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Die Markgrafschaft
türe verschlossen fand, und wollte sich wieder
entfernen. Da fiel sein Blick auf den Jüngling.
„Was tut ihr hier?" fragte der Mann erstaunt.
„Euch darf ich wohl trauen!" gab der Gefragte
mit offenem Blick zurück. Und er sprach mit ihm
von der Ursache seines Wagnisses.
„Von der Chilchemer Mueter kommst du? Sie
und ihre Familie kennen wir alle, die mit dem
Linele verwandt sind. Wir haben hunderte Male
von euch geredet, und uns um euch gesorgt» Ich
bin der Mann einer Base vom Linele, und als
Erster zurückgekommen, weil ich den schnellsten
Wagen habe".
„Geht es dem Linele und den Seinen gut?"
„Ja, gottlob, alle sind gesund, und wohnten bei
netten Leuten. Ich wollte nur schnell schauen,
wie es bei ihnen hier aussieht. Bei mir ist alles
ausgeplündert".
„Aber hier war doch noch kein Feind".
„Jede Einquartierung ist ein Feind, wenn der
Bauer nicht im Haus ist".
„Also kann ich doch etwas Tröstliches in Kirchen
berichten. Das Bündele behaltet Ihr vielleicht
".
„Ich denke, es hält sich, bis das Linele kommt".
Einige Wochen später wagte es der Jüngling
wieder rr^it einem Rucksack voll Eßwaren. Diesmal
traf er das Linele und seine Angehörigen
selber. Die Freude über die tätige Liebe war groß.
Bis die vergrasten Felder wieder Nahrung boten,
halfen die Chilchemer aus. Später mußten sie
dann selbst noch flüchten. Das Dorf wurde durch
Tiefflieger und Artilleriebeschuß schwer beschädigt
. Ehrhards Haus kam gnädig davon. Vielleicht
weil oben die Chilchemer Mueter und drüben das
Linele in mütterlichem und kindlichem Vertrauen
zu dem Erhalter der Menschen beteten.
Seit dem Waffenstillstand haben sich die
Freunde nicht mehr gesehen; sie sind einfache
Leute und bestürmen die Behörden nicht um
Erlaubnisscheine. Aber als ich letzthin zu Hause
war, kam die Rede auf unsere Kinderzeit, unsere
Spiele am Rhein, unsere Waidlingfahrten ans
andere Ufer, und auf einmal waren wir wieder
bei der Chilchemer Mueter. „Wann ist sie eigent-
(Fortsetzung auf S. 6)
Sechs Dome
Mit der heutigen Nummer beginnen wir mit einer
Artikelserie „Sechs Dome am Oberrhein". Die
Holzschnitte sind von Meister Johann August
Hag'mann, Basel, geschnitten.
Die Bischofskirche des großen Konstanzer
Sprengeis, Unser lieben Frauen Münster in
Konstanz, steht auf dem Platz des alten
Römerkastells über dem einstigen Ufer des Sees,
der hier den Rhein in den Untersee entläßt. Sie
wird zuerst im Jahre 780 unter Karl dem Großen
erwähnt, doch bestand das Bistum schon seit Beginn
des 7. Jahrhunderts. Um die Jahrtausendwende
, zwischen 995 und 1018, ist dieser Bau
erneuert und wohl auch vergrößert worden; er
stürzte 1052 in sich zusammen. Erhalten blieb nur
die Krypta unter dem Chor. Der Neubau wurde
unter Bischof Rumold (vor 1069) begonnen, der
Chor wahrscheinlich 1089 geweiht, das Schiff
wohl erst im Anfang des folgenden Jahrhunderts
vollendet. Dieses romanische Münster ist in der
Hauptsache bis heute erhalten geblieben. Es ist
eine schlichte, doch weiträumige Basilika mit
geradem Chorschluß, ähnlich ihren Schwestern
auf der Reichenau, im Westen mit zwei schweren
Türmen bewehrt. Der krönende Turm über der
Vierung ist schon 1128 zusammengebrochen. Die
Raum Verhältnisse sind klar und groß: die gesamte
Länge beträgt 66 m, die Breite der Seitenschiffe
je 7 m, die des Hauptschiffes 12 m und seine Höhe
18 m bis zur Balkendecke, die in Resten über der
späteren Wölbung noch vorhanden ist. Mit kräftig
schönen Säulen und rund geschwungenen
Bögen schreitet das Mittelschiff den gewaltigen
Raumkuben der Kreuzvierung, ihrer Arme und des
Chorhauptes zu. Trotz aller späteren Zutat hat der
Bau im Innern wie im Äußern seine alte Strenge
und edle Einfalt bewahrt. Erst in der späteren
am Oberrhein
Gotik fand eine wesentliche Erneuerung statt.
Drei Ulmer Baumeister, zwei aus dem Geschlecht
der Böblinger und einer der Ensinger, waren im
15. Jahrhundert daran beteiligt. Jetzt wurden die
Schiffe eingewölbt, die Seitenschiffe durch den
Anbau schmaler Kapellen erweitert, die Querhausfronten
mit Maßwerk reicher geschmückt und
die Westtürme (erst 1512) um ein Stockwerk erhöht
. Auch der weite Kreuzgang an der Nordseite
ist damals erneuert worden, leider stehen
nur zwei seiner Flügel noch aufrecht. In ihrem
Winkel bergen sie den kleinen, höchst merkwürdigen
Zentralbau des Heiligen Grabes aus dem
13. Jahrhundert.
Bedeutende Bildhauer haben während des 15.
Jahrhunderts zur Ausstattung. des Münsters beigetragen
, darunter der große Nikolaus von Leyen
und der Bildschnitzer Simon Haider, denen das
Chorgestühl und die Türflügel des Westtores,
vielleicht auch die Skulpturen am Schneck, einer
Wendeltreppe im Vierungsflügel, zu danken sind.
Wertvolle Wandmalereien sind aus dem 14. Jahrhundert
im Kreuzgang, aus dem folgenden in der
Margarethenkapelle Bischof Ottos von Hachberg,
in der Silvesterkapelle und der einstigen Nikolauskapelle
wie an der Westwand der Kirche
selbst erhalten. Das alles hat den schweren Ernst
des alten Bauwerks wenig verändert, feierlichstill
und einsam steht es abseits vom lauten Verkehr
der Gassen, unter den Bäumen des träumenden
Platzes, der es umschließt. Man muß es auf-
suchen, muß lang mit ihm umgehen, wenn man
seine stille Sprache vernehmen will.
Bild auf Seite 5: Münster zu Konstanz, Holzschnitt von
Johann August Hagmann, Basel.
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