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Die Markgrafschaft
DaS Geld im SttUITlpf /Von Erwin Klein
Das Dorf am Rheinstrom, in dem sich die nachstehende
Geschichte abspielt, beherbergt manchen
merkwürdigen Kautz in seinen verwetterten
Häusern. Die Leute dort sind ein alteingesessener
, origineller Schlag, „rees un zeech wie Roßleder
". Sie meistern das Leben auf ihre Art:
goh mueß es uf jede Fall — haut oder naut!
Auch die Hunger jähre haben sie ganz gut überstanden
, weil sie sich zu helfen wußten. War
kein Fleisch mehr da, sie wußten bestimmt, daß
eines Tages, spätestens am Samstag, ein Häslein
oder sonst ein Geschöpf des lieben Gottes am
Morgen in der Küche lag, darauf wartend, daß
es verspeist werde. Jawohl, es geschehen dort
noch Zeichen und Wunder!
Auch die Näherin Kreszenz wußte um diese
Wunder. Ein Leben ohne ein gutes Mümpfeli
war ihr von jeher etwas Unbekanntes, und
sie brachte ihren Alten schon auf Draht, wie
man heute so schön sagt, wenn die Aussicht
bestand, daß in absehbarer Zeit Mangel eintreten
könnte. Sie trug deshalb auch ein ganz ansehnliches
Bäuchlein herum, das ihr Sepp mit
„Güggelifriedhof" bezeichnete. Geldmangel kannte
sie ebenso wenig. Das Sparen verstand sie ausgezeichnet
, und daß sie fleißig war, das mußte ihr
auch der Neider lassen. Ihre Sparkasse war ein
•alter, währschafter Strumpf, handgestrickt natürlich
; einem modernen hätte sie ihre Schätze nie
anvertraut. Dieser Strumpf war ihr Heiligtum,
und sie hielt ihn wohl verborgen. Nicht einmal
ihrem Sepp verriet sie das Versteck, obwohl er
des öfteren versuchte, hinter dieses Geheimnis
zu kommen. Da half kein Bitten und kein Betteln
; eher hätte sie den Offenbarungseid geleistet,
als das Versteck oder gar den Kassenbestand
ihres wollenen Tresors bekannt zu geben. Und
hatte sie einmal einen Betrag für den Strumpf
bestimmt, so brachte sie auch keine Macht der
Welt dazu, diesen Betrag wieder herauszugeben.
Durch diese eiserne Sparmethode, kam es natürlich
auch vor, daß in der Haushaltkasse dann und
wann Ebbe war. Aber das kümmerte sie wenig.
Dafür war ihr Sepp da. Ihn machte sie für die
Sorgen des täglichen Lebens verantwortlich. Ihr
Mümpfeli hatte sie trotzdem.
Sie wußte auch ganz genau, wieviel Taschengeld
ihr Mann bei sich trug, und es war ihr nicht
zu viel, nachts aufzustehen, um die Barschaft
ihres Ehegespons zu kontrollieren. Und wehe,
wenn etwas nicht stimmte. Hatte er seine Barschaft
um einiges vermehren können, so wanderte
das Mehr in den Strumpf. Kam er der Sache auf
die Spur und wollte sich gegen solche Eingriffe
verwahren, dann schaute sie ihn nur mit ihren
schwarzen Tollkirschenaugen an, biß auf die
Zähne, und schon war jeder Widerstand gebrochen
. Der Alte trollte dann gewöhnlich hinaus
auf den Hof und kratzte sich verlegen in seiner
gewaltigen Mähne. Auf diese Weise gewann sie
jede Schlacht und erstickte Revolutionen im
Keime. Ging er aus, so wollte sie unbedigt dabei
sein. Kam es aber doch einmal vor, daß er allein
fort durfte, so wußte sie schon eine Stunde nach
seiner Rückkehr ganz genau, mit wem er gesprochen
und welches Thema verhandelt wurde. Bis
zur Erschöpfung fragte sie den Alten aus. Natürlich
wollte sie auch wissen, wieviel Geld er ausgegeben
und was er ihr mitgebracht habe. War
dem Sepp ein Geschäft geglückt, so wanderte der
Erlös prompt auf den Tisch des Hauses und von
da in den Strumpf.
„Weisch du, was dinere Alte fehlt?", fragte
eines Tages ein Kollege den armen Sepp, der
gerade bei einer der oben geschilderten Szenen
anwesend war. „Di Frau isch wie-n-e brüetig
Huehn. Sperr si emol zwei Dag in Cheller untere
Chiste, 's wird-ere drno scho vergoh! Unsere
Chluggere het's au ghulfe; si stellt hit d'Bürste
nümme!"
„Um's Gottswille, sei still, wenn sie's hört!",
rief der Mann entsetzt, und schaute ängstlich nach
der Gangtüre. — Damit war auch dieser indirekte
Angriff abgeschlagen.
Aber einmal ging es doch anders. Da und
dort im Dorf wurden Motorräder gekauft, feine,
schöne Sachen, und sie sah nicht ohne Neid,
wie am Sonntag der Nachbar mit seiner Frau
zur Sonntagsfahrt rüstete. Als der Sepp diesen
Neid bei seiner Frau merkte, wußte er,
was er zu tun hatte. Jeden Tag lag er ihr nun
mit dem Motorrad in den Ohren und betonte die
Möglichkeiten, die man mit einem solchen Vehikel
hätte. Die Sonntagsausfahrten schilderte er
ihr in den schönsten Farben. Und was der Nachbar
, der Hungerleider, könne, das könnten sie
sich doch auch leisten. — Endlich hatte er sie so
weit. Das Motorrad wurde gekauft. Auf Heller
und Pfennig genau legte sie dem Händler das
Geld auf den Tisch, während ihr armer Sepp mit
Stielaugen die vielen Scheine bewunderte, die
sich da vor ihm ausbreiteten und die wohl schon
jahrelang keinen Lichtstrahl mehr gesehen hatten
. — „Kreszenz", rief er vor Freuden aus,
„jetz bisch wieder Hahn im Chorb! Nei, so
ebbis!" — „I bi's denkwohl einewäg!", antwortete
sie lakonisch und ihre Augen rollten wie Billardkugeln
. — Wieviel Geld aber der wollene Tresor
nach diesem Aderlaß noch enthielt, blieb weiterhin
ein Geheimnis. Und wo er versteckt war, ist
dem Sepp ebenfalls nicht offenbar geworden.
Erst nach ihrem Tod fanden die Angehörigen
den Strumpf, prall gefüllt mit Geldscheinen in
einer durch ein Bild geschickt verdeckten Wandnische
. Den Sozius aber auf dem Motorrad hat sie
bis kurz vor ihrem Tod fleißig benützt, und der
Sepp hatte manchmal geseufzt, wenn er unter
ihrer Regie ausfahren mußte.
Eisern hatte die Kreszenz gespart und eisern
mußte sie verlieren. Der Tod wußte mit ihren
Schätzen nichts anzufangen. Das Geld im Strumpf
aber war lange Zeit das beliebte Dorfgespräch
und den armen Sepp machten die Leute zum
Strumpfhalter. Es tat ihm aber nicht sö weh;
denn er nahm das Geld und kaufte sich ein
Auto.
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