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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-01/0003
DIE MARKGRAFSCHAFT

Nr. 1 / 3. Jahrgang

Monatszeitschrift des Hebelbundes

Januar 1951

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Nachdenkliches ins neue Jahr von R. Nutzinger

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Das Titelblat unserer „Markgrafschaft" trägt
diesmal das Bild der Lörracher Stadtkirche, in
der einst auch der Präzeptoratsvikarius Johann
Peter Hebel während seiner achtjährigen Dienstzeit
manchmal gepredigt hat. Allerdings mit
Seufzen und Widerstreben. Nicht wegen der
Gemeinde — die Lörracher waren ihm ja alle
wohl vertraut —, sondern wegen dieser ungerechtfertigten
Beschneidung seiner Freizeit. Denn wir
können es wahrlich dem guten Präzeptor, der
mit einem reichlichen Stundendeputat während
der Wochentage auf dem Katheder stand, nicht
verdenken, wenn er sich seiner Haut gewehrt
und sich dieser Zumutung, am Sonntag auch noch
die Kanzel zu besteigen, nach Möglichkeit und
mit Zähigkeit widersetzt hat, was ihm gelegentlich
einmal eine saftige Rüge vonseiten seiner
Kirchenbehörde eingetragen hat. Man kann es
gerade unserem Meister Hebel, diesem Menschen
des zarten Zeitgefühls und des kunstvollen
Lebensrhythmus, so recht nachempfinden, wie
sehr er unter dieser Vergewaltigung und Überbeanspruchung
seiner Arbeitskraft gelitten hat.
Er lebte nach diesem Grundsatz aus dem „Mann
im Mond": „Am Sunntig ruejh un bet un sing,
am Werchtig schaff dii Sach!" Und wie gut und
gründlich er diese seine Werktagsarbeit geschafft
hat, beleuchtet uns wohl der Bericht in unserer
,Markgrafschaft' aus der Feder von Gymnasiumsdirektor
Dr. Kiek. Hier im Pädagogium war sein
Auftrag und seine Aufgabe, der er sich mit
ganzer Gewissenhaftigkeit unterzog; was von
ihm aber darüber hinaus gefordert wurde, dem
entzog er sich mit einem zähen Eigenwillen, wie
wir ihn sonst nicht an ihm kennen, wie er aber
für uns geradezu vorbildlich ist. Denn Hebel war
nun einmal — im für uns beschämenden Gegensatz
zu unserem Jagen und Hetzen — ein ausgesprochener
Feind aller gewaltsam betriebenen
Tätigkeit, alles „Krampfes", aller Hast und
Hetze. Man lese nur einmal seine Briefe, in denen
er sich zwar öfters dafür entschuldigen muß, daß
er den Adressaten lange warten läßt mit der
Antwort, aber nie dafür, daß er ihn wegen
dringender Geschäfte kurz abfertigen muß, wie
das doch das Kennzeichen unserer Briefe ist. Er
begeht nie die Lieblosigkeit, einen nichtssagenden
, mit abgedroschenen Formeln erledigten
Brief abzusenden, auch dann nicht, als ihm die
vielseitige Tätigkeit in Amt und Ehrenämtern
über den Kopf wächst. Freilich damals hat, wie
es ein Hebelforscher gut ausdrückt, „der Professor
den Poeten totgeschlagen". Welch ein
Glück für uns, daß der Hertinger Hauslehrer und
Lörracher Präzeptor seinen Sonntag für sich

beansprucht hat; an diesen Tagen wurde der
Dichter in ihm geboren, der, um mit Burte zu
sprechen, „im Sunntigschinderland all deheim"
ist. Und wie er diesen seinen Sonntag genützt
und erlebt hat, lese man doch im „Hephatha"
nach. Da lauscht er — wie der große, einfältige
Franz von Assissi — erst der Predigt der Vögel,
um dann selbst in der Kirche seine Andacht zu
verrichten. Und da webt wundersam ineinander,
was die Natur zu ihm gesprochen hat und was
der Prediger aus der Bibel ihm deutet: die große
Offenbarung seines seine Kreatur liebenden
Vaters.

Welch eine andere Welt ist unsere Gegenwart,
in der alle Menschen unter dem einen Fluch zu
stehen scheinen: Sie haben keine Zeit. Wir
leben in einer aufreibenden, seelenlosen und uns
verzehrenden Geschäftigkeit, im Zeichen des
Krampfes. Ob unser Fall hoffnungslos ist? Fast
scheint es so, als würden wir unrettbar und
unwiderstehlich vom rasenden Tempo unserer
mechanisierten Zeit mit fortgerissen. Aber ist
das wirklich ein Passivum, das wir erdulden
müssen, oder nicht vielmehr ein resigniertes
Sich-treiben-lassen, dem eine Hebeische zähe
Widersetzlichkeit Einhalt gebieten könnte? Sollten
wir nicht wenigstens einmal den ernstlichen
Versuch machen, uns nicht hetzen und jagen und
uns den Tag und die Stunde der Besinnung an
jedem Tag durch nichts und niemand rauben zu
lassen? Im glaube wohl, daß Hebel uns dazu
helfen will und könnte, die Flucht in Feier, den
Fluch in Segen zu verwandeln. Wollen wir nicht
im neuen Jahr damit einen neuen, starken Anfang
machen?

WEG-GELEIT

Un näume mueß e Liechtli sii,
wenn's um di truurig, trüeb;
un näume singt e Stimmli dri,
so guet un lind un lieb.

Un näume mueß e Weg no goh,
wenn kein meh siehsch un weisen;
un näume mueß e Helfer stoh,
wenn d' schwer di Burdi traisch.

Un näume goht der uf ne Tür,
wenn d' scho verzwiifle witt;
un näume lacht e Sternli dir,
wo Trost un Friede git.

Wo isch das näume? Suech das Land,
wo in der inne lit.
Der oben-an-d'r git der d'Hand.
O Menschechind, gang mit!

Richard Nutzinger.


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