin und erregt Bewunderung. Der alte Haudegen
genoß bald das Ansehen eines bedeutenden
Kopfes, und wenn er mit der Miene des Kenners
auf seltsame Fragen ohne langes Besinnen eine
noch viel seltsamere Auskunft gab und seine
Rede — loco sigilli — mit einem feierlichen
„Dixi" schloß, hätte sich keiner mehr zu lachen
getraut. Kein Wunder, daß man ihn bald allgemein
den Dixi nannte; aber als kluger Mann
wußte er den Spott zu seinem Vorteil zu kehren,
indem er den Ubernamen als eine Art Ehrentitel
in Anspruch nahm. So galt endlich der Ausdruck:
„Der Dixi hat's gesagt" in allen strittigen Dingen
als Berufung auf eine abgemachte Sache und ein
endgiltiges Urteil letzter und höchster Instanz.

Der Dixi war es also, zu dem Abnoba nunmehr
ihr' schwer beunruhigtes Herz führte. Der Veteran
hörte sie mit Schmunzeln und betrachtete das
Kleinod von vorn und von hinten mit der tiefsinnigen
Miene eines gewissenhaften Naturforschers
, der irgend eine unbekannte Spezies von
Schildlaus vor sich hat und seine Sache gründlich
nimmt. Dann begann er zu buchstabieren. Diese
an sich schon erstaunliche Kunst, die er sich in
der römischen Soldatenschule angeeignet, erregte
die Jungfrau aufs tiefste. Wie die Geisterstimme
eines Abgeschiedenen klangen ihr aus dem Munde
des Alten die gleichen Worte entgegen, die ihr
einst ein ganz anderer Mund beim Scheiden zugeflüstert
. Es war ihr wie ein seliges Wunder,
und leise bildete sie mit ihren Lippen die fremdartigen
Laute nach.

Mit dem Buchstabieren allein war es nun freilich
in diesem schwierigen Falle nicht getan, und
die lateinische Grammatik hatte schon in der
Soldatenschule zu den schwachen Seiten des hartköpfigen
germanischen Rekruten gehört. Bis zur
ersten Konjugation hatte er es nicht gebracht.
Indes begegnet das viel verbreitete und wohlgelittene
Wörtchen amo — amas — amat mit
allen seinen netten Seitenverwandten einem rechten
Kriegsmann bekanntlich auch außerhalb der
Schulstunden. Der Dixi hatte in dieser Hinsicht
manches Angenehme erlebt, an das er viel dachte,
von dem er aber wenig sprach. Mit der Gewandtheit
des Vielerfahrenen glitt er also über alle
grammatikalischen Schwierigkeiten der Form
leicht hinweg und hielt sich an die Sache. „Kind",
sagte er geheimnisvoll lächelnd, „diese Runen
bergen einen Zauber, das hat seine Richtigkeit;
aber heillos ist er nicht; dafür geht der guten
Alten von Egerten das rechte Verständnis ab. Er
ist im Gegenteil ungemein süß; doch entfaltet er
seine Wunderkraft zumeist nur zwischen jungen
Leuten, die sich gerne etwas sagen möchten und
Wissens nicht recht in Worte zu kleiden. Behalt

das hübsche Ding; und wenn du je einmal an
einen Römer ein recht herzliches Anliegen hast,
so sieh zu, daß du es ihm heimlich zusteckst. Und

wenn er dich dann ansieht--na, dann ist er

halt bezaubert, das kannst du mir dreist glauben,
und er kommt dir nimmer aus! — Dixi!"

Abnoba schied erleichtert, aber nur halb getröstet
. Der Dixi hatte recht wie immer. Ach ja!
Süß war der Zauber der Runen, und sie hätte
das Kleinod nicht missen mögen. Aber heillos
war er nicht minder; die weise Frau behielt auch
Recht.

*

Mit dem Zaubern ist es heute zu Ende. Die
Wissenschaft hat die Welt gründlich entzaubert
und alles, was nach Zauberei aussah, auf mathematische
und chemische Formeln gebracht. Die
alten Hexen hat man verbrannt und ausgerottet
mit Stumpf und Besenstiel — der junge Nachwuchs
studiert und betreibt das Geschäft wissenschaftlich
. Interessiert sich einmal eine solche
moderne Hexe für unser Herz, so ist es nur, um
einen Herzklappenfehler zu diagnostizieren und
etwas Süßes kommt nicht dabei heraus, es sei
denn, daß sich etwa pathologisch Zucker nachweisen
ließe; das ist aber keine Hexerei. Nur
ein Zauber gedeiht, aller Wissenschaft zum
Trotze, nach wie vor: das ist der sogenannte
„faule Zauber".

Daß gar' ein lebloses Ding* eine bronzene
Spange etwa, Wunder wirken könne, glaubt
heute keiner mehr. Man schenkt sie- sich; und
Geschenke geben und nehmen ist ein Besitzwechsel
durch eine Handlung, die mit allen ihren
Konsequenzen unter den Rechtsbegriff der
donatio inter vivos fällt. Der Beschenkte kriegt
sie und der Geber ist sie los: damit basta!

Untersucht, überlegt, deduziert und redet so
viel ihr wollt; das ist einfach nicht wahr! Noch
heute wohnt in jedem rechten Geschenk der alte,
herzensmächtige Zauber, der Wunder über Wunder
wirkt. Es übt einen geheimen Bann aus,
geht nicht einfach von Hand zu Hand, sondern
zieht ein unsichtbares Band von Herzen zu Herzen
; es bindet, verbindet, verpflichtet beide, den
Schenker wie den Beschenkten!

Lucius Javolenus Priskus, Abnobas dankbarer
Patient, war in der Tat germanischen Geblüts,
wie mancher der damaligen Römer, der nichts
davon ahnte. Sein Großvater hatte noch die germanischen
Hosen angehabt und das freiwachsende
Blondhaar über dem Scheitel in einen Knoten
geschürzt. Nach wilden Abenteuern war er in
Rom bei den kaiserlichen Prätorianern eingetreten
und hatte dort einen alten, wackelbeinigen
römischen Ritter kennen gelernt, dessen erlauchtes
Geschlecht aus dem etrurischen Marktflecken
Javolae stammte. Sein Stammbaum war alt, aber


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