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Die Markgrafschaft
Die zwei Wünsche / Eine Philipp-Anekdote
Unlängst saßen einige Bekannte von uns und
auch Freunde der „Markgrafschaft" gemütlich
beieinander, und Meister Philipp erzählte in
seiner einfach herzlichen Art manch ein Erlebnis
aus den Jugend- und Meister jähren. Den größten
Eindruck hat auf uns alle seine Erzählung
von den zwei Wünschen gemacht, und ich will
sie, möglichst mit seinen eigenen Worten, hier
wiederholen:
„Im Jahre 1920 wurde meine Friedensmesse in
Freiburg aufgeführt, und fand großen Anklang.
Der damalige Oberbürgermeister Thoma ließ
mich rufen und sagte zu mir: Es war eine wunderschöne
Veranstaltung, und Ihre Messe ist
prachtvoll und erhebend. Unsere Stadt ist stolz
auf ihren jungen Bürger. Wenn die Zeiten etwas
besser wären, würde ich beim Stadtrat sofort eine
lebenslängliche Rente für Sie beantragen, damit
Sie frei und unabhängig Ihre schöne Gabe entwickeln
könnten. Aber der verlorene Krieg, die
Arbeitslosigkeit, die Wohnungsnot — ich glaube,
Herr Philipp — Sie haben es schöner und leichter
als ich. Aber davon abgesehen: wer tausend
Herzen rühren kann, soll von seiner Vaterstadt
Anerkennung erhalten. Wünschen Sie sich darum
etwas, junger Meister! Leider muß ich angesichts
der katastrophalen Finanzlage aller deutschen
Städte und Freiburgs insbesondere beifügen:
seien Sie bitte vernünftig, Herr Philipp!"
Ich hatte die freundlichen Worte dankbar angehört
und nickte ihm zu. Dann hob ich beschwingt
und froh zu reden an: ,, W e n n der
Herr Oberbürgermeister so freundlich ist, mich
wünschen zu lassen, wünsche ich mir zum
ersten — " „Zum ersten — ? Ja, haben Sie sogar
mehrere Wünsche? Künstlern muß man ungewöhnliche
Ansprüche nachsehen — also schießen
Sie los mit Ihrem ersten Wunsch! Aber noch
einmal — seien Sie bitte vernünftig, Herr
Philipp!"
Ich schaute das Stadtoberhaupt etwas erstaunt
an, und fuhr dann ganz bescheiden fort: „Die alte
Kreuzblume ist vor kurzem heruntergeholt worden
von unserem Münster. Ich möchte — hier
hielt ich inne, meine Forderung schien mir jetzt
doch zu anmaßend! — ein Blatt von dieser Blume,
aber mit Brief und Siegel als Schenkung der
Stadt bestätigt —". „Wenn's nicht mehr ist!"
seufzte der Oberbürgermeister erleichtert auf,
„dieser Wunsch wird Euch gern erfüllt! Aber den
zweiten — seien Sie bitte vernünftig, Herr
Philipp, verlangen Sie kein Auto, kein Haus —;".
„Ich möchte zum zweiten — (das ist jetzt gewiß
unbescheiden!) von Ihnen, Herr Oberbürgermeister
, die Erlaubnis bekommen, jederzeit in und
auf dem Münster herumlaufen zu dürfen, auch
an den Orten, die man sonst nur in Begleitung
eines Dombaumeisters oder seiner Gehilfen begehen
darf — oben bei den Strebepfeilern und
Wasserspeiern, bei den Engeln und überall, wo
es mich gerade zu verweilen gelüsten würde, und
wo ich gerne so lange bliebe, als ich muß . . . "
„Habt Ihr noch einen dritten Wunsch, junger
Meister?"
„O nein — ich wage kaum zu hoffen, daß mir
diese zwei erfüllt werden könnten!"
„Ihr sollt es haben, ein Blatt von der alten
Kreuzblume, und einen eigenen Schlüssel, zu
allen Türen des Münsters —"
„Vielmal vergelt's Gott, Herr Oberbürgermeister
. Wissen Sie, da oben ist man ein gut Stück
näher bei Gott, hört seine Musik besser, besonders
wenn kein anderer Menschentritt das Lauschen
unterbricht..."
„Ihr seid ein Gnadenkind, Meister. Denkt dort
oben, näher bei Gott, auch einmal an die Sorgen
eines Stadtoberhauptes — empfehlt mich ihm
an...
„Wenn Ihr mir so Wichtiges anvertratit, will
ich Euch sein Gewähren gern in Form eines kleinen
, volksliedhaften, Liedleins zurückbringen".
Als ich dies Geschichtlein unlängst im Kreise
von ehemaligen und wiedereingesetzten Bürgermeistern
erzählte, wußten die unter ihnen, welche
den Oberbürgemeister Thoma selber gekannt, daß
dieser die Mär von den mit Furcht und Bangen
erwarteten und mit hörbaren Seufzern der Erleichterung
gewährten Wünschen immer wiedererzählte
, um die These zu bekräftigen, daß jedes
echte Genie einfach; schlicht, kindlich und ohne
Spur von Berechnung ist.
Der Meister Philipp zeigt heute noch sein Blatt
von der. alten Kreuzblume mit viel Stolz und
Freude. Und nur den, der so ergriffen und voll
der inneren Bereitschaft, Gottes Gnade zu
empfangen, von ihm erkannt wird, nimmt er
einmal mit auf seinen heimlichen Gängen auf das
Dach, oder ins Herz und Hirn des Münsters zu
Freiburg. Lina Ritter.
In jedem Beruf erreicht den Gipfel einzig der
Bescheidene. Nur wer bescheiden ist, sich selbst
nicht sonderlich hoch einschätzt und im Innersten
ehrlich davon überzeugt ist, daß er nicht soviel
erreicht hat, wie er hätte erreichen können und
sollen, trägt die Zeichen und Stempel des großen
Mannes ... Je mehr ein Mensch einen angesehenen
Beruf zu würdigen und zu schätzen
versteht, und das tut er, je genauer er mit ihm
vertraut, ist, um so weniger hält er von seiner
eigenen Person. Denn, wenn er sich, nicht den
Berufsgenossen, wohl aber den Forderungen seines
Berufes zum Vergleich stellt, so bleibt er
immer unbefriedigt. Er fühlt, wie sehr er zurücksteht
; und das drückt die Vorstellung, die er von
sich selbst hegt, noch tiefer herab.
Eigentümlich, daß Menschen von großen Verdiensten
stets einfach sind, und daß Einfachheit
für ein Zeichen von geringer Tüchtigkeit gilt.
Aus: „Gedanken aus dem Zibaldone".
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