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Die Markgrafschaft

der von ihr aufstieg; zahllose Hummeln und Bienen
krochen darauf herum, Schmetterlinge umgaukelten
sie. Man sah kaum mehr grüne Blätter
und Zweige vor der Überfülle der Blumen, die
sich rosa und purpurrot durcheinandermengten.
Es war ein Anblick von so hinreißender Schönheit
, daß auch mein Vater einen Ausruf des Staunens
nicht unterdrücken konnte und zu mir sagte:
ich hätte wohl recht geraten, daß hier herum
Dornröschens Schloß gestanden haben müsse.

Da klang aber auch schon die Stimme des Gärtners
dazwischen, der noch einen Baum besonders
untersucht hatte und nun wieder zu uns trat. Er
nannte die Rosenhecke einen beispiellosen Skandal
; sie sei seit Jahrzehnten verkommen, die
Rosensträucher seien ganz ineinander verwachsen
, die edlen Rosensorten verwildert. Hier müsse
gründlich aufgeräumt werden. Ein großer Teil
müsse ganz weg, der Rest in sorgsamer Weise
neu versetzt werden. Er setzte meinem Vater, der
ganz still geworden war, dann auch auseinander,
daß auf diese Weise gar nicht recht an die Rebstöcke
heranzukommen sei, daß diesen die Sonne
weggenommen würde, und noch vielerlei, was ich
nicht mehr hörte, denn ich wußte nur das eine:
die Schönheit des neuen Hauses, über der ich
unser altes Heim, aus dem ich so ungern weggegangen
war/ schon ganz vergessen hatte, diese
Schönheit sollte zerstört werden! Ich haßte diesen
Gärtner mit der Glut, wie nur Kinder hassen
können, und wünschte ihm das gleiche Schicksal,
das er diesen Blumen bereiten wollte. Dann aber
erwachte der Diplomat, der in jedem Kinde steckt.
Ich ging zur Mutter und — kurz, das Ergebnis
war: die Rosenhecke sollte so bleiben, wie sie
war.

Nun war sie erst recht meine Rosenhecke.

Es war Juli gewesen und August geworden.
Hunderte, Tausende der Rosen waren verblüht.
Oft lags wie rosiger Schnee auf dem Wege, der
die Hecke entlang ging. Aber die Verluste waren
kaum zu merken, immer neue Blumen öffneten
sich. Doch kam nun eine neue Herrlichkeit hinzu.
Die Trauben an der Wand hinter der Rosenhecke
schwollen im Saft. Schon sah man, wenn die
Sonne recht darauf schien, in manchen Beeren die
Kerne leuchten, und an den frühen Jakobstrauben
waren schon manche Beeren dunkelblau geworden
. Da äugten denn die Kinderwünsche begehrlich
über die Rosenschönheit hinweg nach der
Wand. Mit meinem gleichaltrigen Spielkameraden
Ernest wurden schon eifrig Pläne geschmiedet
, wie wir im Wettbewerb mit den Wespen die
Erstlinge des Herbstes pflücken wollten.

Es wär noch früh am Tage, glühend hing die
Augustsonne am Himmel. Ich war allein im Garten
und schritt die Rosenhecke ab, die Augen
prüfend an der Wand, wo reife Beeren waren. So
kam ich ganz hinten an das Ende des Gartens, wo
ein hoher Lattenzaum ihn von dem anschließenden
Gemüsegarten trennte. Da sah ich hinter dem
Fliedergebüsch, das die etwas schadhafte Verbindung
zwischen der hohen Gartenmauer und
diesem Lattenzaune verdeckte, ein weißes Kleidchen
hervorschimmern. Ich muß wohl recht verblüfft
— „verdattert" sagte man bei uns — dagestanden
haben, denn plötzlich kam von dem
weißen Kleidchen her ein helles Lachen und eine
Reihe unverständlicher Worte. Dann sprang das
Kleidchen aus der Mauerlücke weg und war verschwunden
.

So viel hatte ich nun doch gesehen, daß das
Kleidchen einem Mädchen gehörte mit schwarzen
Haaren. Ihr lustiges Lachen klang mir in den
Ohren und auch die fremden Worte. Die Worte
waren — das wußte ich schon — französisch. Ich
hörte ja so oft um mich herum Französisch sprechen
. Und auch wer das Mädchen gewesen war,
konnte ich mir leicht denken. Ich hatte es schon
oft von der. Straße aus in dem kleinen Garten des
Nachbarhauses spielen sehen. Ich hatte es auch
bereits mit seiner Mutter, einer großen Dame, die
immer schwarz gekleidet ging, in der Kirche gesehen
uncj kannte auch seinen Bruder, der mehrere
Jahre älter als ich, schon in der Oberklasse
der Dorfschule war und, wie erzählt wurde, nach
den Herbstferien ins „College" kommen sollte. Es
war also nichts besonders Wunderbares an dieser
Begegnung, aber sie ließ mir doch keine Ruhe.

Es war nicht schwer, meine Mutter über die
Nachbarsleute auszuhorchen, und da hörte ich
denn, daß die Dame, die immer so ernst und
schwarz gewandet zur Kirche ging, die Witwe
eines französischen Offiziers sei, die nach dem
frühen Tode ihres Gatten sich wieder in ihrem
elsässischen Heimatdörfchen angesiedelt hatte.

In der Nacht träumte ich von Dornröschen. Es
war schön, wie im Märchen, und doch ganz anders
als im Märchen. Da war meine Rosenhecke.
Sie stand in voller Blüte, ganz wie jetzt. Dahinter
war eine hohe Mauer, in ihr ein Riß mit vielen
ausgebrochenen Steinen, so daß eine Wölbung
entstand. In dieser Wölbung aber stand, wie ein
kleines Engelsbild in einem Kapellchen, das Mädchen
aus dem Nachbarhaus, das ich am Morgen
gesehen. Und seltsam — im Traume konnte ich
prächtig in der fremden Sprache mit ihm reden,
und wir hatten lustig zusammen geplaudert.

Wie seltsam Kinder sind! Ich hatte meiner
Mutter nichts von der Begegnung erzählt, und
sagte ihr auch nichts von meinem Traume. Als
ich aber im Garten drunten bei meiner Rosenhecke
stand, da schlich ich fast scheu an ihr entlang
, weiter und weiter nach dem Gartenende,
und wagte es kaum, die Augen nach dem Mauerriß
zu lenken — da war wirklich das Mädchen
wieder da. Nicht so schön wie im Traum stand es
da, denn so groß war das Loch in der Mauer
nicht Aber es steckte sein Köpfchen durch und
rief mir etwas zu, das ich nicht verstand. Ich
antwortete aber auf meine Weise, und nun
zwängte sich dem Köpfchen nach ein Körperchen,
dann hielten sich zwei Händchen am Zaun, ein
kühner Sprung unter Lachen, ein Geraschel im
Fliedergebüsch — und vor mir stand das fremde
Kind. Die Händchen reichten wir uns, und dann
sprach sie. Sie mochte wohl Fragen gestellt haben,
und da ich schwieg, sah sie mich verwundert an
und entzog mir erst ihre Hand. Dann fragte sie
auf einmal, sich besinnend: „Du kannst wohl
nicht Französisch?'' Ich mußte zu meiner größten


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