Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-02/0004
2

Die Markgrafschaft

Die Holzversteigerung / Fritz t a n n e r

Um neun Uhr hatte die Gemeindeglocke vom
Kirchturm aus das große Ereignis eingeläutet,
und von weither waren die Käufer zusammengeströmt
in das ausgedehnte Waldgebiet des
„Einig". Vor allem aus den waldarmen Rheindörfern
waren recht viele erschienen. Es lag
Schnee, und es war sehr kalt. Die heißen Würste
fanden reißenden Absatz, und Drusen, Treber
und Kirschwasser waren begehrte Getränke,
denn von ihnen erhofften die meisten eine besondere
Wirkung. Sie sollten Magen und Eingeweide
erwärmen, das erstarrte Blut in Wallung bringen,
es hindurchpumpen durch die halberforenen
Glieder bis in die äußersten Zehenspitzen. Und
man sparte nicht. Denn die Füße sind nun einmal
sehr weit weg vom Magen, und es bedarf vieler
Schnäpse, bis die wärmende Wirkung so weit vorgedrungen
ist. So kam es, daß am Nachmittag
manche „schwankende" Gestalt dem Dorfe zusteuerte
. In der warmen Stube des „Ochsen"
wurde die im Wald begonnene Arbeit fortgesetzt
und vollendet. Es gelang endlich, den Körper in
den beseligenden Zustand wohliger Wärme zu
versetzen. Hatte der Ofen, oder hatten andere
Dinge dieses „Wunder" zuwegegebracht? Das war
unwichtig. Danach wurde nicht gefragt. Aber so
viel war zu sehen, die Erwärmung von „innen"
lag den Holzkäufern immer noch sehr am Herzen,
und sie betrieben sie eifrig.

Daneben schimpften einige über die viel zu
hohen Holzpreise, das viele Prügelholz mit den
dünnen Rollen und die schlechten Waldwege.

„Es braucht nur zu tauen", rief einer aus, „und
die mageren Kühlein eines kleinen Bäuerleins
bleiben in diesen schlammigen Wegen stecken".

Andere prahlten mit dem schönen und preiswerten
Scheiterholz, das sie noch immer bekommen
hätten, diesmal aber sei ihnen ein ganz
besonders preiswerter Kauf geglückt. Einen Kauf
hätten sie gemacht, der nicht besser sein könnte.
Doch jedermann wußte, daß dieselben Männer im
nächsten Jahr noch besser kaufen würden.

Es nahte der Abend, und die Bauern erhoben
sich, um zu gehen. Keiner blieb sitzen. Sie traten
hinaus auf die Straße. Langsam setzten sich die
einzelnen Gruppen in Bewegung. Es eilte ihnen
nicht. Sie hatten Zeit, viel Zeit hatten sie. Doch
mit einemmal wurde ersichtlich, daß die mit hartgefrorenem
Schnee bedeckte Erde eine eigenartige
Wirkung auszuüben begann. Die lieblose
Berührung der schweren, eisenbenagelten Stiefel
der Bauern schien ihr nicht mehr zu genügen.

Sie wollte mehr. Sie war eine Liebende geworden
. Und so riß sie denn, jäh und mit seltener
Liebeskraft, immer wieder die ganzen durchwärmten
Männerleiber an sich. Und sie drückte
sie fest an ihre mütterliche Brust. Es gelang
kaum einem, der so heftig Begehrten, sich ohne
fremde Hilfe aus ihren starken Armen zu befreien
. Es war ein köstliches Spiel zwischen erzwungener
Hingabe und Sichlosreißen. Doch dieses
Hinstürzen schwankender Männergestalten
muß wohl mit dem weiblichen Element der Erde
in Zusammenhang stehen, die hier in liebender
Umarmung das männliche „Du" an sich zog. Und
sie offenbarte wirklich viel Liebeskraft, diese
kalte Wintererde. Besonders das „Männle", eine
etwas kleine, aber breite, stämmige und erdhafte
Gestalt mit breitem Nacken und noch breiterem
Schädel zog sie mit Inbrunst an ihr weites Herz.
Und immer, wenn es mit jähem Anlauf ihr zu
enteilen versuchte, riß sie es mit unwiderstehlicher
Gewalt noch fester an sich. Sie war
egoistisch und grausam diese Erde. Aber sie war
eben eine Liebende, und Liebende wollen besitzen
.

Dem Männle zur Seite ging der Bärich, eine
große, hünenhafte Gestalt mit riesenhaften Kräften
. Über ihn konnte das Weibchen Erde keine
Gewalt gewinnen. Aufrechten Ganges schritt er
daher. Doch das Männle bereitete ihm Sorgen.
Immer strebte es weg von dem großen Kameraden
, und stets auf's Neue wurde es dann von der
Erde überwältigt. War auch im Männle die Liebe
wach geworden, daß es beständig los wollte von
dem Riesen, und hin zu der Erde?

Doch sie hatte einen harten Busen, die weiße
Geliebte. Laut dröhnte der Schädel des Männle,
wenn er auf den gefrorenen Schnee aufschlug.
Und doch war alles vergebens, keinen Zentimeter
vermochte er hineinzudringen in die kalte abweisende
Decke. So oft auch der kleine Mann den
stürmischen Angriff wiederholte, er kam seiner
großen Geliebten nicht näher. Dem Bärich gefiel
dieses tolle Spiel nicht. Grimmig packte er das
Männle mit seinen starken Armen und schleppte
es neben sich her. Doch es ist schwer, Liebende
zu trennen; jeder Versuch, das unsichtbare Band
zu zerschneiden, kettet sie inniger aneinander,
und es gelang dem Männle immer wieder, sich
von dem Bärich loszureißen, um sich der kalten
Geliebten an die Brust zu werfen. Schließlich
wurde es dem Bärich zu dumm. Er faßte das
Männle mit seinen großen Händen, stellte es auf
die Füße, schaute es mit seinen hellen, wilden
Augen an, die wie Blitze unter den buschigen
Augenbrauen hervorschossen, und sagte: „Männle,
jetz nimm dich in acht, wenn ich mi Chraft bruch,
derno bisch hi (tot)". Aber das Männle nahm sich
nicht in acht, es riß sich wieder und wieder los
von dem starken Mann, und es stürzte sich mit
stets wachsender Wucht auf die weiß gekleidete,
mächtige Geliebte. Und dort blieb es liegen. Ja,
die große Geliebte verstand es, den kleinen Geliebten
zu halten. Und der riesenhafte Bärich
fand reichlich Gelegenheit, seine Kraft zu brauchen
. Doch in dem angedrohten Sinne hat er sie
nie gebraucht, denn er war ein guter Mensch. Es
befanden sich aber außer den beiden noch andere
Männer von der Holzversteigerung auf dem
Heimweg. Auch sie waren ein wrenig liebeskrank,
und sie vermochten nicht immer der heimtückischen
Werbung einer mächtigen Geliebten zu


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-02/0004