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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-09/0006
Die Markgrafschaft

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größere Einschnitte an den sogenannten Uferbauköpfen
dem Strom bei Hochwasser das Eindringen
in die Niederungen. Auf diese Weise
wurde der Rheinwald jedes Jahr mit einer
Schlammdecke — der besten natürlichen Düngung
— versehen. In den folgenden Jahren trug
ein Starkem Zuzug von Fremden zur Vergrößerung
der Stadt bei, die jetzt sichtbar in „bessere
Zeiten" hineinwuchs. Mit seinem fleißigen, aufgeweckten
und humorvollen Völkchen, das über
den Tränen das Lachen noch nicht verlernt hatte,
wurde Neuenburg ein vielbesuchter, und ob seiner
Herzlichkeit und Gastfreundschaft gern aufgesuchter
Ausflugsort. Gäste aus dem Elsaß und
aus dem Hinterland zählten zu den „Stammkunden
" und alte Neuenburger erinnern sich heute
noch an das traditionelle „Neüenburger-Fisch-
essen", bei dem es meist hoch herging, sowie an
das rege Leben und Treiben, das besonders an
den Sonntagen im Rheinstädtchen herrschte. Da
kam es vor, daß in den Gasthäusern „Zum Hirschen
" und „Zum Schlüssel" die Fische zentnerweise
angeliefert wurden und die Rheinfischer
und die Wirte sollen damals die zufriedensten
Leute weit und breit gewesen sein. Weil aber das
Fischessen bekanntlich auch — und nicht zu
wenig — durstig macht, hatte man auch gleich
an den Wein gedacht, der, selbstgezogen, manches
Lob und manchen Taler springen ließ. Waren in
den ersten Jahren nach 1870 nur wenige Rebbergbesitzer
in Neuenburg, so konnten doch nach und
nach weitere einheimische Bürger einige Rebgrundstücke
in den einige Kilometer entfernten
nachbarlichen Rebbergen erwerben.

Und wieder einmal der Rhein

Die Rheinkorrektion war längst beendet, der
Rhein fügte sich in die ihm aufgezwungene Ordnung
und alles schien geregelt zu sein, als
der Rhein, das alte, ewig neue Sorgenkind, wieder
einmal zum Gesprächsthema an den/Wirtshaustischen
, gleichwohl wie an den Konferenztischen
wurde. Zu lange hatte man sich an die
Hochwasser gewöhnt, die in Zeitabständen immer
wieder die Niederungen befruchteten und noch in
den achtziger Jahren gab es starke Holzschläge,
FuU«vr und Stroh genug im Rheinwald. Langsam,
aber mit konstanter Sicherheit wühlte sich indes
der Rhein immer mehr in die Tiefe. Die Uferbauten
wurden höher und schließlich kam die
Zeit, da die Uferbauten abgenommen werden
mußten. Mit Stirnrunzeln sahen die Bürger wie
auch die Behörden das stete Sinken des Wasserspiegels
. Zu plötzlich war man sich einer Gefahr
bewußt geworden, an die früher niemand gedacht
hatte, an eine Gefahr, die man auch jetzt nur
ahnte, die aber in der Zukunft sich schlimm auswirken
sollte.

Vorerst aber fanden viele Neuenburger bei der
Abnahme der Uferbauten Verdienst und Brot.
Die Jugend tummelte sich in den Altwassern,
übte sich im Schwimmen, und die Frauen und
Mädchen brachten ihre Wäsche zum Altrhein.
Wer etwas Neues erfahren wollte, der erfuhr es
bestimmt bei den „Waschweibern", die oberhalb
der kleinen Eisenbahnbrücke am Klemmbach an

ihren Waschböcken standen und nicht selten
hörte man vom großen Waschhaus her das lustige
Kichern der jungen Mädchen, die sich — wie
sollte es auch anders sein — schon damals so viel
zu erzählen hatten.

Wechselseitig, wie das ganze Leben, gestalteten
sich die nächsten Jahre. Da ist von einem Winter
die Rede, der von November 1879 bis März 1880
unter ein und derselben. Decke sein strenges
Regiment ausübte; sehr zum Schaden zahlreicher

Heiligkreuzkapelle in Neuenburg

Obstbäume, die ebenso wie die Spatzen auf den
Dächern erfroren. Dem Jahre 1885, das einen
vorzüglichen Herbst brachte, .folgte das „Epidemien
-Jahr 1886", das viele Kinder an einer sogenannten
Haisgrippe dahinraffte. In den Jahren
von 1886 bis 1889 wurde unter den einheimischen
Maurermeistern Simon Hüttie, Simon Meisinger
und August Müller die neue Kirche erbaut. Als
ungewöhnlich trockenes Jahr zeigte sich das Jahr
1893; fiel doch vom Frühjahr bis zum Herbst
kaum ein Regen. Eine große Futternot war die
Folge. Von dem Vieh, das seine Nahrung im
Rheinwald suchte, mußten schließlich viele Stücke
zu einem Spottpreis verkauft werden. Im Spätsommer
wurde dann aus Italien teures Dürrfutter
eingeführt, um der größten Not zu steuern.
(Forlsetzung folgt.) Karl Kraus-Mannetstätter.


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