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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-10/0011
Die MarkgrafSchaft

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mit den Sorgen ebenso wie mit den Schicksalsschlägen
der Vergangenheit fertig geworden war,
und die das Glück des verdienten Friedens jetzt
in vollen Zügen genoß. Wem es nach Arbeit zu
tun war, der fand sie überall in Menge und dazu
manch blankes Goldstück. Es war eine Zeit, wie
man sie nicht besser hätte wünschen können.
Und fragt man einen alten Neuenburger nach
ihr, dann hört sich in der Erinnerung daran
vieles wie ein Märchen an und doch gab es auch
sie einmal: die „gute, alte Zeit".



Wetterleuchten im Westen

Fast schien es, als sollte diese schöne Zeit das
letzte Gewähren eines gnädigen Schicksals an die
Menschen sein, die dort am Silberstrom ihrem
Tagewerk nachgingen; einem Tagewerk, das ihr
ganzes Denken und Empfinden gefangen hielt
und das den Blick nur selten nach dem Westen
freigab, nach dem Westen, wo es bereits zu
wetterleuchten begonnen hatte. Zuerst kaum
sichtbar, dann merklicher, bis es auch der Bauer
auf dem Felde und der Holzfäller im Walde sehen
konnte. Es war die Zeit, da man die Pferde vom
Pflug und den Sohn von der Arbeit wegholte.
Drinnen in der Stube saß damals allein die Mutter
und verdoppelte ihr Gebet. Es war das frühe
Ahnen, das jedem späteren Wissen vorausgeht.

Neuenburg abermals in Kriegsnot

Trompetensignale durchbrachen am 1. August
die ländliche Stille, wie sie vor jedem Sturme
einhergeht. Sie verkündeten nichts Gutes. Ihre
Sprache kroch zum Herzen der Stadt und zum
Herzen ihrer Einwohner, die hin- und hergerissen
im Erleben aller Tragik, abermals die ganze
Bitternis einer Grenzstadt auf sich nehmen mußten
. Nur wenige Stunden genügten der Stadt, ihr
Antlitz den Bürgern gleich, zu verändern.

Schwer hallte das Pflaster von den Hufen der
Pferde, die in großen Transporten auf ihrem Weg
von Mülhausen nach Freiburg hier durchgeschleust
wurden, und unabsehbar waren die
Kolonnen von Möbelwagen, die wertvolles Kriegsmaterial
von der anderen Seite des Rheins auf
badischer Seite in Sicherheit brachten. Immer
mehr Uniformen, immer mehr Befehle charakterisierten
die Lage. Truppen, die zum Ausbau des
Brückenkopfes eingesetzt waren, wurden in
Massenquartieren untergebracht. Man schrieb den
9. August, als der Großherzog von Baden auf der
Schiffsbrücke stehend, den Vorbeimarsch seiner
Truppen abnahm, die nun gegen Mülhausen
marschierten, wo sich eine Schlacht entspann.
In große Aufregung geriet die Einwohnerschaft
Neuenbürgs, als ein Gerücht in der Nacht davon
wissen wollte, daß die Franzosen nach siegreichem
Gefecht den Rheinübergang bedrohen würden
. Im Scheine nächtlicher Brände wurde das
Nötigste zusammengepackt und für die Abfahrt
bereitgestellt. Als jedoch am nächsten Tag statt
des Gegners die Nachricht vom siegreichen Ende

der Schlacht durch die Stadt eilte, beruhigten sich
wieder schnell die Gemüter.

Weit heftigere Kämpfe entbrannten um den
Besitzes des „Hartmannsweilerkopfes" und um
die Vogesen. Während des ganzen Krieges war
von dieser Seite der Front her deutlich der
Kononendonner zu hören. Ohne Unterbrechung
hatte die Stadt Einquartierung. Insgesamt 120 000
Quartier-Billette, so heißt es in einem Beitrag von
Wenk, wurden damals ausgegeben. Ein eigener
großer Pionierpark versorgte die Front mit
Kriegsmaterial.

Nach dem Waffenstillstand wurden am 20. November
1918 erstmals französische Posten am

Altar der Heiligkreuzkapelle in Neuenburg

linken Rheinufer gesichtet. Zur gleichen Zeit er-,
schien in der Stadt ein französischer Parlamentär
, um über die Räumung des Elsaß von deutschen
Truppen sich zu erkundigen. Wenig später
wurden auch die beiden unbeschädigten Rheinbrücken
von den Franzosen übernommen. Auf
ihnen rollten nun jeden Mittwoch ein Zug mit
ausgewiesenen deutschen Zivilisten aus dem
Elsaß über den Rhein. Mit dem Friedensschluß
von Versailles hatte das große Drama dieses
Weltkrieges auch für die Stadt Neuenburg am
Rhein seinen Abschluß gefunden. Über vierhundert
Söhne waren zu den Fahnen gerufen worden,
achtundsechzig von ihnen kehrten nicht mehr
zurück. Ein schlichtes Kreuz erinnerte lange den
fremden Wanderer um ein Gebet für sie.

(Fortsetzung folgt.) Karl Kraus-Mannetstätter.


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