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Die Markgrafschaft
Mutterliebe /Von F. Wolfsberger
Ein Beispiel großer Mutterliebe erlebte ich in
einem kleinen Dorf eines abgelegenen Tales des
Markgräflerlandes. Wir, d. h. mein Freund und
ich, hatten an einem Sonntag dort geschäftlich zu
tun, trafen unsern Geschäftspartner noch nicht an
und waren für einige Stunden aufs Warten angewiesen
. Ein Wirtshaus war wohl in der Nähe,
und der Reggenhager soll dort ebenso gut sein
wie in Stuttgart, aber wir zogen es vor, eine
meinem Freunde wohlbekannte Familie aufzusuchen
, wo wir denn auch herzlich aufgenommen
waren. Nachdem eine Weile über die seit Wochen
herrschende Hitze gejammert war, wie draußen
alles die Feggen hängen lasse, eilte die junge
Frau in den Keller, und mit den Worten „er
werde Dur seht ha!" stellte sie einen Krug kühlen
Innerberger auf den Tisch, entschuldigte sich,
daß sie noch in der Küche zu tun habe und rief
der alten Mutter, daß sie sich bei uns an den
Tisch setze und uns Bescheid täte.
Das Thema war schnell gewechselt. So ein
schöner, währschafter alter und dazu noch gefüllter
Weinkrug, wie wir ihn vor uns hatten,
kann das Jammern nicht leiden, und so waren
wir auch bald in einem anderen Fahrwasser.
Wie wir auf die Familie des Schwiegersohnes
der Alten zu sprechen kamen, weiß ich nicht mehr.
Was uns aber diese alte Mutter von diesen Leuten
aus vergangenen Jahren erzählte, wird mir
unvergeßlich sein.
„Schwer, sehr schwer hat es mein Schwiegersohn
in den Gründungs jähren seines Geschäftes
gehabt und wir mit ihm", sagte sie und schaute
versonnen auf das Kruzifix im Herrgottswinkel.
Man sah es ihr an, daß sie in Gedanken in jenen
Jahren weilte, und verstohlen wischte sie eine
Träne aus ihrem sorgendurchfurchten Antlitz. —
„Aber jetzt geht es ihnen, gottlob, besser. Das
Geschäft wirft schönen Verdienst ab, und die
Kinder helfen tapfer mit. Aber im Anfang, ja, da
hat's bös ausgesehen. Fast kein Verdienst, dafür
aber laufend Bankverpflichtungen. Dazu kam, daß
Freund Adebar jährlich einkehrte und der armen
Familie eine weitere Sorge und einen weiteren
Mitesser an den ohnehin schon ärmlich gedeckten
Tisch setzte.
Mein Mann und ich sind mit Haus und Hof und
Feld Bürge gewesen, und als der Schwiegersohn
seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen
konnte, hat sich die Bank an den Bürgen gehalten.
Nichts, aber auch gar nichts mehr gehörte uns,
und es hing manchmal nur noch an einem Faden,
daß wir nicht alles verloren haben. Fast alle vierzehn
Tage kam der Bankbote zu uns. Immer neue
Unterschrift wurde verlangt, und gar viele Male
habe ich den sauren Weg in die Stadt unter die
Füße nehmen müssen, um durch persönliche
Rücksprache mit dem Vorsteher der Bank das
Schlimmste abzuwenden. Manchmal wollte meinem
Manne der Mut sinken, und er weigerte sich,
durch weitere Unterschrift Verpflichtungen auf
sich zu nehmen. — Vater, sagte ich dann, denke
an die Kinder! Wenn wir auch schließlich alles
verlieren und am End sogar nach Wiechs müssen,
— wir sind alt, und die paar Jährli, die wir noch
zu leben haben, werden wir dort auch noch herumbringen
. Drum, Vater, unterschreib halt noch
einmal um der Kinder willen! Und er hat's immer
wieder getan.
An mich habe ich nicht gedacht. Doch in mancher
Nachtstunde, wenn mir die Sorgen den
Schlaf verwehrten, wurde es mir meines Mannes
wegen recht schwer. Denn die Aussicht, daß er,
der sein Lebtag hart arbeiten mußte, sein Leben
in einer Anstalt beschließen sollte, drückte mir
fast das Herz ab.
Aber es hat, Gott sei Dank, nicht sein dürfen.
Unser Vater durfte es noch erleben, daß der
Schwiegersohn seiner Schulden ledig und wir dadurch
die uns so schwer * drückende Bürgschaft
ablösen konnten."
Hier schloß die alte Frau ihren Bericht. Für uns
aber war es ein Erlebnis, und dankbaren Herzens
nahmen wir von einer Mutter Abschied, die uns
hineinschauen ließ in das Geheimnis echter, reiner
und unerschütterlicher Liebe, die nicht mit
dem Verstand erforscht, sondern nur mit Scheu
empfunden und erahnt werden kann.
Der Ziriak von Istein
Erzählung aus dem „Immengärtlein"
von Jda Guldenschuh.
Zu Großvaters Zeiten war einmal der Rhein
hoch angeschwollen. Weite Strecken des Vorlandes
waren überschwemmt, Bäume und Sräucher
standen tief im Wasser.
Als der Ziriack von Istein mit seinem Weidling
durch das Altwasser fuhr, sah er auf einer Weide
einen Hasen sitzen. Den hatte über N^cht das
Wasser eingeschlossen, so daß er keinen Ausweg
mehr fand. Das gibt es nicht jeden Tag, dachte der
Ziriack, daß einem die Hasen sozusagen in den
Weidling keien! Er dirigierte also sein Schiff lein
so nahe an die Weide heran,, daß er sich am Geäst
festhalten — und sogar auf den Baum klettern
konnte. Der Hase verfolgte xängstlich das ganze
Manöver, und sobald der Ziriack auf den Ästen
Fuß gefaßt hatte, ließ er sich in den Weidling
plumpsen. Dadurch geriet das Fahrzeug in Bewegung
und schwamm eilends davon mit dem vergnügten
Hasen.
Nun saß der Ziriack auf der Weide, ringsum
von trübem Gewässer umspült und mußte zusehen
, wie sein schöner Braten langsam aber
sicher an das trockene Ufer schaukelte, um sich
dort schleunigst in Sicherheit zu bringen. Erst
nach einigen Stunden fand ein anderer Fischer
den ledigen Weidling und hörte die Hilferufe des
Ziriack. Der wurde nun schnell aus seiner peinlichen
Lage befreit — und nahm sich im stillen
vor, nie mehr im Schiff lein auf Hasenjagd zu
gehen.
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