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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-04/0013
Die Markgrafschaft - 11

Ein Prozeß ohne Gesetz /Von Jon. Peter Hebel

Nur weil es unter allen Ständen einfältige Leute
gibt, gibt es solche auch unter dem achtungswerten
Bauernstand; sonst wär' es nicht nötig.
Ein solcher schob eines Morgens einen schwarzen
Rettich und ein Stück Brot in die Tasche, und
„Frau", sagte er, „gib acht zum Haus, ich gehe
jetzt in die Stadt". Unterwegs sagte er von Zeit
zu Zeit: „Dich will ich bekommen. Mit dir will
ich fertig werden", und nahm allemal eine Prise
darauf, als wenn er den Tabak meinte, mit ihm
wolP er fertig werden; er meinte aber seinen
Schwager, den Ölmüller. In der Stadt ging er
geradeswegs zu einem Advokaten und erzählte
ihm, was er für einen Streit habe mit seinem
Schwager wegen einem Stück Reben im unteren
Berg, und wie einmal der Schwed am Rhein gewesen
sei und seine Voreltern drauf ins Land
gekommen seien, der Schwager aber sei von Enzberg
im Württembergischen, und der Herr Advokat
soll jetzt so gut sein und einen Prozeß daraus
machen. Der Advokat mit einer Tabakspfeife im
Mund, sie rauchen fast alle, tat gewaltige Züge
voll Rauch, und es gab lauter schwebende Ringlein
in der Luft, der Adjunkt kann auch machen.
Dabei war er aber ein aufrichtiger Mann, als
Rechtsfreund und Rechtsbeistand natürlich.

„Guter Mann", sagte er, wenn's so ist, wie ihr
mir da vortragt, den Prozeß könnt ihr nicht gewinnen
", und holte vom Schaft das Landrecht
hinter einem porzellinenen Tabakstopf hervor,
„Seht da", schlug er ihm auf, „Kapitel soundsoviel
, Numero vier, das Gesetz spricht gegen Euch
unverrichteter Sachen". Indem klopft jemand an
der Türe und tritt herein, und ob er einen
Zwerchsack über die Schulter hängen hatte und
etwas drin, genug, der Advokat geht mit ihm in
die Kammer abseits. „Ich komm' gleich wieder
zu Euch". Unterdessen riß der Bauersmann das
Blatt aus dem Landrecht, worauf das Gesetz
stand, drückte es geschwind in die Tasche und
legte das Buch wieder zusammen. Als er wieder
bei dem Advokaten allein war, stellt er den rechten
Fuß ein wenig vor und schlotterte mit dem
Knie ein paarmal ein- und auswärts, teils weil es
dortzuland zum guten Vortrag gehört, teils damit
der Advokat etwas sollte klingeln hören oben
in der Tasche. „Ihr Gnaden", sagte er zu dem
Advokaten, „ich hab' mich unterdessen besonnen.
Ich meine, ich will's doch probieren, wenn Sie
sich der Sache annehmen wollten", und machte ein
verschlagenes Gesicht dazu, als wenn er noch
etwas wüßte und sagen wollte: Es kann nicht
fehlen. Der Advokat sagte: „Ich habe aufrichtig
mit Euch gesprochen und Euch klaren Wein eingeschenkt
". Der Bauersmann schaute unwillkürlich
auf den Tisch, aber er sah keinen. „Wenn
ihr's wollt drauf ankommen lassen", fuhr der
Advokat fort, „so kommt's mir auch nicht drauf
an". Der Bauersmann sagte: „Es wird nicht alles
gefehlt sein".

Kurz, der Prozeß wird anhängig, und der Advokat
brauchte das Landrecht nicht mehr weiters
dazu, weil er das Gesetz auswendig wußte wie
alle. Item was geschieht? Der Gegenpart hatte

einen saumseligen Advokaten, der Advokat verabsäumt
einen Termin, und unser Bauersmann
gewinnt den Prozeß. Als ihm nun der Advokat
den Spruch publizierte, „aber nicht wahr", sagte
der Advokat, „diesen schlechten Rechtshandel
hab' ich gut für Euch geführt?" — „Den Kuckuck
hat Er", erwiderte der Bauersmann und zog das
ausgerissene Blatt wieder aus der Tasche hervor:
„Sieht Er da? Kann Er gedruckt lesen? Wenn ich
nicht das Gesetz aus dem Landrecht gerissen
hätte, Er hätt' den Prozeß lang verloren". Denn
er meinte wirklich, der tProzeß sei dadurch zu seinem
Vorteil ausgefallen, daß er das gefährliche
Gesetz aus dem Landrecht gerissen hatte, und
auf dem Heimweg, so oft er eine Prise nahm,
machte er allemal ein pfiffiges Gesicht und sagte:
„Mit dir bin ich fertig worden, Ölmüller!"

Item: So können Prozesse gewonnen werden.
Wohl dem, der keinen zu verlieren hat.

Der deutsche Franzos

Es gibt zuweilen Leute, die es vortrefflich verstehen
, sich auf Kosten anderer glücklich und
zufrieden durch die Welt zu schlagen. „Warum
auf die rechte Weise, wenn's auf die andere Art
besser geht?"

So dachte auch einmal ein aus Freiburg kommender
Vertreter einer Papierfabrik. Das braune
Hemd, sein schwarzes Haar und seine noch aus
der Schulzeit her stammenden Sprachkenntnisse
konnten ihn vor so einem alten schwerfälligen
Bauern, der doch noch nicht weiter als bis ins
nächste Dorf gekommen war, sicher als einen
regelrechten Franzosen erscheinen lassen.

Der geputzte Franzose also stand als einziger
im Abteil des Müllheim—Badenweiler - Bähnli,
wartete, nervös an die Scheiben des Wagens
klopfend, auf den Schaffner. Der alte „Bähnli-
wart" aber hatte Zeit. Erst nachdem er sein Geld,
das er am heutigen Tage eingenommen, gezählt
hatte, ging er auf den Fahrgast zu: ,,D' Fahr-
charde, bidde" — keine Antwort. „Jä, würd's bal,
oder hän dr emänd kei Geld?"

„Mössiö — isch Franzos, isch nix Monet!" —1
Da richtete sich der Alte hoch auf, faßte den vermeintlichen
Franzosen am obersten Knopfloch
und sagte in bestem Deutsch: „Mein Herr, seit
wann tragen die Franzosen das Sportabzeichen
der Freiburger Fußballmannschaft Blau-Weiß?"
— Das hatte der Franzose allerdings nicht erwartet
: „Mössiö, c'est du mon ami" (zu deutsch: das
ist von meinem Freund).

Der Schaffner lächelte, vielleicht zum ersten
Male so in seinem Leben. „So hän er g'meint, —
das heißt nämli: c'est de mon ami! — So, uff
Badewiiler choschdeds nünzig Pfännig!" ...

Damit ließ er den verdutzten Vertreter stehen
und machte sich mit seinem Fahrkartenbüchlein
zu schäffen.

Georg Mezel.


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