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DIE MARKGRAFSCHAFT
Nr. 5 / 2. Jahrgang Monatszeitschrift für das Markgräflerland
Mai 1950
t
Wenn wir in diesen Tagen, am 10. Mai, den
190. Geburtstag unseres Johann Peter Hebel
feiern, aus dessen Werk das liebliche und geliebte
Antlitz der Heimat, die trauter Sprache unserer
Mutter, das Ursprüngliche und Echte alemannischen
Wesens hervorstrahlt und herausklingt,
dann ist dies für uns keine literarische Angelegenheit
. Es wäre eine Verlegenheit oder unnötig
, Hebels Biographie hier nochmals nachzuzeichnen
oder literarische Beurteilungen zu
fabrizieren. Wer immer mit seinem eigenen
Wesen im tiefen Heimatboden wurzelt, in der
Treue zu jenem Geist, den wir im Leben und
Werk Hebels auf eine vollkommene Weise verkörpert
sehen, wer solchermaßen „echt" geblieben
ist, für den ist Hebels Geburtstag auch mehr
als eine Gelegenheit, ein Vereinsfestchen zu
feiern. In den schweren Erschütterungen unserer
Zeit, in der täglichen Unsicherheit, -in dem flüchtigen
Kommen und Gehen von Reichen und sogenannten
Weltanschauungen, in dem Gewalttätigen
und Rücksichtslosen dieser rauhen Zeit,
sehen wir eine tiefere Bedeutung, einen tieferen
Sinn und eine größere Verpflichtung bei dieser
Geburtstagsfeier, zu der jeder Oberländer und
manche aus anderen Gegenden und anderen
Ländern geladen sind.
Zu denen, die Hebel verehren, gehören bekanntlich
auch große Geister der Weltliteratur.
Goethe hat sich in einem Aufsatz in anerkennender
_Weise für den alemannischen Dichter ausgesprochen
. Leo Tolstoi, der große russische,Dichter
und Lebensphilosoph, bekennt, daß Hebel für ihn
eine Jugendliebe gewesen sei.
Indessen, wenn wir nach einem Ausdruck für
die Bedeutung des Dichters der Alemannischen
Gedichte und des Schatzkästleins suchen, so brauchen
wir nicht nach Weimar oder Petersburg zu
gehen. Ein Landsmann von Johann Peter Hebel,
der alemannische Malerpoet Hans Thoma, der
Hebels Verse schon als Kind auswendig kannte
und der, wie Hebel selbst, Zeit seines Lebens das
einfache, schlichte Wälderbüblein geblieben ist,
hinterließ uns ein Bild, mit dem Titel „Der Hüter
des Tales". Auf einem der heimatlichen Berge,
hoch über dem im Mondlicht glänzenden Tal, in
dem verträumte, gute, alte Häuser schlafen, steht
ein einsamer junger Ritter unter der Fahne und
dem beglänzten Nachthimmel, mit wachen Augen
über das seinem Schutz anvertraute Tal hinausblickend
. Es ist die gleiche Stimmung wie in dem
Hebel'schen Gedicht „Die Feldhüter":
„Hinte Wald und Berg bis an die duftige Wulke,
vorne Matte voll Chlee, und Saat und goldene Lewat..
Numme d'Sterne wache, und numme no d'Feldberger
Wiese
und der Schuhu im Wald und öbbe Geister und Hirze
. . . der Schlof goht lisli um d'Hüte
Wer von unseren Lesern das Bild Hans Thomas
kennt, wird wissen, wie sehr sich hier Maler und
Dichter berühren (und wie wenig das Bild eines
erklärenden Titels bedurft hätte). Hans Thoma
wird uns wohl nicht böse sein, wenn wir für
heute seinem Hüter des Tales ein anderes Gesicht
geben. Denn was läge bei unserer Betrachtung
hier näher, als in diesem Hüter unsern Johann
Peter Hebel selbst zu sehen. Vielleicht würden
wir ihn nicht in eine Rüstung stecken und nicht
unter eine Fahne stellen, sondern in seiner gewohnten
Bekleidung auf eine Bank dort oben
setzen. Und vielleicht würden wir dann unter das
Bild schreiben: Der Hüter der Heimat. Wir könnten
keinen besseren finden. Wie kennt er doch
jeden Stern, jeden Vogelruf, wie ist ihm das
ganze Universum, das er „auf die anmutigste
Weise verbauert hat", vertraut! Wie sehr kennt
er Freud und Leid seiner Landsleute! Wie gütig
weiß er manches zu sagen, wie oft spielt da der
Schalk um seinen Mund, wenn er die menschlichen
Schwächen und Torheiten schildert. Wie
ernst blickt er uns aber auch aus manchen Versen,
in denen er das Böse, die Lieblosigkeit, den Geiz
darstellt, an! Der Volkserzieher in Hebel würde
auch heute manchesmal ernste Worte finden. Da
ist vieles nicht mehr echt in unserem Leben. Die
Rechtschaffenheit ist da und dort durchlöchert.
Die natürliche Bindung an Schöpfer und
Schöpfung ist bei vielen bedenklich lose geworden
. Aber Hebels Geburtstag soll ja ein Freudentag
für die Markgrafschaft sein. Wir wollen kein
Gewölk aufziehen lassen. Die wahre Freude
schafft vielleicht mehr Gutes, als eine Predigt, in
der es blitzt und donnert.
•
Wenn wir aber in Johann Peter Hebel den
Hüter unserer Heimat sehen und den menschlichen
und poetischen Ausdruck unseres Wesens,
dann wollen wir darüber wachen, daß Hebel dies
mit Freuden sein kann.
L. Börsig.
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