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Die Markgrafschaft
Der alte Meßmer / Von R. Nutzinger
Er lebt, schon lange nicht mehr, darum kann
man's also ruhig erzählen; aber seine lustigen
Aussprüche leben noch immer im Volksmund,
und darum muß man wieder einmal von ihm
berichten. Denn die alten Originale drohen auszusterben
.
Also der alte Kirchendiener Hartmann — er
hieß übrigens anders — lebte in einer sehr gemütlichen
Zeit und war auch selber ein gemütlicher
Mann. Nur sein alter Pfarrer war noch
gemütlicher, und am allergemütlichsten war die
Gemeinde selbst, die ging nämlich fast gar nicht
mehr in die Kirche. Und der alte Meßmer hatte
seinem Pfarrer allsonntäglich nach dem Zusammenläuten
im Pfarrhaus zu melden, wieviel
Kirchgänger sich eingefunden hätten. Waren es
sechs oder mehr — sehr zum Verdruß von Pfarrer
und Meßmer —, so wurde der Gottesdienst
gehalten; waren es weniger, so wurden sie wieder
heimgeschickt mit der Weisung, sie sollten ihre
Andacht daheim verrichten. Eines Sonntags
waren wieder einmal fünf Gemeindeglieder in
der Kirche versammelt, und der Hartmann wollte
eben dem Geistlichen melden, daß es sich heute
nicht zu predigen rentiere, da schlurpte gerade
noch ein Alter zur Kirchentüre herein, der beim
lieben Gott zur Andacht kommen wollte. Der
kam aber beim alten Hartmann schlecht an.
„Meinsch, du Glunggi, wege dir halte ich un dr
Pfarrer Chilche? Mach jo, daß de heimchunnsch!"
Und der kehrte schnell um, und so konnte der
Gottesdienst wieder planmäßig ausfallen.
So wurden sie in Ehren nebeneinander alt und
grau, der Pfarrer dazu noch schwerhörig — die
Gemeinde war es schon lange — da wurde ihm
eines Tages ein junger Vikar als Amtshelfer beigesellt
. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die
Nachricht in der Gemeinde, die mit einem Mal
hellhörig wurde und das lebhafte Verlangen hatte,
Gottes Wort einmal aus jungem und frischem
Munde zu vernehmen. Und so war am nächsten
Sonntag die Kirche so stark besetzt, wie sonst
beim alten Pfarrer nicht einmal an den höchsten
Feiertagen. Allein das Unglück hatte es gewollt,
daß am Tage zuvor der junge, aus der Stadt stammende
Vikari in einer wichtigen Amtsfrage seinen
Pfarrer, der ein besserer Bauer als Prediger
und vor allem ein leidenschaftlicher Imker war,
im Bienenhaus hatte aufsuchen wollen, wobei
ihm ein Bienenschwarm über den Kopf geraten
war und ihn also jämmerlich verstochen hatte,
daß er sich in solch verschwollener Gestalt unmöglich
am nächsten Tag der Gemeinde präsentieren
konnte. Also mußte der alte Pfarrer sehr
gegen seinen Willen wieder auf die Kanzel, aber
das erfuhr der Meßmer auch erst bei seiner üblichen
Meldung, die aber diesmal dahin lautete,
daß ,,d'Chilche gsteckt voll" sei, worüber der alte
Pfarrer und Meßmer ein Schmunzeln der Schadenfreude
nicht unterdrücken konnten, und der
Hartmann kehrte spornstreichs in die Kirche
zurück mit dem erbaulichen Bericht: „Hüt het er
euch am Seil abeglo, der Alt; er chunnt selber un
nit der Jung".
Wie in den Markgräfler Dörfern üblich, mußte
der Kirchendiener auch das Elf-Uhr- und das
abendliche Betläuten besorgen. Einmal — es war
im Heuet und der Hartmann auch auf seiner
Matte — schaute er zu spät auf seine Sackuhr
, die schon ^12 zeigte, und meinte: „Jetz
hani's Ölfilüte vergesse, 's wird's doch niemes
ghört ha?"
Miteinander sind sie dann in den Ruhestand
gegangen, der Pfarrer und der Kirchendiener,
denn der hatte nicht Lust, sich an einen neuen
und jüngeren Pfarrer zu gewöhnen, der ihn etwa
ernstlich an seine Dienstobliegenheiten gemahnt
hätte. „Herr Pfaarer", sagte er drum eines Tages
laut zum schwerhörigen Geistlichen, „'s wird
weger Zit, daß mer in Ruejhstand göhn, daß mer
au nonemol derzue chömme, öbbis z'schaffe".
Lange hat freilich dieser Ruhestand bei den
beiden, die sich nun in gleicher Weise intensiver
der Landwirtschaft zuwandten, nicht gedauert.
Und ob der Hartmann in der Ewigkeit auch noch
am Glockenseil zieht und ob der Pfarrer auch dort
die Gläubigen am Seil abeloßt, das wird wohl
wirklich noch niemand gehört haben.
Zwei Erzählungen
/ Joh. Peter Hebel
Wie leicht sich manche Menschen oft über unbedeutende
Kleinigkeiten ärgern und erzürnen,
und wie leicht die nämlichen oft durch einen
unerwarteten spaßhaften Einfall wieder zur Besinnung
können gebracht werden, das haben wir
an dem Herrn gesehen, der die Suppenschüssel
aus dem Fenster warf, und an seinem witzigen
Bedienten. Das nämliche lehren folgende zwei
Beispiele.
Ein Gassenjunge sprach einen gut und vornehm
gekleideten Mann, der an ihm vorbeiging,
um einen Kreuzer an, und als dieser seiner Bitte
kein Gehör geben wollte, versprach er ihm, um
einen Kreuzer zu zeigen, wie man zu Zorn und
Schimpf und Händeln kommen könne. Mancher,
der dies liest, wird denken, das zu lernen sei
keinen Heller, noch weniger einen Kreuzer wert,
weil Schimpf und Händel etwas Schlimmes und
nichts Gutes sind. Aber es ist mehr wert, als man
meint. Denn wenn man weiß, wie man zu dem
Schlimmen kommen kann, so weiß man auch,
vor was man sich zu hüten hat, wenn man davor
bewahrt bleiben will. So mag dieser Mann auch
gedacht haben, denn er gab dem Knaben den
Kreuzer. Allein dieser forderte jetzt den zweiten,
und als er den auch erlangt hatte, den dritten
und den vierten, und endlich den sechsten. Als
er aber immer mit dem Kunststück nicht herausrücken
wollte, ging doch die Geduld des Mannes
aus. Er nannte den Knaben einen unverschämten
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