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8 Die Markgrafschaft
Si me amas — ?
Eine Kunde aus der klassischen Badezeit Badenweilers
Von Rudolph Vogel f
(Schluß.)
Daß das Germanentum in alle Wege nur mit
Germanen überwunden werden könne — dieser
Kardinalsatz aller späteren römischen Staatsklugheit
, ist der weltbeherrschenden Roma damals
zuerst und zwar ganz allmählich aufgegangen.
Die alte sieghafte Kraft des eingeborenen römischen
Volkstums war dahin — der Rest war eine
gerissene diplomatische Schlauköpfigkeit, welche
nach den Grundsätzen rücksichtslosester Staatsräson
mit Menschen und Völkern wie mit Schachfiguren
spielte.
Fortan waren es Germanen, die wider Germanen
Roms Sache führten und Roms Schlachten
schlugen, und fast möchte es scheinen, als wären
wir aus dieser traurigen Epoche der Weltgeschichte
immer noch nicht völlig heraus.
Den ersten Anstoß gaben stets die „angestammten
" freundnachbarschaftlichen Katzbalgereien,
etwa wegen einer verlaufenen alten Kuh öder
eines völkerrechtswidrig verprügelten Lausbuben,
ohne welche dem Deutschen nun einmal nicht von
Herzen wohl sein kann. Nahm ein solcher Streit
um die höchsten Güter ernsthafte Formen an, so
war des Römers Ernte schnittreif. Die Sache war
bequem und lächerlich einfach. Als geriebener
Advokat schlug er sich zu einer Partei, einerlei
'zu welcher, und waltete seines Amtes so lange
und so gründlich, bis der Unterlieger „vae mi
victo!" und der Sieger „vae mi, vici!" *) schrie,
das heißt, bis der freundliche Advokat beide im
Sack hatte.
Diesem Verfahren, das der Römer schalkhaft
„befriedigen" (pacare) nannte, war endlich auch
die Unabhängigkeit der Alemannen zum Opfer
gefallen. Zwei Dörfer — die Namen sind nicht
überliefert — stritten lange und heiß um eine
Wassergerechtsame, obwohl der umstrittene Quell
mehr Wasser lieferte, als beide zusammen je gebrauchen
konnten. Nichts war nun einfacher, als
daß der Römer das eine Dorf durch das andere
expropriierte und nicht nur das Wasser für sich
in Besitz nahm, sondern zur Vermeidung künftigen
Streites, das Land dazu. Das übrige machte
sich von selbst. Nach kurzer Zeit herrschte der
römische Legionär vom Rhein bis zu den unwegsamen
Höhen des Schwarzwalds, legte Wälle und
Kastelle an, und der Senat in Rom nahm das
Land in Verwaltung. Die streitsüchtigen Alemannen
waren endlich „befriedigt", und so viele ihrer
mit diesem Ausgange der Wasserfrage nicht einverstanden
waren, die brachen ihre Blockhäuser
ab, luden die Balken auf die Wagen, spannten
ihre Kühe davor und zogen eine Strecke weiter,
um bei nächster Gelegenheit, von den Römern
ungestört, irgend einen neuen Streit zu beginnen.
So ward Quell und Land fiskalisch, und Lucius
Javolenus Priskus, der erste Badegast, betrat
*) „Wehe mir, daß ich besiegt!" — „Wehe mir, daß ich
gesiegt!"
nunmehr auch als erster Vertreter fiskalischer
Amtsgewalt den alemannischen- Boden.
Nun zinste der Bauer und bezahlte mit dem
Zehnten die Prozeßkosten, das freie Land ward
Dekumatland. Und wie sah es aus! Lucius kannte
die Heimat seiner heiligen Erinnerungen nicht
wieder. Matten und Felder waren zerstampft, die
Wälder verwüstet, verrottet, und wo ehemals der
heilige Hain in fast südlicher Üppigkeit geprangt,
stockte trübes Wasser in einer schlammigen, wild
überwucherten Bodensenke, ein Paradies der
Frösche, welche durch ihr nächtliches Geschrei
einen anwohnenden römischen Ritter um sein
letztes bißchen Verstand brachten. Der römische
Amtspräfekt sah es mit Schaudern. Was wohltätige
Götter hier einstmals in Jahrhunderte
langem stillen Wirken geschaffen, jener lebendige
natürliche Tempel, der ihre unsichtbare Macht
den ehrfürchtigen Blicken der Menschen sichtbar-
lich geoffenbart, es war von frevelnden Händen
gestürzt, vernichtet, und keines Menschen Wille
vermochte das herrliche Kunstwerk schöpferischer
Natur nachahmend wieder herzustellen. So mußte
denn Menschenwerk an die Stelle von Gotteswerk
treten, und eifrig machte sich Lucius an die
pietätvolle Arbeit. Der Quell ward gefaßt, und
bald rann in alter Klarheit die warme, blauschimmernde
Flut durch bleierne Röhren in weite
, marmorne Becken. Mauern und friesgekrönte
Säulenreihen erhüben sich, wo einst Eichen,
Buchen und Tannen mit himmelanstrebenden
Wipfeln das Licht der Sonne gesucht. An der
Stelle aber, wo einst der totwunde Flüchtling
flehend vor der herrlichen, germanischen Frauengestalt
gekniet und nach ihren hilfreichen Händen
gefaßt hatte, da entstand der Göttergleichen
ein Marmorbildnis von römischer Künstlerhand,
und ihr Altar trug die Inschrift: Dianae Abnobae.
Das menschliche Urbild dieses marmornen
Schwarzwaldgenius *) aber wußte und ahnte nichts
von dieser Apotheose durch den Römer, von dem
sie sich für immer geschieden wähnte, ob sie ihn
gleich im warmen Mädchenherzen trug. Abnobas
Vater hatte mit seiner gesamten Sippe die geschändete
Heimat verlassen, rodete im freien
Quellgebiet der Wisaha **) Neuland und trieb «ein
Vieh auf die Bergweiden des Belchen und des
Feldbergs — freilich auch dort nicht unbehelligt.
Bei einem solchen Scharmützel geschah es, daß
Abnobas Vater in der Talenge der kleinen Wiese
zwischen zwei feindliche Abteilungen geriet und
nach verzweifeltem Widerstand mit dem Rest
seiner Kampfgenossen in die Hände des Militärtribunen
fiel. Stolz führte der Offizier seine Gefangenen
nach dem Sitz des Präfekten. Es war
(Fortsetzung auf S. 12)
*) Auf der ptolomäischen Karte ist der Schwarzwald als
Abnoba-Gebirge eingezeichnet.
**) Jetzt „Wiese".
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