Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fs
Hebelbund Müllheim [Hrsg.]
Die Markgrafschaft: Beiträge aus Geschichte, Kultur und Wirtschaft des Markgräflerlandes
2. Jahrgang, Heft 3.März 1950
Seite: 13
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-03/0016
Die Markgrafschaft

13

flutete er das Gemach des Präfekten mit seinem
grellen Lichte, daß die Nacht ihren hüllenden
Schleier verlor Und aussah, wie das Gespenst des
vorigen Tages.

Wahrlich! Gespenster längst verblichener Vergangenheit
tauchten unter diesem geisterhaften,
alle Wirklichkeit tilgenden Lichte auf! Lucius
träumte in aller Eile noch einen Momentstraum,
als ob er wohlig in einem Weiher lichtblauen
Äthers schwömme, da riß er die Augen auf und
schwamm wirklich in Licht, und Traum und
Wirklichkeit flössen untrennbar ineinander zu
einer weißen, himmlischen Gestalt, die, ganz in
Strahlen eingetaucht, unbeweglich vor ihm stand,
die Göttin jenes Lichtes leibhaftig, der er Altar
und Statur geweiht, und doch eine andere, die in
seinem Herzen heller und lieblicher strahlte, als
alles Licht im Himmel und auf Erden. Er empfand
nicht Schreck, nicht Freude; es überkam
ihn nur etwas wie selige Erfüllung von etwas
längst Vorausgewußtem, was kommen mußte.
Innere Anschauung ward zur äußeren, seine
Wünsche traten aus ihm heraus und gewannen
Farbe und Gestalt, Licht und Lebender atmete
nicht, als könne eines sterblichen Mundes Hauch
das zarte Wunderbild zerstören.

Ungleich gewaltsamer erschütterte diese jähe
Wendung der Dinge das arme, unschuldige Mädchen
, das sich plötzlich mit wahrhaftem Entsetzen
dem Gespielen ihrer einsamen, schämigen Mädchenträume
gegenübersah — eine Wirkung ihres
Zaubers, auf die sie schlechterdings nicht gefaßt
war. In ihrem Herzen kämpften Furcht und
Scham mit seligem Schrecken; jetzt — jetzt
mußte etwas kommen, etwas ganz unsäglich
Glückliches, oder etwas unsäglich Fürchterliches.

Da ward mit gleicher Schnelle tiefste Nacht.
Eine züchtige Wolke hatte den spaßhaften Mond
kurzerhand übergeschluckt und allen seinen unziemlichen
Indiskretionen ein Ziel gesetzt. Lucius
schloß die Augen, und als er sie wieder öffnete,
war der göttliche Spuk zerronnen und nichts zu
sehen als graue Leere. Er richtete sich halb auf
und befühlte sich, als wäre er im Zweifel, ob
überhaupt noch etwas Körperhaftes an ihm vorhanden
oder ob er durch irgend ein neues, unbekanntes
Verfahren dem irdischen Dasein meuchlings
entrückt wäre, da geriet er tastend an Ab-
nobas Spange. Er sprang auf und eilte zur Fensteröffnung
, der neugierige Mond guckte durch
eine Wolkenspalte, und dem Jüngling schimmerten
die Worte entgegen: Si me amas.

Nun packte seliger Schreck auch ihn. Erstaunlich
, welche Fülle entzückter Bilder im Bruchteil
eines Augenblicks durch eine Menschenseele fluten
können! Und länger blieb ihm nicht Zeit;
denn noch im gleichen Augenblick erhub sich
draußen vor dem Hause ein lautes Rufen, Schelten
, Schreien, Fluchen und dazwischen tönte eine
tiefe, angstvolle Frauenstimme, die ihm durch
Mark und Bein ging. Er griff nach einem Gewände
, stürzte hinaus, und sah gerade noch, wie
ein halbes Dutzend Bewaffnete von der Wache
in wuchtigem, schwerfälligem Trotte einer flüchtigen
, weißen Gestalt nachsetzten, die mit hochgerafftem
Kleide pfeilschnell in der Richtung der
Bäder davonlief.

Abnoba strebte zum Quell, unbewußt, einem
dunklen Triebe gehorchend. Wo einst ihr Sehnen
Frieden gefunden in heiliger Einsamkeit, wohin
sie ihr Herz gerettet, um einen süßen Mädchentraum
in verborgener Stille weiterzuträumen, da
suchte sie unbewußt in höchster Leibesnot Schutz
und Rettung.

Aber sie fand den Hain nicht mehr. Nirgends
Busch noch Baum! Säulen und Wände stellten
sich ihr hemmend entgegen und starrten sie fremd
und unheimisch an. Und dort, wo einst die Waldhütte
gestanden, wo sie den ersten Blick in seine
Augen getan, glänzte weiß, kalt, leblos im neuaufleuchtenden
Mondschein ein marmornes Götterbild
. Hier war auch den Römern eine heilige
Stätte. Verzweifelt warf sie sich vor der Gottheit
nieder, die ihren Namen trug, und umklammerte
den harten Stein, der ihr den warmen Busen
schauerlich durchkältete. Die Wache war dicht
hinter ihr, da erklang das gebieterische Hall; des
Präfekten; die Kette der Verfolger teilte sich,
und Lucius trat in die Lücke.

Stumm standen die Krieger. Kein Wort ward
laut. In der Tiefe rauschte der verborgene Quell,
dessen Raunen heraufscholl, wie die leise Stimme
der Vergangenheit — still ragte der marmorne
Bau, der Herold einer neuen Zukunft, umflossen
von dem silbernen Lichte, das vom ewig zeitlosen
Himmel sanft herniederfloß. So zeigte sich dem
Jüngling, den der holdeste Zauber der Gegenwart
umfing, eine wundersame Gruppe, das göttlich
Erhabene mit schöner, reiner Menschlichkeit in
engster Umschlingung, und wer hätte nicht mit
Lucius empfunden, daß in solchem Wettstreit
warmes, blühendes Menschenleben immer und
ewig den Sieg davonträgt!

Heiß wallte es in ihm auf. Da wandte die Jungfrau
das Haupt und ihr Blick traf den Geliebten.
Wo einst er vor ihr gekniet, da warf sie sich jetzt
ihm zu Füßen und streckte nach ihm die Hände.

„Si me amas — " erklang es in rührendem Flehen
von ihren reinen Lippen; er aber hub sie auf
und bettete ihr Haupt sanft an seinem Herzen.

# * #

Bis zu diesem ergreifenden Vorgange waren
die Beobachtungen meines transszendentalen Ich
gediehen, als sich Symptome bei mir bemerklich
machten, welche darauf hindeuteten, daß ich mich
wieder zu materialisieren begann.

Eine fatale Empfindung! Der Prozeß begann in
den Haarwurzeln und pflanzte sich von da auf
den Schädel nebst Inhalt fort. Ein unangenehmes
Spannen, Ziehen und Drücken, ähnlich dem Gefühl
, das man wahrnimmt, wenn man sich als
stark beleibter Herr bemüht, in einen falschen,
allzu ehgen Ubezieher zu schlüpfen, legte mir den
Verdacht nahe, daß ich Aussicht habe, wieder als
Mensch, Christ und Staatsbürger der Gegenwart
anzugehören. In diesem halbfertigen Zustand, wo
ich sozusagen noch mit einem Bein in der Geisterwelt
stand, vernahm ich plötzlich das laute krähen
eines Hahnes, und der ganze Sommerhachts-


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