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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-07/0017
Die Markgrafschaft

15

Burschen und Betteljungen, drohte, ihn mit
Schlägen fortzujagen, und gab ihm am Ende auch
wirklich ein paar Streiche. „Ihr grober Mann, der
Ihr seid", schrie jetzt der Junge, „schon so alt
und noch so unverständig! Hab' ich Euch nicht
versprochen zu lehren, wie man zu Schimpf und
Händeln kommt? Habt Ihr mir nicht sechs Kreuzer
dafür gegeben? Das sind ja jetzt Händel, und
so kommt man dazu. Was schlagt Ihr mich denn?"
So unangenehm dem Ehrenmann dieser Vorfall
war, so sah er doch ein, daß der listige Knabe
Recht und er selber Unrecht hatte. Er besänftigte
siqh, nahm sich's zur Warnung, nimmer so aufzufahren
, und glaubte, die gute Lehre, die er da
erhalten habe, sei wohl sechs Kreuzer wert
gewesen.

In einer anderen Stadt ging ein Bürger schnell
und ernsthaft die Straße hinab. Man sah ihm an,
daß er etwas Wichtiges an einem Ort zu tun habe.
Da ging der vornehme Stadtrichter an ihm vorbei
, der ein neugieriger und dabei ein gewalttätiger
Mann muß gewesen sein, und der Gerichtsdiener
kam hinter ihm drein. „Wo geht Ihr hin
so eilig?" sprach er zu dem Bürger. Dieser erwiderte
ganz gelassen: „Gestrenger ^ Herr, das
weiß ich selber nicht". — „Aber Ihr seht doch
nicht aus, als ob Ihr nur für Langeweile herumgehen
wolltet. Ihr müßt etwas Wichtiges an

einem Ort vorhaben". — „Das mag sein", fuhr
der Bürger fort, „aber wo ich hingehe, weiß ich
wahrhaftig nicht". Das verdroß den Stadtrichter
sehr. Vielleicht kam er auch auf den Verdacht,
daß der Mann an einem Ort etwas Böses ausüben
wollte, das er nicht sagen dürfe.- Kurz, er
verlangte jetzt ernsthaft, von ihm zu hören, wo
er hingehe, mit der Bedrohung, ihn sogleich von
der Straße weg in das Gefängnis führen zu lassen
. Das half alles nichts, und der Stadtrichter
gab dem Gerichtsdiener zuletzt wirklich den Befehl
, diesen widerspenstigen Menschen wegzuführen
. Jetzt aber sprach der verständige Mann-:
„Da sehen Sie nun, hochgebietender Herr, daß
ich die lautere Wahrheit gesagt habe. Wie konnte
ich vor einer Minute noch wissen, daß ich in den
Turm gehen werde, — und weiß ich denn jetzt
gewiß, ob ich drein gehe?" — „Nein", sprach
jetzt der Richter, „das sollt Ihr nicht". — Die
witzige Rede des Bürgers brachte ihn zur Besinnung
. Er machte sich stille Vorwürfe über seine
Empfindlichkeit, und ließ den Mann ruhig seinen
Weg gehen.

Es ist doch merkwürdig, daß manchmal ein
Mensch, hinter welchem man nicht viel sucht,
einem andern noch eine gute Lehre geben kann,
der sich für erstaunend weise und verständig hält.

Eine erschreckliche Geschichte / r-l. couri

e r

Eines Tages unternahm ich eine Reise in Ka-
labrien. Dies ist ein Land von bösen Leuten, die,
wie ich glaube, niemand mögen, am wenigsten
die Franzosen. Es würde zu lang dauern, dies zu
erklären; begnügen wir uns mit der Feststellung,
daß sie uns tödlich hassen und daß es einem
schlecht geht, wenn man in ihre Hände fällt.
Mein Begleiter war ein junger Mann von angenehmem
Äußeren. Der Wahrheit wegen erwähne
ich es, weniger, um Sie zu interessieren. Die
Wege in den kalabrischen Bergen sind Abgründe.
Unsere Pferde kamen nur mit Mühe vorwärts.
Durch einen Pfad, der meinem an der Spitze
reitenden Kameraden besser und kürzer erschien,
kamen wir in die Irre. Es war meine Schuld.
Hatte ich es nötig, einem Grünschnabel von
zwanzig Jahren zu vertrauen? Solange es Tag
war, suchten wir unseren Weg quer durch die
Wälder, aber je länger wir suchten, desto rnehr
verloren wir uns. Es war bereits tiefe Nacht, als
wir bei einem dunklen Haus ankamen.

Nicht ohne Argwohn traten wir ein. Aber was
halfs? Wir trafen dort eine ganze Köhlerfamilie
bei Tisch und wurden sofort eingeladen. Mein
junger Begleiter ließ sich nicht lange bitten. So
aßen und tranken wir, wenigstens er. Ich betrachtete
mir verstohlen den Ort und die Mienen
unserer Gastgeber. Diese sahen aus wie gute
Köhlersleute; aber das Haus hätten Sie eher für
ein Waffenlager gehalten, lauter Gewehre, Pistolen
, Säbel, Messer und Hirschfänger. .Alles mißfiel
mir, und ich sah wohl, daß ich selbst auch
keinen Gefallen fand, ganz im Gegensatz zu
meinem Kameraden. Er gehörte schon zur Familie
, er unterhielt sich lustig mit ihnen. Unvorsichtigerweise
— ich hätte dies voraussehen müssen
— verriet er auch noch, woher wir kamen,
wohin wir wollten und wer wir waren. Stellen
Sie sich das vor! Bei unseren Todfeinden, allein,
verlassen, weitab von menschlicher Hilfe! Und
dann, um ja nichts zu vergessen, was uns vernichten
konnte, spielte er noch den Reichen und
versprach diesen Leuten für die Bewirtung und
die Führung am folgenden Tag, was sie nur.
wollten. Schließlich schwätzte er nocfc. von seiner
Tasche und bat sehr darum, daß man sorgfältig
mit ihr umgehe und sie ihm an das Kopfende
seines Bettes lege; er wolle durchaus kein anderes
Kopfkissen. O Jugend, dein Alter ist zu
bedauern. Man mußte ja glauben, daß wir die
Kronjuwelen bei uns hatten.

Nach dem Essen entließ man uns. Unsere Gastgeber
schliefen unten, während wir uns in dem
oberen Raum, in dem wir gegessen hatten, hinlegten
. Ein sieben bis acht Fuß hoher Hängeboden
, den man über eine Leiter erreichte, war
unser Lager, eine Art Nest, in das man auf allen
Vieren gelangte, kriechend unter den mit Lebensmitteln
für ein ganzes Jahr beladenen Balken.
Mein Kamerad kroch sofort hinein und legte sich,
den Kopf auf der kostbaren Tasche, schlafen. Da
ich wachen wollte, machte ich Feuer und setzte
mich daneben.

Die Nacht war schon fast ruhig vorüber gegangen
und ich begann mich zu beruhigen, als
ich zu der Stunde, wo der Tag nicht mehr fern
sein konnte, meinen Gastgeber rhit seiner Frau
unten sprechen und disputieren hörte. Ich legte


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