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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-05/0013
Die Markgrafschaft

11

schlag gar nicht gemerkt, wie die Zeit verronnen
war. Meine Mutter verlangte nach Aufklärung
und konnte trotz der Unschuldsbeteuerungen
Schosefins nicht verstehen, was an dem Ganzen
so wichtig sein sollte. Eine Stunde später hatte
Fleurettes Bruder einen Brief für meinen Vater
abgegeben, den dieser ganz verständnislos mehrmals
las. Auch jetzt wieder ein schon etwas peinlicheres
Verhör, was mein Vater schließlich verärgert
als dumme Kinderei abtat. Ich hörte noch,
wie meine Mutter begütigte und Fleurettes Mutter
als eine hartgeprüfte Frau bezeichnete. Dann
war ich froh, mich so ungestraft davonschleichen
und mit Ernest die aufregenden Geschehnisse
dieses Nachmittags nochmals gründlichst durchberaten
zu können. Fleurette aber habe ich in
diesen Osterferien nicht mehr gesehen, ihr Ruf
ist von drüben nicht mehr erklungen.

Ich hätte das alles vielleicht schwerer empfunden
, wenn nicht andere Ereignisse mich ganz in
Anspruch genommen hätten. Ich sollte nämlich
nach Ablauf der Osterferien auf die höhere
Schule kommen. Da der Besuch des Gymnasiums
zu mühselig war, kam ich in dasselbe Internatskollegium
, das auch Fleurettes Bruder seit einem
Jahre besuchte.

Er war zwar zwei Klassen über mir, aber da
von der Schule auf strenge Dorfkameradschaft
gehalten wurde, war von jetzt ab in den Ferien
ein Verkehr zwischen den beiden Häusern nicht
mehr ganz zu vermeiden. So war ich also äußerlich
Fleurette nach dem stürmischen Auseinander
im Frühjahr eher näher gekommen als zuvor.
Aber doch wohl nur äußerlich. Es blieb zwischen
meinem Schulkollegen und mir bei den notwendigsten
Besuchen, und auch bei diesen sah ich
Fleurette und ihre Mutter kaum. Die Mauerlücke
im Garten blieb unbenutzt. Es wäre mir außerdem
jetzt selber zu töricht erschienen, wenn
Fleurette noch auf diesem Wege gekommen wäre.
Durch den Besuch der auswärtigen Schule fühlten
wir uns in unserer Würde sehr gehoben, auch
war uns ein ernstes Benehmen während der
Ferien zur besonderen Pflicht gemacht. Bei den
Mädchen schien es nicht anders zu sein, denn
Fleurette wurde jetzt von den Dienstboten nur

noch „Mademoiselle Marion" genannt, und ich
selber hätte nicht mehr gewagt, sie vor anderen
Leuten als „Blümchen" zu bezeichnen.

Übrigens hatte ich hinsichtlich des Französischen
eine schwere Enttäuschung erlebt. Ich hatte
mir vorgestellt, daß es nur des Besuches der
höheren Schule bedürfe, um auch in den völligen
Besitz der Sprache zu gelangen, und mußte nun
erleben, daß wir dort eigentlich nur dieselben
Wörter wieder gelernt hatten, die ich bereits
kannte, allerdings in den recht umständlichen
Formen der Deklination und Konjugation.

Da mir dieser Weg für den Verkehr im Hause
Marions und ihres Bruders zu umständlich war,
suchte ich mir einen andern und fand ihn in
einem aus dünnen Lieferungen bestehenden Buch
in der Bibliothek meines Vaters, das sich als ein
„Meistersystem" bezeichnete. Das Buch begann
gleich mit einem lange französischen Satze, den
ich heute noch auswendig kann: „Pourquoi ne
voulez-vous laisser faire vos bottines chez mon
cordonnier daus la rue d'eglise?" Auf den folgenden
Seiten wurde dann dieser Satz in seinen
einzelnen Bestandteilen nach allen möglichen
Richtungen hin verwendet. Das war ja nun sehr
schön, und meine Dorfkameraden sperrten Maul
und Ohren auf, wenn ich ihnen diesen Satz herunterrasselte
, aber es ließ sich doch nun nicht
gewaltsam mit Marion ein Gespräch über Schuhe
heraufbeschwören, zumal unser Schuhmacher
nicht in der Kirchstraße wohnte.

Dafür wurde allerdings der Verkehr mit Robert
bald eifriger, da wir im Kollegium beide
dem Gesangverein angehörten und auch dieselbe
Leidenschaft der Botanik teilten. Nun machten
wir von jetzt ab in den Ferien unsere Spaziergänge
gemeinsam, bestimmten und preßten zusammen
die gefundenen Blumen, und verkehrten
miteinander so unbefangen, als ob es im Elsaß
niemals ein deutsch-französisches Problem gegeben
hätte. Natürlich kam auch Marion oft dazu;
aber wir kamen jetzt in jene Knaben jähre, denen
Gleichgültigkeit gegen das weibliche Geschlecht
als Hauptkennzeichen echten Mannestums erscheint
. Auch wurde Marion in ihrer Pensionatserziehung
immer „feiner" und zurückhaltender.

Das ging nun so etwa drei Jahre weiter, ohne
daß sich etwas Wichtiges ereignet hätte. Da gerieten
Robert und ich eines Tages wegen irgend
einer Kleinigkeit in der Geschichte in Streit, und
nun platzten, wie es nicht anders sein konnte, die
verschiedenen durch die Erziehung bedingten
nationalen Auffassungen schroff gegeneinander.
Es kam zu heftigen Worten; Marion, die zufällig
bei uns im Zimmer war, unterstützte den Bruder
und warf in das Gespräch den Satz: „Die
Deutschen seien schlecht; sie seien die Mörder
ihres Vaters".

Von diesem Tage ab mied ich das Nachbarhaus,
und auch Robert fand nicht mehr den Weg zu
uns herüber. Im Kollegium taten wir, als sei
nichts geschehen. Bei der Zugehörigkeit zu verschiedenen
Klassen fiel es weiter nicht auf, daß
wir uns grundsätzlich mieden.

Das war in den Osterferien gewesen. Als wir
in den Sommerferien nach Hause kamen, stand


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