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Die Markgrafschaft
im Volk wohnen. Darum kaufte er sich ein Haus
in Müllheim — nicht ein buon retiro im nahen
Kurort! Inmitten der urigen, fleißigen Bevölkerung
wollte er die Jahre verbringen, die nach
vollbrachter Aussaat kommen würden. Im besten
Mannesalter gedachte er sein Zelt im Herzen der
alemannischen Fluren aufzuschlagen, allen Menschen
aus der Dreiländerecke nah und verwandt,
sie liebend, sie lehrend, aber vor allem sie aufweckend
: zu dem Kreuzzug der Bruderliebe, des
gegenseitigen Verständnisses, der die einzige und
unerläßliche Voraussetzung für den Völkerfrieden
ist.
Wenn Karl Storck in Müllheim in seinem Haus
in der Werderstraße leben würde, was hätte er
uns alles zu sagen! Wie kämen sie gewallfahrt zu
ihm, wie ginge er beschwingt, beflügelt hinüber,
hinauf, hinunter — ohne Tätowierung, ohne Abzeichen
! Nein, nur als einfacher, aufgeschlossener
Bote des ewigen Geistes.
Aber er hat nur säen dürfen, nicht in die
Scheunen einfahren. Der ewige Richter war mit
seiner Aussaat zufrieden und belohnte ihn mit
seiner Anschauung. An uns liegt es, sein Erbe
anzunehmen, zu verwalten.
Setzen wir die Arbeit Karl Storcks in seinem
Geiste fort. Ubernehmen wir sein hohes Verantwortungsbewußtsein
im Dienste der Menschheit,
rufen wir gleich ihm die Brüder immer wieder
zum Bekenntnis der Werte auf, die im Volkstum,
in der Landschaft, im Väterglaube ruhen. Karl
Storcks Heimat- und Vaterlandsliebe, sein herrliches
Wissen um die tiefen Zusammenhänge jeder
Kunst und Kultur mit dem Gottgeist, seine
Treue zum angestammten Volkstum und sein
ahnungsreiches Wissen, daß nur die Heimatseligen
das große, einige Europa, den Weltbund aller
Gutwilligen, den Frieden schaffen können, diese
Erbschaft Karl Storcks muß von uns verwaltet
und weitergegeben werden.
Sechs Dome am Oberrhein
Text von Prof. Dr. Otto Fischer, Holzschnitt von Johann August Hagmann, Basel
2. Fortsetzung.
Ganz versunken und versteckt in einem engen
Bergtal der südlichen Vogesen liegt die kleine
Ortschaft Thann, die das ziervolle Münster
St. Theobald in sich bewahrt hat. Es ist die jüngste
und die anspruchloseste der Kirchen, die hier als
Beispiele des gewaltigen, mittelalterlichen Bauschaffens
zusammengestellt sind. In den Jahren
1307—1310 wurde hier eine einschiffige Wallfahrtskirche
zu Ehren des Ortsheiligen erbaut. Da
der Andrang der Pilger groß war, beschloß man
t>ald darauf schon, um die alte Kapelle herum
einen stattlichen Neubau zu errichten, der von
1332 ab in langsamem, aber ununterbrochenem
Fortschreiten aufgeführt wurde. Bis 1344 wurde
zuerst das südliche Seitenschiff fertig, von 1342
bis 1350 wuchs der Unterteil des westlichen Abschlusses
empor, von 1351 bis 1422 der Chorbau
und die untere Hälfte des beherrschenden Turms,
der an der Nordseite neben den Chor gestellt
wurde, 1430—1455 das nördliche Seitenschiff, bis
1468 wurde der Turm weiter hinaufgeführt, bis
1495 das Mittelschiff in die Höhe gebaut und eingewölbt
, 1498 war auch die Fassade im Westen
mit ihrem Giebel vollendet, und von 1506—1516
wurde der Turmhelm vollends abgeschlossen. Der
Basler Werkmeister Remigius Faesch war der
letzte Bauleiter, dem es im höchsten Alter gelang,
den Schlußstein eines Baues zu setzen, an dem so
viele Generationen fast zwei Jahrhunderte lang
gearbeitet hatten. Vielleicht lag es an dieser mählichen
, immer ein Stück ans andere fügenden Entstehung
, vielleicht an der bewußten Einsicht und
Absicht der ausführenden Meister, daß in dem
kleinen Münster von Thann ein Bauwerk von
höchstem Reiz der kontrastreichen Gliederung
und des schönsten Zusammenklangs von eigentlich
dissonierenden Teilen zustande gekommen
ist. Von seiner ganzen Länge von 47 Metern
nimmt der Chor die eine, das Langhaus die andere
Hälfte ein. Der Chor ist ein wenig breiter und im
Äußern höher aufgebaut als das Mittelschiff, so
daß er zusammen mit dem Turm die beherrschende
Wirkung hat, während das Langhaus bei
gleicher Höhe der Mittelschiffwölbung mit den
ausgreifenden Flügeln der niedrigen Seitenschiffe
sich breit und behäbig davor legt. Auch im Innern
ist der schlanke, lichtstrahlende Chor von besonderer
Schönheit, während die Schiffe nüchterner
behandelt sind. Die wohlerhaltenen farbigen
Fenster im nördlichen Seitenschiff und im Chor,
von der ersten Hälfte des 15. bis in den Anfang
des 16. Jahrhunderts entstanden, und das Chorgestühl
geben dem Kirchenraum eine altertümlich
-weihevolle Stimmung. Umso lebendiger und
malerisch wirksamer ist der vielstimmige Reichtum
des äußeren Baugefüges. Wohl entbehrt die
Westfassade mit ihrem übergroßen Schauportal
einer feineren Harmonie, während der kleinere
Eingang im Westen der Nordseite kraftvoller gestaltet
ist, aber die rings emporwachsenden
Strebepfeiler mit ihren schlanken Bögen und
spitzen Fialentürmen, der dekorative, wenn auch
derb behandelte figürliche Schmuck, der überall
hervorquillt, die durchbrochenen Geländer, die
das Dach umziehen, mit ihren Fialenreihen, der
hübsche Abschluß des Frontgiebels mit dem zierlich
aufschießenden Dachreiter zeigen eine Freude
an der plastischen Ausdeutung des Architektonischen
, die dem bescheidenen Bauwerk eine bezaubernde
Fülle von Leben und Ausdruck gibt.
Der prächtige Turm endlich, der das klassischreine
Vorbild von Freiburg in das üppigere Spiel
spätgotisch geschwungener Schmuckformen, dennoch
maßvoll übersetzt, schließt die ganze Baugruppe
des kleinen Münsters, durch seine asymmetrische
Stellung erst recht wirksam, zur schönsten
Einheit zusammen und reißt sie mit seiner
schlanken Helmspitze krönend nach oben.
Seite 5: Münster St. Theobald in Thann / Eis.
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