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Die Markgrafschaft
wir nehmen uns Zeit zum Schauen. Alte traditionsreiche
Gasthöfe, große Bankgebäude, das
Theater, Plätze, Brunnen, kleine Parkanlagen:
alles in bester Ordnung. Dann in der Messe. Man
fügt sich in einem Strom und läßt sich treiben,
nachdem man 1.50 sfr. bezahlt hat für den Eintritt
. Es ist nicht möglich, über das Einzelne zu
berichten. Man kann das Einzelne kaum wahrnehmen
. Es ist zuviel, und wir haben auch keine
Zeit, uns bei dem einen oder anderen Stand
länger aufzuhalten.
Aber der Gesamteindruck von der Leistungsfähigkeit
der Schweizer Wirtschaft ist da: Luxus,
Verbesserungen, solide Arbeit. In der Maschinenbranche
hat die Schweiz nicht nur aufgeholt. Wie
deutsche Fachleute behaupten, hat sie auf gewissen
Gebieten uns gegenüber einen Vorsprung
um 15 Jahre erreicht. Auch die Halle mit den
Aluminiumerzeugnissen und eine andere mit
Holzbearbeitungsmaschinen lassen den deutschen
Besucher erstaunen. Man wird hier rasch müde.
Die Luft ist schwül. Und es gibt hier leichte und
schwere Parfüms. Ein Glück, daß der Strom, in
dem wir uns bewegen, auch durch einen Erfrischungssaal
fließt. Die große Wurstfabrik B.
macht gute Geschäfte. Das Bier ist frisch, aber
ein wenig bitter. Nach drei Stunden sehnt man
sich nach frischer Luft und einem Stuhl. Wir
müssen drei Gasthäuser aufsuchen, bis wir nach
einem kurzen Luftschöpfen im Freien, einen
Stuhl finden. In die großen Hotels zu gehen, hat
keinen Sinn. Dort hätten unsere Franken nicht
ausgereicht. Das Mittagessen kostet 4 bis 6 sfr.
Ohne das Trinken.
Der Nachmittag aber gehört dem Besuch des
Münsters und des Kunstmuseums. Am Totentanz
hält man an. An einem schmalbrüstigen Haus ist
eine Tafel angebracht: ,,Hier wurde am 10. Mai
1760 der Dichter Johann Peter Hebel geboren".
Im Münster ist eine schöne Stille. Die Welt ist
draußen. Nachdenklich geht man von hier durch
den Kreuzgang. Noch nachdenklicher wird man,
wenn da unter einem der wundervollen Gewölbe
zwischen noch relativ jungen Fresken der Satz zu
lesen ist: ,,Das Leben nährt aus dem Leide sich".
Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Wer nur die
Fassade sieht, weiß nichts. Die Tränen schmecken
hier genau so bitter wie anderswo. Es gibt auch
Sorgen bei den gut gekleideten, gut genährten
Leuten, die am Steuer eines der vielen großen
Luxuswagen sitzen. Das Leben verlangt auch
hier den Einsatz. Es ist teuer, sagt der Arbeiter,
der für 22 sfr. wöchentlich in einem Gasthaus im
Abonnement sein Mittagessen einnimmt. Es ist
schwierig, sagt der mittlere Fabrikant, der Absatz
sucht. Aber das Leben ist den Einsatz wert.
So scheint es wenigstens. Und das ist es, das
Fazit, dieses kurzen Besuches im Nachbarhaus, in
dem die Bewohner sich fragen, genau so wie
wir auch, was wird morgen sein? Die Schweizer
Zeitungen bringen täglich eine Fülle beängstigender
Nachrichten. Sie sind besser infomiert
oder freier als die deutschen. Die Frage, die zwischen
ihren Zeilen steht, geht auch uns an. Sie
verbindet uns. Aber sie wird dadurch nicht leichter
zu beantworten sein.
Am Lebensbrünnlein I Von Jda P r e u s c h - M ü 11 e r
Unser Wolfgang war schon als ganz kleines
Büble sehr tierliebend, und besonders junge Tierchen
waren seine ganze Freude. So sah er auch
früh die Quelle, aus der die Nahrung der kleinsten
, hilflosen Geschöpfe kam.
Wenn Großmutters Katze ihre Jungen säugte,
schaute er aufmerksam zu und wunderte sich,
daß so viel Kätzchen an einer kleinen Katzenmutter
satt wurden. Später, als wir im Schwarzwald
waren, kam Wolfgang durch seine großen
und kleinen bäuerlichen Freunde noch mehr mit
Tieren in Berührung. Kälbchen, Ferkel und Zicklein
sah er an der Nahrungsquelle, und wenn im
Frühjahr der Schäfer seine große Herde unter
der alten Linde vor dem Schulhaus sammelte,
stand unser Büble mitten drin und lachte, wenn
die Lämmchen immer wieder die Euter ihrer
Mütter zerrten und stießen.
Das große Erlebnis aber hatte er in seinem
fünften Lebensjahr. Die junge Nachbarsfrau
hatte ihr erstes Kindchen bekommen, und das
war etwas herrliches für Wolfgang. Wie zierlich
waren die winzigen Fingerchen, die Öhrchen, die
blauen Äuglein. Nicht genug konnte er mir davon
erzählen.
Eines Tages aber kam er ganz erregt nach
Hause, schmiegte sich eng an mich und sagte mit
ganz hoher, schwingender Stimme: ,,Mutti,
's Luisle het Schöppli trunke by der Elsa am
Nackig!" Er hatte zum ersten Mal gesehen, wie
die junge Frau ihr Kind stillte.
Dann kam die Frage, ob auch er bei mir so
getrunken habe. Ich erzählte ihm, wie Gottes
Liebe bei den Menschenmüttern genau wie bei
den Tiermüttern dieses Lebensbrünnlein geschaffen
hat, damit die kleinen Geschöpfchen leben
und gedeihen könnten, bis sie groß genug wären,
andere Nahrung aufzunehmen. Und dann hatten
wir zwei uns noch viel lieber.
Ein halbes Jahr später bekam Wolfgang sein
ersehntes Brüderchen, und wenn Rudolf an
Muttis Brust seinen Hunger stillte, saß er still
schauend dabei.
Nun stiegen nach und nach viele Fragen um
das Wunder des kleinen Menschleins und sein
Werden in unserm Ältesten auf. Alle wurden zur
Mutter getragen und dem jeweiligen Verständnis
des Kindes entsprechend beantwortet. So
blieb er ganz mein Bub, und ich durfte auch dem
höheren Schüler und zuletzt dem jungen Soldaten
Freundin und Vertraute bleiben, zu der man
mit allen Nöten kommen konnte.
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