Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 4688,fs
Hebelbund Müllheim [Hrsg.]
Die Markgrafschaft: Beiträge aus Geschichte, Kultur und Wirtschaft des Markgräflerlandes
2. Jahrgang, Heft 3.März 1950
Seite: 18
(PDF, 6 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-03/0021
18

Die Markgrafschaft

*

Ihr nicht fahren oder auf dem Rößlein reiten,
sondern auf Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt
Ihr den Lindwurm, und er beißt Euch die
Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal ganz
entzwei. Für's andere dürft Ihr nicht mehr essen,
als zweimal des Tages einen Teller voll Gemüse,
mittags ein Bratwürstlein dazu, und nachts ein
Ei, und am Morgen ein Fleischsüpplein mit
Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset, davon
wird nur der Lindwurm größer, also, daß er Euch
. die Leber verdruckt, und der Schneider hat Euch
nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner.
Dies ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt,
so hört Ihr im andern Frühjahr den Kuckuck
nimmer schreien. Tut, was Ihr wollt!'4 Als der
Patient so mit ihm reden hörte, ließ er sich sogleich
den andern Morgen die Stiefel salben und
machte sich auf den Weg, wie ihm der Doktor
befohlefi hatte. Den ersten Tag ging es so langsam
, daß perfekt eine Schnecke hätte können sein
Vorreiter sein, und wer ihn grüßte, dem dankte
er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde
kroch, das zertrat er. Aber schon am zweiten und
am dritten Morgen kam es ihm vor, als wenn die
Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen
hätten wie heut, und der Tau schien ihm so frisch
und die Kornrosen im Feld so rot, und alle Leute,
die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und
er auch; und alle Morgen, wenn er aus der Herberge
ausging, war's schöner, und er ging leichter
und munterer dahin, und als er am achtzehnten
Tage in der Stadt des Arztes ankam und den
andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl,
daß er sagte: ,,Ich hätte zu keiner ungeschickteren
Zeit können gesund werden als jetzt, wo ich
zum Doktor soll. Wenn's mir doch nur ein wenig
in den Ohren brauste oder das Herzwasser lief
mir.

Als er zum Doktor kam, nahm ihn der
Doktor bei der Hand und sagte ihm: ,,Jetzt erzählt
^mir denn noch einmal von Grund aus, was
Euch fehlt." Da sagte er: „Herr Doktor, mir fehlt
gottlob nichts, und wenn Ihr so gesund seid wie
ich, so soll's mich freuen." Der Doktor sagte:
„Das hat Euch ein guter Geist geraten, daß Ihr
meinen Rat befolgt habt. Der Lindwurm ist jetzt
abgestanden. Aber Ihr habt noch Eier im Leibe.
Deswegen müßt Ihr wieder zu Fuß heimgehen
und daheim fleißig Holz sägen, daß niemand
sieht, und nicht mehr essen, als Euch der Hunger
ermahnt, damit die Eier nicht ausschlüpfen, so
könnt Ihr ein alter Mann werden", und lächelte
dazu. Aber der reiche Fremdling sagte: „Herr
Doktor, Ihr seid ein feiner Kauz, und ich versteh'
Euch wohl", und hat nachher dem Rat gefolgt
und 87 Jahre, 4 Monate, 10 Tage gelebt, wie ein
Fisch im Wasser so gesund, und hat alle Neujahr
dem Arzt 20 Dublonen zum Gruß geschickt.

Der Hanseli / Eine Märchengeschichte

Als der liebe Gott wieder einmal an einem
Sonntag durch die Welt ging, um nach den Menschen
, Tieren, Bäumen und Blumen zu sehen,
fand er unter einer Silberpappel ein Kind sitzen,
das ein aus dem Nest gefallenes Vögelein in der
Hand hielt. Der liebe Gott stellte sich hinter den
Baum und hörte zu, wie das Kind mit dem kleinen
Vögelein, das gar kläglich piepste und mit
seinen schwachen Flügelchen hilflose Bewegungen
machte, sprach. „Du heißt jetzt Hansi", sagte
das Kind, „und ich nehme dich mit in unsere
Stube. Dort ist es warm und schön. Mein Vater
wird dir einen Käfig bauen, und ich werde dir
jeden Tag Futter und frisches Wasser bingen.
Dafür kannst du uns dann schöne Lieder pfeifen.
Komm, Hanseli, du mußt jetzt nicht mehr weinen
. Wir wollen jetzt schnell nach Hause laufen."

Da trat der liebe Gott hinter der Silberpappel
hervor und sagte zu dem Kind: „Du kannst das
kleine Vögelchen nicht mit nach Hause nehmen,
denn es gehört mir. Es würde auch gar nicht
lange bei dir leben können und du müßtest ihm
dann ein Grab machen, worüber du sicher sehr
traurig wärest." Der liebe Gott nahm das Vögelchen
und warf es mit einer sanften Bewegung
wieder in sein Nest. Darauf begann das Kind
herzlich zu weinen und sagte: „Du bist ein böser
Mann, ich werde es meiner Mutter sagen." Der
liebe Gott aber lächelte leise und ging weiter
durch die Welt.

Als das Kind zu Hause war, versuchte es die
Mutter zu trösten. Auch der Vater wollte dem

Kind helfen und er sagte zu ihm: „Ich werde dir
in der Stadt ein schönes buntes Vögelein kaufen,
das schon richtig pfeifen kann. Wir werden es dir
in einen Vogelbauer setzen und dü darfst ihm
das Futter geben." Das Kind aber wollte kein
anderes Vögelein haben und es wurde ganz traurig
. Am andern Morgen mußte es im Bett bleiben
, denn es hatte hohes Fieber. Als der Arzt es
untersuchte, schüttelte er den Kopf und sagte, er
könne nichts finden. Er verschrieb aber doch ein
Pülverchen, damit das Kind schlafen könne. Jedoch
alle Kunst wollte nicht helfen, das Kind
blieb krank und wurde immer schwächer. Da es
im Fieber immer nach dem Hanseli rief, brachte
der Vater nun doch ein Vögelein aus der Stadt
mit. Aber das Kind freute sich nicht darüber, es
drehte sich zur Wand und sagte: „Das ist nicht
der Hanseli."

So vergingen noch einige Wochen und die Eltern
dachten jeden Abend, ob das Kind am andern
Morgen noch leben würde. An einem Sonntagmorgen
aber pochte es an das Fenster und man
hörte ein feines Vogelstimmchen. Da wurde das
Kind plötzlich ganz munter und rief: „Macht das
Fenster auf, der Hanseli muß draußen sein." Der
Vater glaubte, das Kind spräche im Fieber und
wollte das Fenster nicht öffnen. Erst auf das
wiederholte Bitten des Kindes, öffnete er einen
Flügel ein klein wenig und schon war da ein
schön gefiedertes Vögelein hereingeschwirrt. Es
setzte sich auf die Bettdecke und schlug ein
Weilchen freudig mit den Flügeln. Das Kind
richtete sich in seinem Bett auf und begann das


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