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Die Markgrafschaft
Soldaten in einem russischen Gefangenenlager,
die nach langer Zeit des hungerns und der leeren
Krautsuppen, am Ende ihr^r Kräfte angelangt,
wieder das erste Brot bekamen und nachher in
dem vierstimmigen Chor „Heilig, heilig, heilig ist
der Herr" dem Hergott dankten. Das waren
rauhe Männer, keine Kongregation. Wer es mit-
1. Fortsetzung.
Die Stadt um 1 0000 Silberlinge
verkauft
Doch schon wenige Jahrzehnte später wurden
die im Freibrief verbürgten Rechte mit dem Freibrief
selbst mißachtet. Man schrieb das Jahr 1331,
als Neuenburg verschenkt, verpfändet und
schließlich um „10 000 Silberlinge" an einen österreichischen
Herzog verkauft wurde. So wurde
dann die ehemalige zähringische Gründung österreichisch
und die Stadt kam sich vor „wie eine
Insel, ringsum umgeben und eingeschlossen von
nichtösterreichischem Besitz". Die zahlreichen
Kriege, in welche die damalige Großmacht
Österreich verwickelt war, zogen auch das österreichisch
gewordene Neuenburg in den Strudel
kräfteraubender Streitigkeiten. Dazu kamen die
schlimmen Verheerungen durch den Rhein, die
sich jetzt in einem erschreckenden Maße wiederholten
. So wurden in den Jahren 1343, 1378 und
1424 weitere große Überschwemmungen verzeichnet
. Ohnmächtig stand die Stadt und ihre
Einwohner diesem verderbenbringenden Element
gegenüber. Langsam, aber unaufhaltsam bröckelte
Stück für Stück von der Stadt ab. Westmauer,
Tor und Häuser versanken in den Fluten, bis
schließlich nur noch ein Drittel dieser ehemals so
wohlhabenden, stattlichen Stadt übrig blieb. Ein
paar Mauerreste deuteten die vergangene Größe
und Herrlichkeit des Münsters an. Nach Aufzeichnungen
von J. L. Wohleb ist darüber im „Anniversarienbuch
" der Pfarrei Schliengen zu lesen:
„Der Rhein het vil weggerissen und het der
Stadt Nuwenburg großen Schaden an iren husern
und uf dem land zu beiden siten an husern und
korn". An einer anderen Stelle (Fischarts „Glück-
hafft Schiff Von Zürich", 1576) ist das Leid
Neuenbürgs in Versen wiedergegeben; es heißt
dort:
„Drauf gen Neuenburg sie drangen,
Dem Städtlein, das von Not umfangen,
Dieweil der Rhein mit , seinem Lauf
In solcher Wildheit dringt darauf
Und seine Macht so streng läßt schauen,
Daß man nicht g'nug ihn kann verbauen;
Hat mit der Zeit mit seinen Güssen
Ein gut Stück Stadt hinweggerissen.
» Gar leid dies der Gesellschaft tat,
Drum sie den Rhein um Mitleid bat,
Daß seinen Zorn er lasse fließen
Und sie der Ruh' einmal genießen."
Schließlich schildert Merian den Zustand im
Jahre 1644: „Allhier rinnet der Rhein so starck
erlebt hat, wie sie, ausgemergelt, todmüd im
wahrsten Sinne des Wortes, von ihren Pritschen
krochen und jenen Chor mitsangen, wer diesen
Chor in der Trostlosigkeit der Umgebung gehört
hat, spricht heute die Bitte um das tägliche Brot
vielleicht doch auf die Dauer gedankenvoller und
inniger aus, als er es früher tat. l. Börsig.
an die Statt und frißt dergestalt umb sich, daß
er die Kirch (so vor diesem von dem Fluß abgelegen
) jetzunder halber hinweg geflößt, daß nur
das Chor allda übrig ist, und thut noch täglich
Schaden an Gebäuen".
Neuenburg
im Dreißigjährigen Kriege
Die Schrecken des 30jährigen Krieges, die unheilvoll
über das ganze Land hereinbrachen, machten
auch vor den Toren Neuenbürgs nicht Halt.
Zwar blieb, die Stadt in den ersten Jahren von
dieser furchtbaren Geißel noch verschont, aber
bereits im Jahre 1628 pochte als erster Bote der
Apokalyptische Reiter, der Schwarze Tod, an die
Stadttore. Ihnerhalb von siebzehn Monaten, so
heißt es im ,,Britzinger Lagerbuch", starben von
170 Einwohnern 117 Erwachsene an einer pestartigen
Krankheit". Mit den Schweden, die im
Jahre 1632 die Stadt belagerten und besetzten,
stellten sich die beiden anderen unheimlichen
Gesellen der Apokalypse, nämlich Krieg und
Hungersnot, ein. In der Kette der nun einsetzenden
Brandschatzungen, Plünderungen und tausendfacher
Nöte wechselten allein die Truppen.
Unter den Landsknechtschritten der Schweden,
der Kaiserlichen, der Lothringer und der Franzosen
kfem die Stadt nicht mehr zur Ruhe. Was sich
gleich blieb, war das Leid, das in allen Augen
und Mauern hockte und war der Schwarze Tod,
der in den Gassen wohnte. Dem Läuten der
Sturmglocke am Tage folgte in der Nacht das
Wimmern der Sterbeglocke, das den Zug der
Pestwagen begleitete, die über die holprigen
Straßen in die Nacht hinaus rumpelten. Von 1638
bis 1639 wurde die Stadt das Hauptquartier des
Herzogs Bernhard von Weimar, der am 18. Juli
an der Lagerpest starb und im Franziskanerkloster
aufgebahrt wurde.
Mit Kriegsende wurde Neuenburg Grenzstadt.
Als einziges österreichisches Gebiet inmitten des
Markgräflerlandes stehend, lernte die Stadt in
den folgenden Jahren die ganze Tragik einer
solchen Grenzstadt und ihr Schicksal kennen. Das
Jahr 1675 eröffnete den Reigen der Zerstörungen.
Pfarrer Jeremias Gmelin von Auggen, der diese
Zeit miterlebt hatte, schildert in seinen Aufzeichnungen
, wie es dem Feind am 11. März gelang,
mit etwa 600 Mann ungesehen bei Nacht im
oberen Jägerhaus einzusteigen und die vollkom-
.men überraschten kaiserlichen Truppen gefangen
zu nehmen. Gar bald wußte man, daß die Stadt
(Fortsetzung auf S. 8)
Neuenburg, wie es nur wenige kennen
Aus der Chronik der ehemals freien Reichsstadt am Rhein
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