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Die Markgrafschaft
lachte man schon über den komischen Alten, den
,Narren", der hartnäckig an die Türen der Behörden
klopfte, einen zweiten Prozeß laufen hatte
und der allen Ernstes behauptete, Kalifornien
würde ihm gehören. Noch immer lief der Prozeß,
von dem Sutter sich eine letzte Gerechtigkeit erhoffte
, nicht aber ahnte, daß Prozesse einen
längeren Atem als die Menschen haben können.
Dies erfuhr er erst, als er am 17. Juni 1880 auf
den Stufen des Kongreßgebäudes in Washington
tot zusammenbrach. Ein Herzschlag hatte dem
zwiespältig-erdgebundenen und abenteuerlichen
Leben ein gnädiges Ende gesetzt.
In Sacramento aber, im Fort Sutter, nicht weit
von der Stelle, wo Sutter zuerst kolonisierte,
steht eine Eiche. Als Denkmal heimatlicher Erde
wurde sie vor elf Jahren von der Gemarkung
Kandern dem Lande überlassen, das ihm den
Namen eines „Kaisers von Kalifornien" gab und
ihn als Kolonisator in die amerikanische Geschichte
eingehen ließ.
Karl Kraus-Mannetstätter
Si me amas — ?
(Fortsetzung von S. 8)
zwar ein mäßiges Geschäft; denn die Handvoll
gefangener Alemannen hatte ihm die Hälfte seiner
Mannschaft gekostet; aber ein Germanen-
fürst in Ketten war in Rom ein sehr rarer Artikel
und machte den Schaden bezahlt.
In der Halle von Abnobas Sippe herrschte
schweigende, zornige Wut. Man kannte Roms
Gepflogenheiten aus finstern, alten Berichten. Die
stolze Tugend des germanischen Kriegers, der im
niedergerungenen Feinde den tapferen Gegner
achtet und sich damit selbst ehrt, war für jenes
bildungseitle, dickgepanzerte Kriegsgesindel eine
unbekannte und unbegriffene Sache. Das Schicksal
des deutschen Fürsten, gefesselt dem io
triumpe heulenden hauptstädtischen Pöbel als
Schauspiel dienen zu müssen, war unabwendbar.
Hätte man selbst die weitzerstreute Mannschaft
des Gaues beieinander gehabt, es blieb ein unmögliches
Wagnis, den Feind in seinem festen
Lager anzupacken. Rache zu nehmen, früher oder
später, das schwur man; aber Rache war nicht
Rettung.
Abnobas Herz bebte vor Scham und Empörung
über die drohende Schändung des stolzen, nie
besiegten Vaters; aber sie blieb still für sich hin.
Sie dachte nicht und überlegte nicht; eines stand
ihr unverrückbar fest wie ein dunkles Schicksalsgebot
: ihn zu retten oder mit ihm zu leiden. Ihr
Platz war an seiner Seite.
Und wie eine Eingebung fiel ihr da das seltsame
, närrische Zeug in Sinn, das ihr der Dixi
einst von der Zauberkraft der Spange gesagt
hatte. Wenn sie die Probe bei dem Präfekten
machte, der ihres Vaters Los entschied? Sie zog
das Kleinod hervor und wiederholte sich flüsternd
die geheimnisvollen Fremdworte, die sie der Dixi
gelehrt. Heimlich in der Frühe brach sie auf und
eilte einsam auf wenig begangenen Pfaden zu
jenen Stätten, wo ihr einst ein Neues, auch jetzt
noch Unbegriffenes aufgegangen. Ihr Herz ward*
von den allerwunderlichsten Empfindungen hin
und hergetrieben. Das Bild ihres Pfleglings
schwebte vor ihr und ließ nicht von ihr ab. Sie
sah ihn, wie er kam, wie er schied, wie drüben
überm Rhein seine Gestalt in nächtlichen Schatten
hinschwand; und beängstigend mischte sich
ihr die Sorge um den Vater mit einer dumpfen
Erwartung, an jenem heiligen Weiher, wo ihr
einst die Norne den ersten Faden eines unerklärlichen
Geschickes knüpfte, könne und müsse sich
alles wenden und vollenden.
Leicht fand die harmlos Zuwandernde Eintritt
durch Wall und Graben der römischen Siedlung.
Von vielen Seiten, auch von Legionssoldaten,
tönten ihr germanische Gruß- und Scherzworte
entgegen, und sie erfuhr ohne viele Mühe genug,
um ihren geheimen Plan mit dem Präfekten ins
Werk zu setzen.
Heimlich mußte es geschehen. So hatte der Dixi
gesagt und so verstand es sich von selbst; denn
wenn man jemand bezaubern will, so soll man
das nicht offen tun vor allem Volk, sondern so,
daß niemand, am wenigsten er selbst, etwas davon
merkt, sonst wäre es gefehlt. Von jenär andern
Art von Heimlichkeiten zwischen jungen
Leuten, welche Dixi zart angedeutet hatte und
welche auch ohne ein wunderwirkendes Kleinod
außerordentlich zauberkräftig zu sein pflegen,
wußte Abnobas offene und reine Seele nichts.
So stand sie denn bei sinkendem Abend, in
einen Winkel gedrückt, am Landhause des Präfekten
und beobachtete den Wachtposten, d£r
sorglos vor sich hinpfeifend, lässig vor der Tür
auf und ab schritt. Mählich ward die Nacht
finsterer und stiller, im nahen Wachraum verhallte
der trunkene Lärm. Da, als der Posten
einmal an der jenseitigen Ecke des Hauses halt
machte und, den Rücken ihr zugekehrt, in die
Sternen guckte, ob die Stunde der Ablösung
nicht nahe sei, nahm sie die Gelegenheit wahr,
schlüpfe, ihr Kleinod in der Hand, ins Haus und
stand alsbald im Kubikulum des Präfekten. Sie
vernahm die langsamen Atemzüge des Schlummernden
und hatte gerade Licht genug, die hingestreckte
Gestalt zu unterscheiden. Unter gewaltigem
Herzpochen beugte sie sich über ihn
und befestigte mit zitternden Händen die Spange
auf seiner Schulter. Dann richtete sie sich auf.
Es war geschehen — für das übrige mußten die
Götter sorgen und der fremden Runen Wunderkraft
: da trat etwas ein, was außer aller menschlichen
Berechnung stand und eine ganz unerwartete
Wendung in die nächtliche Szene brachte.
Der Mond, der alte Schäker und Gelegenheitsmacher
, der nach seiner Gewohnheit wieder einmal
voll war und hinter jagenden Nachtwolken
mit der still träumenden Welt unter ihm sein
närrisches Versteckspiel trieb, machte sich in diesem
kritischen Augenblick den höchst unpassenden
Scherz, jählings hinter einer pechschwarzen
Wolkenwand hervorzubrechen. In einem Nu über-
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