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Die Markgrafschaft
Gespenster überall / j<** Preusch-Müiier
„'s git Gschpenster, seil isch us un isch verbei",
sagt Johann Peter Hebel in seinem „Gespenst an
der Kandener Straße". Und der eine oder andere
wird, wenn er Hebels Gedicht kennt, zugeben
müssen, daß auch ihn mitunter schon ein ähnliches
Gespenst einen andern Heimweg führte,
als er eigentlich wollte. Der Glaube an Gespenster
war nicht nur in früheren Jahrhunderten
stark lebendig, er lebt auch heute noch. Am
allermeisten in weitabgelegenen Ortschaften, wo
die Menschen noch zäh am Glauben und Aberglauben
der Alten festhalten.
In einem Schwarzwalddorf, das etliche Wegstunden
vom Verkehr auf einsamer Höhe liegt,
wohnt selbst unter der Jugend ein blühender
Gespensterglaube. Jeder Winkel im Dorf hat
seine eigene Erscheinung.
Meine Berta wollte eines Abends nicht allein
nach Hause gehen. Ich fragte sie nach dem
Grund. Verlegen wich sie aus und bat mich nur,
bis in die Nähe ihres Elternhauses mitzugehen.
„Wenn Du mir sagst, warum". Nach einigem
Zögern bekam ich heraus, daß sie heute keine
alte trockene Brotkruste „im Sack" hatte, und
darum keinen Schutz gegen den schwarzen Hund
mit den feurigen Augen, der bei finsterer Nacht
auf dem Schmiedjakob seinem Bänkle säße. Ihre
Großmutter habe ihn einmal gesehen. (Im alten
Volksglauben wird hier schon die Heiligkeit des
Brotes als Kraft zur Abwehr des Bösen gebraucht
.)
Und das Emmale, das hat sogar mit eigenen
Augen einmal im Winkel „'s wyß Fräuli" gesehen
. Das kommt immer in der Dämmerung aus
einem hohen Rain heraus, schwebt am Bach entlang
über den Weg und verschwindet hinters
Metzgers Schopf.
In der alten Gaß ist es nachts auch nicht geheuer
. Das kann des Maurers Franz erzählen. „Da
kommt eine Gestalt mit feurigen Augen auf dich
zu, verstellt dir den Weg und ängstigt dich, daß du
in Schweiß gerätst und nicht mehr weiter kannst".
Sogar am hellichten Pfingstnachmittag sollen
einmal, in der Nähe der Mühle, zwei Reiter auf
Schimmeln im hellen Galopp vom Gottesacker
herunter gesaust, jungen Mädchen nachgeritten
und dann in der Brunnmatt verschwunden sein,
wie vom Erdboden verschluckt.
Früher, so erzählten die Alten, ist es im Hause
des Posthalters „gar wüescht umgarige". Da
wohnte vor vielen, vielen Jahren der alte Fürchti
(Fürchtegott). Ein böser, jähzorniger Mann, der
gar viel Schlimmes tat, wenn ihn der Zornteufel
hatte. Wenn zwei Männer einander an den Kragen
gehen, so ist das schlimm, aber menschlich.
Wenn aber einer wie der Fürchti, sich im Zorn
am wehrlosen Vieh vergriff, daß er einmal einem
Roß in der Wut die Heugabel in den „Ranzen"
stach, daß es verendete, das war grausig. Ein
solcher Mensch konnte kein selig Ende finden.
Und richtig, nach seinem Tode „ging er um".
Wenn die Nacht kam, trieb er im Keller sein
Unwesen. Niemand getraute sich des Nachts
mehr hinunter, und wenn man einmal vergaß,
am Tage das Krüglein Most herauf zu holen, so
saß man lieber zum Feierabend trocken in der
Stube. Es war eine schreckliche Plage für die
Hausbewohner.
Da hörten sie, daß im Tal in einem Kloster
Kapuziner-Mönche lebten, die Geister bannen
könnten. Es kostete zwar sündhaft viel Geld,
aber so konnte es nicht weiter gehen. Darum
ließen sie einen Pater kommen, der den bösen
Geist in eine Flasche bannte, diese gut verschloß
und eine Stunde entfernt in der Wehrahalde
vergrub. Nun waren sie wohl einen ordentlichen
Batzen los, aber auch den bösen Geist, und im
Hause war endlich Ruhe. Es heißt aber, der Geist
fände auch dort unten keine Ruhe, sondern
müsse jedes Jahr um einen Hahnenschritt hinauf
. Bis er wieder oben sein wird, leben du und
ich nicht mehr, und vielleicht ist dann seine
arme Seele erlöst.
Nicht jede Gespenstergeschichte hat aber einen
schaurigen Schluß. Eines Nachts gingen zwei
Männer, denen ein heißer Tag viel Durst gemacht
hatte, aus dem Todtmoos über die Neusäge
heim. Der Aufstieg war ziemlich steil und
machte müde. Als sie aus dem Wald heraus
traten, lagen die Neuhäuser wie eine schwarze
Burg auf dem Buckel oben, vor dem mondhellen
Nachthimmel, und der Waldkauz schrie hinter
ihnen her. Sein schauriges hu-hu-hu-u-u-uh jagte
ihnen eine Gänsehaut über den Rücken, und sie
schauten sich fröstelnd um. Das war doch die
Stelle, wo immer des Nachts die Rosse anfangen
zu schwitzen und nicht weiter können, wenn in
der Vollmondszeit ein Fuhrwerk unterwegs ist.
Der eine stieß den andern an: „Du, hörsch
nit?". Der andere schüttelte glucksend den Kopf.
Wieder stieß das hohle und doch so grelle
Hu-hu-hu-u-u-uh in die stille Nacht. Die Wanderer
schraken zusammen. Da — was war das?
Auf der Höhe, wo der Weg nach der Lochmühle
abzweigt, stand auf einmal etwas Unbekanntes,
Unheimliches, schwarz und groß im hellen
Mondlicht. Zwei Gespenster. Eines hockte geduckt
und unbeweglich auf einem Fleck, das
andere bewegte sich immer darum herum, ab
und zu schauerliche Töne ausstoßend. Die Männer
blieben stehen. Sie getrauten sich nicht
näher heran, viel weniger noch daran vorbei.
Sie überlegten hin und her. Wenn man vielleicht
ganz leise, ganz auf den Zehen ginge. Es
wollte nicht glücken. Die Schritte waren zu unsicher
. Sie kamen immer ins Stolpern. So nahmen
sie noch einmal allen Mut zusammen und
rannten auf das Unheimliche zu. Das eine
Gespenst rührte sich nicht, aber das andere tat
einen erschreckten Sprung zur Seite und schrie
tief und jämmerlich: „Mäh, mäh". Ein Schaf,
das auf der Weide an einen kurzen Pfahl angebunden
war, und neben ihm ein alter, umgestülpter
Zuber. — Ich habe nichts verraten, aber es
wurde ruchbar. Das ganze Dorf lachte, und die
beiden Helden waren klug genug, mitzulachen.
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