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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-03/0004
DIE MARKGRAFSCHAFT

Nr. 3 / 2. Jahrgang Monatszeitschrift für das Markgräflerland

März 1950

I Von L. Börsig

Da war zuerst irgend etwas in der frischen
Vorfrühlingsluft, ein feines Läuten, wie von weit
her, in der zarten Märzbläue über die dreifältige
Landschaft schwingend, über der braungrünen
Ebene, zwischen den zu schimmern anfangenden
Hügeln und an den blauen Bergen hin. Und da
waren die ersten Kätzchen am Bach, braungold
und silberweiß schaukelten sie im Wind, der sich
instrengte, die Falten aus versorgten Winter-
.esichtern wegzublasen. Und dann traf ein klei-
xier zauberhafter Vogelruf aus dem knospenden
Baum, der so lange in der Kälte fror, unser Ohr:
ein geheimnis- und verheißungsvoller Vorbote
einer wunderbaren Wiederkehr: Zyt isch do! Jawohl
, und schon antwortete es aus der Nachbarschaft
, drüben und hüben: Zyt isch do. Die brave,
treue Chunscht, 's Plätzli, bleibt heute allein in
der großen Stube; in einem Winkel wartet
d'Strickete verwundert auf den Sunntig: es geht
wieder hinaus in die große Werkstatt Gottes; in
den Rebbergen und auf den Äckern wird es
lebendig. Zyt isch do.

Ganz plötzlich ist sie gekommen und ganz ohne
Lärm. Ein kleiner gefiederter Sänger war ihr
Herold. Sie brauchte weiter keine Pauken und
Trompeten, keine Böller, keine schreiende Reklame
. Sie ist die stillste und zugleich die größte
Revolution des Weltgeschehens. Sie ist so still
und so mächtig wie Gottes Atem, der durch die
Schöpfung geht und das Wunder der Auferstehung
vorbereitet. Sie ist wie der Tag, der in der
stillen Frühe über den Blauen steigt und am
Abend in einem großen Leuchten und in der gleichen
Stille hinter den dunkelnden Vogesen versinkt
. Die Zeit macht so wenig Geräusch wie eine
Kerze, deren Leuchten man nicht hört, die nicht
redet und nicht schreit, und die doch eines der
größten Wunder, das Licht, verbreitet. Baum und
Strauch beginnen zu knospen, da und dort zeigt
sich das erste Grün, Schneeglöckchen scheinen
uns wie Kinder, die es nicht erwarten können,
bis sie ins Freie dürfen. Und das alles, das Erwachen
der Natur, der Wiesen und Felder, das
Anwachsen des Lichtes, das Treiben des Saftes in
den Bäumen, geschieht so völlig ohne Lärm und
Propaganda, daß es schon viele Menschen nicht
mehr bemerken.

hat unser inneres Gehör, das allein imstande ist,
das stille und wunderbare Geschehen ganz zu
begreifen, taub gemacht. Es geht uns wie unvorsichtigen
Kanonieren. Das Trommelfell, das diese
zarten Schwingungen aufnehmen und weiterleiten
soll in das Bewußtsein, ist geplatzt. Und weil
wir taub geworden sind, schreit die Propaganda,
die Reklame, die Politik, Rundfunk und Presse
immer lauter und bewirkt seinerseits nur, daß
wir so taub werden wie ein Holzschuh. Wir brauchen
überall Rekorde. Daß 1500 km Stundengeschwindigkeit
im Flugzeug eine „tolle Sache*'
ist, begreift eben auch der Holzschuh. Und daß
135-Meter-Sprünge beim Skilaufen „bombig" sind,
begreift auch das Skipüppchen, das sich nach dem
Springen in der noblen Hotelhalle von den anstrengenden
100 Meter bis zur Schanze erholen
muß, wenn sie abends bei Sekt und Gesellschaftstanz
keine komische Figur machen will. Hauptsache
: man ist dabei gewesen!

Wenn man diesen Gedanken etwas weiter spinnen
wollte, so könnte man in die Versuchung
kommen, auch die Erfindung der Atomzertrümmerung
bzw. der Atombombe auf die Sensationsgier
und die Rekordsucht der Menschen zurückzuführen
. Aber man würde die eigentliche Ursache
noch nicht gefunden haben. Sie liegt tiefer
und scheint deshalb um so verborgener zu sein,
weil wir im allgemeinen nichts davon wissen
wollen. Sie ist in der Glaubenslosigkeit und damit
logischerweise im Fortschritts-Hochmut begründet
. Diese Ursache ist schuld, daß wir unser
Kinderland verlieren, jene unschuldige Freude,
mit der wir einmal das erste blühende Kätzchen
am Bach begrüßten, jenes kindliche Staunen um
die erste Blüte in unserem Gärtlein, das genau so
viel Wunderkraft der Schöpfung enthält wie die
größte Atombombenfabrik in dem Land der „unbegrenzten
Möglichkeiten". Ob nicht der kleine
Vogel in dem knospenden Baum mit seinem „Zyt
isch do" auch ein wenig daran erinnert, daß es
Zeit ist, höchste Zeit sogar, zur Besinnung, zur
Umkehr und Einkehr? Dazu ist keine „Butterblumenromantik
" notwendig und keine Spintisiererei
, die nur zum Fanatismus der Sekten, den
Werkzeugen der Dummheit, führen würde. Aber
das ist vielleicht nötig, was J. P. Hebel meint:

Der Sensationsrummel, dfer sich in fast allen
Bezirken unseres öffentlichen Lebens breit macht,

O gebis Gott e Chindersinn!

's isch große Trost und Sege drinn.


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