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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-06/0003
DIE MARKGRAFSCHAFT

Nr. 6 / 2. Jahrgang Monatszeitschrift für das Markgräflerland

Juni 1950

7a

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Gelegentlich wird uns gesagt, daß es mit unserer
Beobachtungsgabe im allgemeinen nicht
weit her sei. Einen der schlagendsten Beweise
für diese manchmal nicht ohne Widespruch hingenommene
Behauptung lieferte kürzlich eine
Begebenheit, die uns nachdenklich stimmen müßte
, wofern wir das Nachdenken nicht zugunsten
einer möglichst fröhlichen Vegetation aufgegeben
haben. Da lief, wie wir aus einer Zeitungsmeldung
erfahren, ein Mann mit gefesselten Händen
durch die Straßen einer norddeutschen Stadt. Er
konnte dies einige Stunden tun, ohne aufzufallen
und irgendwie behelligt zu werden. Als er schließlich
zur Polizeistation zurückkehrte — diese hatte
ihn nämlich geschickt, um eben die Beobachtungsgabe
der Straßenpassanten zu erproben —, da
war eine einzige Anzeige bei der Polizei erfolgt.
Von mehreren tausend Passanten, darunter auch
einer Reihe Polizisten, hatte ein einziger sich
darüber Gedanken gemacht, daß doch irgend
etwas nicht stimmen könne, wenn ein gefesselter
Mensch mutterseelenallein, ohne Gendarmerie
oder Polizei oder Gefängniswärter durch die Stadt
spaziert. Die Polizei mußte daraufhin unserem
Beobachtungsvermögen eine schlechte Note geben
. Um nun nicht eines schönen Tages noch
einen strengen Verweis wegen mangelnden Denkvermögens
zu bekommen, könnte uns diese kleine
Geschichte Anlaß geben, sich einmal nach den
wirklichen Gründen der nicht bestandenen Prüfung
zu fragen. Liegt es daran, daß unser Augenlicht
schlechter geworden ist? Oder weil wir alle
auf der Straße so sehr in ernste Probleme vertieft
sind, daß wir nicht mehr merken, was um
uns herum vor sich geht? Wohl kaum. Anders
wird es schon, wenn wir fragen, ob wir uns
eigentlich noch einigermaßen für unsere Mitmenschen
interessieren, auch dann, wenn wir sie
nicht aus gesellschaftlichen Gründen zu grüßen
hätten, auch dann, wenn wir keinen Vorteil aus
diesem Interesse zögen, und auch dann, wenn uns
gerade keine Gelegenheit gegeben wird, den andern
durchzuhecheln, dann nämlich, wenn unser
Interesse für den andern einer einfachen menschlichen
oder staatsbürgerlichen Pflicht entspräche?
Das ist die Frage. Es kann nicht bestritten werden
, daß sie von wesentlicher Bedeutung für das
Gemeinwesen, für das Zusammenleben und Zusammenwirken
der menschlichen Gesellschaft ist.
Dieses Wort Gemeinwesen, gleichgültig, ob es
sich um das Dorf, um die Heimatstadt oder um
das Vaterland handelt, dieses Wort gehört auch
zu den „inhaltsschweren" Wörtlein. Wenn dem
nicht oder nicht mehr so wäre, dann könnten wir
uns auf Dinge gefaßt machen, die von Übel für
jeden einzelnen wären. Es bedeutet, daß wir ein

mehr oder weniger wichtiges Teilchen eines Ganzen
sind, und daß wir mitverantwortlich
gemacht werden, für das, was geschieht und für
das, was unterlassen wird. Es bedeutet, daß
jeder nach Maßgabe seiner Einsicht
verpflichtet ist, und zwar vor seinem
Gewissen, dem Guten zum
Durchbruch zu verhelfen und das
Böse zu verhindern. Wer heute für eine
Aufgabe politischen, kulturellen oder wirtschaftlichen
Charakters sich der Allgemeinheit zur
Verfügung stellt, weiß, wie bald er allein auf
weiter Flur steht. Er ruft vielfach vergebens nach
Hilfe. Denn diejenigen, die helfen könnten, sitzen
hinter ihrem eigenen Ich und schlafen selbstzufrieden
auf ihren Ruhekissen, bis ihnen das Schicksal
wieder ihre Zufriedenheit um die Ohren schlägt.
Verlassen wir die Theorie. Sehen wir uns einmal
in unseren eigenen Gemeinden um. Wenn es an
allem fehlt — an Kritik, die z. T. berechtigt ist,
besteht kein Mangel. Leider ist diese Kritik meist
völlig unfruchtbar, weil ihre Träger im Ernstfalle
gar nicht die Absicht haben, das von ihnen
Verworfene aufzunehmen und besser zu tun. Hinzu
kommt — das sei den kritisierten Herren ins
Stammbuch geschrieben —, daß es höchste Zeit
wäre, daß die führenden Leute über ihr Tun
einmal Rechenschaft ablegen und zwar in der
Öffentlichkeit und nicht in geheimen Gemeinderatssitzungen
, und daß sie sich auch einmal informieren
, was ihre Bürger von ihnen erwarten'und
zwar wiederum öffentlich und nicht über die Base
Klatsch und den Vetter Zuträger. Wir müssen
uns endlich angewöhnen, das, was wir zu sagen
haben, öffentlich zu sagen. Gewiß, es geht nicht
alles von heute auf morgen, auch die Demokratie
will gelernt sein, besonders in diesen Tagen, die
von den Regierenden wie den Regierten größte
Opfer verlangen. Aber es wäre an der Zeit, daß
wir endlich einmal Ernst damit machen. Wie soll
es das Volk machen, wenn seine Beauftragten,
wohlgemerkt nicht seine „Befehlshaber", für die
primitivsten demokratischen Regeln kein Verständnis
haben? Wie sollen es die Regierenden
machen, wenn da jeder nur knurrt und murrt,
ohne die leiseste Ahnung von der Sache und ohne
den Willen zur Mitwirkung zu haben? Wir öehen,
da gehört eines zum andern, da sind Wechselwirkungen
, deren Ursachen nicht einseitig sind. Es
gibt einerseits nicht nur böse Bürgermeister und
Gemeinderäte und andererseits lauter Bürger, die
nichts, aber auch nichts anderes im Sinn haben,
als sich mit ihrer ganzen Sippe für die Gemeinde
einzusetzen. Und es gibt wiederum nicht nur unfehlbare
Bürgermeister und auf der anderen Seite
nur Bösewichter von Bürgern, denen man es


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