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Die Markgrafschalt
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demselben zurückkam und erzählte: „In Lörrach
sieht es gut aus. Es wurde plötzlich, als niemand
an etwas dachte, das Amthaus von Bürgerwehrmännern
besetzt, mehrere, als der republikanischen
Partei abholde Männer bekannt, sogleich
eingesperrt, einige noch vorhandene politische
Gefangene ihrer Haft entlassen. Die Trommel
wirbelte und die Bürgerwehrmänner sammelten
sich um ihre Fahnen. Niemand wußte eigentlich,
von wem alles dieses ausgehe, als es auf einmal
hieß, Struwe sei hier und haranguiere das Volk
vom Rathaus herunter, daß die Zeit der Freiheit
und Unabhängigkeit jetzt da sei. Allerorten habe
sich das Volk seiner Vormünder entledigt. In
Lörrach, in Karlsruhe sei das Militär zum Volk
übergetreten und verkündete die allgemeine
deutsche Republik, die Allen Wohlstand, Bildung
und Unbhängigkeit bringen werde. Die angesehensten
Männer in Lörrach trauten diesen
glatten Worten und unterwarfen sich willig den
Anordnungen Struwes. Die berittene Bürgerwehr
von Lörrach brachte diese Nachricht auf
alle umliegenden Ortschaften und proklamierte
zugleich die Deutsche Republik mit dem gemessenen
Bef ehr Struwes an sämtliche Bürgermeister
, sogleich nach Empfang obiger Nachricht
Sturm läuten zu lassen, alle männliche Bevölkerung
von 18 bis 40 Jahren zu bewaffnen und der
provisorischen Regierung zu stellen. Widerspenstige
Orte wurden durch Exekutionsmannschaften
zum Ausmarsch gezwungen. Auf diese
Weise kamen am 1. September des Jahres 1848
in Müllheim und Umgebung etwa 10 000 Menschen
zusammen, teils freiwillig, teils gezwungen,
bewaffnet und unbewaffnet. Oft sah man lange
Züge gut bewaffneter und organisierter Bürgerwehren
, dann wieder andere, bloß mit Stöcken
versehen oder auch mit alten Jagdgewehren,
Stutzen, Kommisgewehren usw., ein buntes und
burleskes Gemisch von allen möglichen Bewaffnungen
.
Wohl war den meisten dieser schnelle und
sonderbare Aufstand etwas unheimlich. Doch
viele, darunter auch ich, die überall den freiheitlichen
Bestrebungen sich angeschlossen hatten,
konnten jetzt, wo es galt, für seine Uberzeugung
einzustehen und den großen und schönen Redensarten
, die bei öffentlichen Gelegenheiten, hinterm
Wirtstisch von Leib- und Leben-Wagen nur zu
oft gesprochen wurden, auch Taten folgen zu
lassen, nicht zurückstehen, da man, von aller
Verbindung abgeschlossen, im Augenblick nicht
wußte, was an den Ankündigungen Struwes
Wahres sei oder nicht. Manche jedoch, die vorher
immer große Mäuler gehabt hatten, flohen
feigerweise, da sie sahen, daß ernste Saiten aufgezogen
waren. Und so bewaffnete ich mich auf
die erste Nachricht meines Vaters. Meine Büchse
samt dem als Bajonett dienenden Hirschfänger
wurde instandgesetzt, die Jagdtasche mit Kugeln,
die mir meine Frau noch während der Nacht goß,
gefüllt, der Tornister gepackt, als gält's einen
lustigen Tanz. Wohl hing eine Träne an den
Wimpern, als ich mich von Weib und Kind
brennte, um sie vielleicht nicht wiederzusehen;
doch sie wurde schnell unterdrückt im allgemeinen
Freiheitsrausch. Vorwärts ging's, überall
schlössen sich neue Scharen bekannter Männer
an. In Müllheim wurden wir für den ersten Tag
einquartiert. Doch schon hier machte sich ein
plan- und kopfloses Durcheinander bemerklich.
Nirgends war eine einheitliche Leitung des Ganzen
zu erkennen. Dagegen sah man überall
schwarz-rot-goldene Bänder, Schärpen, wohl auch
ganz rote, prächtige Fetzen, Federn, Blusen und
besonders den grauen Filzhut. Den andern Morgen
, es war ein Sonntag, der 1. September, um '
halb 5 Uhr schon wirbelten die Trommeln Generalmarsch
. Schnell wurde gefrühstückt, und um
5 Uhr war die buntscheckige Masse zum Abmarsch
bereit.
Allgemein war der Glaube verbreitet, daß es
sich eben bloß um einen Triumphzug handle.
Uberall werde man festlich empfangen werden,
das Militär sei ja überall auf der Seite des Volkes
. In Karlsruhe werde sich das souveräne Volk
als oberste Behörde einsetzen, um von da aus die
Teutsche Republik weiterzutragen. Dies waren so
im allgemeinen die Vorstellungen der meisten
von diesem Zuge, doch bald sollten wir enttäuscht
werden. Als wir gegen Heitersheim marschierten,
lief es auf einmal durch die Reihen, daß Militär
im Anmarsch sei und wahrscheinlich in feindlicher
Absicht. Dies wirkte sehr verderblich auf
die junge republikanische Armee, denn das
Davonlaufen wurde nun bald Allgemeingut.
Viele waren schon in Müllheim zurückgeblieben.
In Heitersheim hielt Struwe noch einmal Heerschau
, ermahnte uns, wenn die fürstlichen Söldner
uns angreifen würden, tapfer standzuhalten,
ließ denjenigen, die mehr als drei Ladungen bei
sich hatten, den Rest abnehmen, um diejenigen
zu verproviantieren, die nicht mit Kriegsbedarf
versehen waren. Hierauf befahl er, scharf zu
laden und zeigte uns an, daß wir nach Staufen
marschieren. Da die Unordnung, besonders da
jetzt einige Gefahr vorhanden war, von Minute
zu Minute wuchs, so traten wir, Etliche von
Kirchen, Efringen und Hertingen zusammen und
wählten uns aus unserer Mitte einen Anführer
in der Person des Baschi Bruder, der sofort auch
voh Struwe als Major installiert und beritten
gemacht wurde. Weiter marschierten wi£ nun
gegen Wettelbrunn. Bevor wir jedoch diesen Ort
erreichten, sagte uns unser Major, daß badische
Dragoner dicht hinter uns her seien und er nur
der Geschwindigkeit seines Pferdes es zu verdanken
habe, ihnen entwischt zu sein, da er
rekogniszierend hinter dem Zuge zurückgeblieben
war. Er ließ uns hierauf debandieren, was
zu allerlei drolligen Auftritten Veranlassung gab.
— Das Ausreißen und Davonlaufen nahm mit
jeder Stunde zu, und bei jeder Wegkrümmung,
jedem Baum oder Busch waren wieder Einzelne
verschwunden. Die Anführer galoppierten hin
und her und brachten dadurch Unordnung in die
Kolonne. Dazu kam noch, daß man einzelne gut
bewaffnete und gut einexerzierte Bürgerwehrkompanien
, die auf einem anderen Weg nach
Staufen marschierten, von weitem für Linienmilitär
hielt, was nun zu einem unaufhaltsamen
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