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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-04/0009
Die Markgrafschaft

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Fleurette / Eine Rosengeschichte

Von Karl Storck

bends, wenn der Wind mit vollen
Armen aus den umliegenden Gärten
den Rosenduft durch die weitgeöffneten
Fenster ins Zimmer
trägt, so brauchte ich nur die Augen
zu schließen, und deutlich sehe ich
den schönen Rosengarten meines Vaterhauses und
als schönste Rose darin dich, Fleurette.

Das liegt weit zurück, und ich habe seither viele
blühende, schöne Gärten gesehen. Von jenem
alten Garten, in dem mein Vaterhaus stand, berichtet
zwar kein Reisebuch, und es hat wohl auch
noch kein Dichter sein Lob gesungen. Dennoch
glaube ich, ist es nicht nur, weil es der Garten
meines Vaterhauses war, daß er mir so unvergleichlich
schön in der Erinnerung liegt. Wenigstens
Rosen habe ich niemals wieder so gesehen,
so ganz als üppiges Blühen nur um des Blühens
willen, so ganz als ungehemmt und verschwenderisch
sich auslebender Schönheitsreichtum der
Natur.

Die ursprüngliche Anlage des Gartens war
groß und zeugte von einem prachtliebenden Geist,
wie man ihn auf einem kleinen Dorfe nicht suchen
mag. Englische und französische Gartenkunst
war hier durch einen Liebhaber vor hundert und
mehr Jahren geeint worden, und man erkannte
auch in der Gestaltung des Gartens und in vielen
Einzelheiten seines Bestandes, daß hier ein Mann
von gänz eigenartigem Geschmack sich etwas
Besonderes hatte schaffen wollen.

Im Dorfe gab es nur dunkle Kunde von ihm.
Er war aus dem „Deutschen" ins elsässische Dorf
gekommen, hatte dort als Sonderling gelebt, ein
Vermögen vergeudet in der merkwürdigen Anlage
des für einen einzeln lebenden Mann lächerlich
geräumigen Hauses und des alle Maßstäbe eines
dörflichen Besitzes umstoßenden Gartens. Dann
war er 1813 beim ersten Sturze Napoleons vor
den anrückenden verbündeten Armeen verschwunden
, war mit dem Korsen wiedergekommen
zum kurzen Auferstehungstraum der hundert
Tage und dann nachher für immer davongezogen.
Die Beschließerin seines Hauses, ein junges Mädchen
aus einer armen Familie des Dorfes, erhielt
zwei Jahre später die notarielle Mitteilung, daß
sie Besitzerin der großen Anlage sei. Es war nur
die eine Bedingung daran geknüpft, daß der das
Haus selbst umschließende Teil des Gartens, etwa
ein Viertel des Ganzen, in seinem jetzigen Zustande
belassen bleibe. Den Rest wandelte denn
auch bald eine nüchterne Bauernhand in ertragreiches
Gartenland um. Der vordere Teil wurde
durch Holzzäune vom Rest getrennt und sich
selbst überlassen. Der Boden war gut, und die
Bäume wuchsen herrlich heran. Die Sträucher-
gruppen wurden zu einer schier undurchdringlichen
Wildnis und verkamen zum Teil. Aber
bald war der Garten doch eine so hervorstechende
Schönheit, daß das Haus immer von der ersten
der ins Dorf versetzten Beamtenfamilien gemietet
wurde. Diese sorgte dann auch dafür, daß wenigstens
das Notdürftigste für die Erhaltung der
Wege und der weiten Rasenflächen geschah.

Als wir das Haus bezogen, waren sechzig Jahre
verflossen, seitdem sein Erbauer auf so merkwürdige
Weise verschwunden war. Ich war ein
fast achtjähriger Knabe. Ich fühle es noch *so
genau, als sei es erst gestern gewesen, wir mir
das Herz stillstand, als ich, während droben die
Räume eingerichtet wurden, in den Garten gegangen
war und mich plötzlich vor einer undurchdringlichen
Rosenhecke sah. So mußte Dornröschens
Schloß ausgesehen haben, als der sieghafte
Prinz die Hecke durchdrang und das Dorngestrüpp
des Leides von den Rosen der Liebe
überblüht wurde.

Mit heißen Wangen berichtete ich droben von
meiner Entdeckung. Am nächsten Tage schon
mußte ich gegen die harte Wirklichkeit für mein
Märchenreich kämpfen. Mein Vater hatte einen
Gärtner kommen lassen und beriet mit ihm die
notwendigen Arbeiten. Ich war natürlich dabei,
als die beiden Männer durch den Garten schritten
, und hörte immer wieder dasselbe Wort des
Gärtners, daß da für Luft und Licht gesorgt, daß
dort ein Dickicht gelüftet, Sträucher herausgezogen
, anderes beschnitten werden müßte. Das
meiste konnte erst für das nächste Jahr in Angriff
genommen werden.

Mir war es etwas unheimlich zumute, als ich
so viel von Beschneiden und Herausreißen hörte,
aber besonders tief ging es mir nicht; ich dachte
ja nur an meine Märchenrosenhecke. Diese stand

vor einer hohen Wand. Auf etwa drei Meter
hohem Gemäuer war noch ein hölzerner Lattenzaun
befestigt und der Mauer entlang waren
Reben gezogen. Die uralten Stöcke waren unten
so dick wie Baumstämme und streckten ihre
Zweige weit aus. Davor dann, über ein Meter von
der Mauer abstehend, durch den ganzen Garten
sich hinziehend, lag die Rosenhecke. Sie stand in
vollem Blust, schier betäubend war der Geruch,


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