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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1950-12/0006
4 Die Markgrafschaft

Das Weihnachtsopfer

Ein Erlebnis aus meiner Kindheit / Von Richard Nutzinger

Unsere Mutter war eine prächtige Pfarrfrau,
die neben der Fürsorge für ihre eigenen Kinder
auch immer für die Armen und Ärmsten der
Gemeinde da war. Und sie wußte es in ihrer
Erziehung klug so einzurichten, daß wir Kinder
aus reicherem Haus ein liebevolles Verständnis
für die Not der armen Leute gewannen. Was war
das doch immer für eine herrliche Adventszeit,
in der so nacheinander, angefangen mit den
Springerli, alle Sorten von Zuckerbrötli gebacken
wurden. Und immer gab's ganze Waschkörbe
voll. Und dann, wenn der Adventskalender sein
letztes und das Kinderherz sein freudevollstes
Türlein aufmacht, am Morgen des 24. Dezember,
da wanderten wir Geschwister, die Henkelkörbe
voll Gutseli und Nützlichkeiten am Arm, zu den
armen Leuten im Dorf, um ihnen das Weihnachtsgrüßlein
vom Pfarrhaus zu bringen; und
da ging's dann in manche Krankenstube und
Elendskammer; und besonders ging uns Kindern
die Not unserer Altersgenossen ans Herz. Es war
uns dann immer, als würde der Weihnachtsglanz
im Elternhaus nur noch strahlender auf dem
Hintergrund all der trübseligen Armut, die wir
gesehen, und als sei der Gang zum Elend wie
der Weg zu niederen Krippe im Stall, uns als
entfalte sich dann daheim die ganze Herrlichkeit
des Gotteskindes. Ja, es war eine unendlich heilsame
und erzieherisch so wertvolle Mission, dies
Hineinsehenmüssen in Not und Armut. Einmal
auf solchem Weihnachtsgang trafen meine Schwester
und ich in einem armseligen Häuschen nur
die beiden Kinder daheim an; ihre Mutter war
im Sommer gestorben und der Vater war als
Holzfäller im Wald beschäftigt. Wie kahl und
kalt war's da innerlich und äußerlich in dem
Stüblein! Der Hans bemühte sich zwar, mit
nassem Holz den Ofen in Gang zu bringen, verursachte
aber nur einen heillosen Qualm, von
dem sein elend im Bett liegendes Schwesterchen
nur immer wieder heftige Hustenanfälle bekam.
Als wir unsere Weihnachtsgaben niedergelegt
hatten und uns erkundigten, was sie sonst noch
„zum Christkind" bekämen, gestanden sie beschämt
und traurig, daß ihnen der Vater nichts

Die Großmutter war krank, sehr krank. Ein
unheilbares Leiden marterte sie in unregelmäßigen
Abständen. Traten die Anfälle auf, litt sie
unsagbar. Wenn aber irgend möglich, machte sie
ihre Qual mit sich selber ab.

Die Großmutter war die Großmutter schlechthin
. Nicht nur die Kinder, sondern auch Frau
Lotte nannte sie so.

Es war an einem Weihnachtsabend. Der Augenblick
der Bescherung war noch nicht gekommen.
Da sprach die Großmutter zu der Frau des Hauses
, die sie treulich pflegte und betreute:

bescheren könne, und die* Mutter, die es sonst
immer getan, sei halt nimmer da. Ja, was sie sich
denn gewünscht hätten, fragten wir. Ha, ein
Puppele, nur ein einzigs kleins Puppele, meinte
das kranke Annele unter ständigem Hüsteln und
Weinen, und der Hans wollte halt gerne einen
Schlitten, auf dem man ,,selb zweit" fahren
könne, wo dann das Annele, wenn es wieder
gesund sei, mit draufsitzen solle. Aber der Vater
habe schon gesagt, dieses Jahr bringe das Christkind
nichts, das komme ja sowieso nur zu den
Reichen. Diese trostlose Mitteilung ging uns
beiden doch sehr nahe und beschäftigte uns den
ganzen Tag, ja bis in die Bescherung hinein, die
uns doch sonst mit ihrem reichen Glück alle
Bilder der Not wieder vergessen ließ. Diesmal
aber erinnerten uns unsere Gaben plötzlich wieder
an die Not der beiden einsamen Kinder;
denn ich hatte einen schönen Rodelschlitten bekommen
, da war also der alte Zweisitzer überflüssig
geworden, und meine Schwester hatte
eine neue Puppe gekriegt. Wir wechselten erst
verständnisinnige Blicke, flüsterten uns kurz was
zu und verschwanden ungesehen aus dem Zimmer
mit seinem reichen, strahlenden Lichterglanz
, um in die Hütte der Armut zu gehen.
Durch den Schnee fuhr ein Schlitten mit einem
Puppele drauf. Sie waren wieder allein, die beiden
armen Kinder, bei einer gar trübseligen
Beleuchtung und natürlich ohne ein „Wiehnechts-
bäumli"; der Vater sei halt nochmals ins Wirtshaus
gegangen. Übermächtig brach aus ihnen die
Freude, als wir ihnen zeigten, was ihnen das
Christkindle bringe. Das Anneli herzte seine
Puppe und sah in Fieber und Freude ganz glückselig
aus, schier wie ein Engelein selbst; und der
Hans wäre am liebsten gleich im Zimmer Schlitten
gefahren.

Am nächsten Morgen lag das Anneli tot in
seinem Bettlein, ein Engelslächeln um seinen
Mund und seinen Arm fest um das Püppchen
gepreßt. Und der Hansli mußte nun doch allein
Schlitten fahren, weil das Anneli eine schönere
Fahrt angetreten hatte.

Fahrenkrog

„Kind, mir ist jetzt ganz gut und ich möchte
liebend gern sehen, wie sich die Kinder freuen".

„Das ist ja herrlich", rief Frau Lotte, „da freut
sich alles doppelt. Komm, ich helfe dir! Und
drinnen bekommst du den bequemsten Sessel
zurechtgesetzt und dann soll es schon werden".

. „Laß man, mein Kind", wehrte die Großmutter
ab. „Ich komme schon allein zurecht — und du
hast noch genug zu tun".

„Wirst du aber auch wirklich gut allein fertig,
Großmutter?", fragte, sich vergewissernd, die
Hausfrau.

Seelengröße / von


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