http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-02/0006
4
Die Markgrafschaft
Schreiber erklärt, wie anhaltendes Sprechen ihm
große Schmerzen verursache, wegen derer er sich
„weit aussehender ärztlicher Behandlung" zu
unterwerfen habe; ,,das Informieren schade ihm
jedoch nicht, wenn er sich vor Schreien und Zorn
hüte". Hebel fährt sodann fort:
„Gesetzt, ich wollte auch eine weniger beschwerliche
Pfarrei in der ungewissen Hoffnung
annehmen, daß mich das Predigen, wenn ich nicht
dabei informiere, weniger angreifen werde, so
verbietet mir doch mein Gewissen und meine
Ruhe, so lange ich nicht gesichert vor einem frühen
Tode oder einem elenden Leben bin, zu heiraten
und — was ist ein lediger Pfarrer in einem
abgelegenen Dorfe, der in der Haus- und Landwirtschaft
unerfahren ist!"
Weshalb zeigte Hebel damals so geringe Neigung
, den Schuldienst zu verlassen und ihn mit
einer Pfarrei zu vertauschen? Das nächste Gesuch,
das der Präzeptoratsvikar nach Karlsruhe sendet,
läßt deutlich wissen, wonach die Hoffnungen zielten
: auf das Prorektorat des Lörracher Pädago-
diums. Ein naher Wechsel stand überdies in Aussicht
, denn Tobias Güntert hatte seinen jüngeren
Freund gewiß bereits darüber unterrichtet, daß
er sich demnächst, anstelle der Schulpflichten, der
Seelsorge zu widmen gedenke. Das Bewerbungsschreiben
hat folgenden Wortlaut:
Durchlauchtigster Markgraf,
Gnädigster Herr und Fürst!
Bald sind es sieben Jahre, daß ich als Präcep-
toratsvikarius an dem Pädagogium zu Lörrach
in Euer Hochfürstlicher Durchlaucht Diensten
stehe und dem Unterricht der Jugend meine
Zeit und Kräfte widme. Ich wage daher die
untertänigste Bitte, im Fall daß mit dem Prorektorat
an diesem Pädagogium eine Veränderung
vorgehen sollte, daß Euer Hochfürstliche
Durchlaucht die Stelle eines Prorektors mir in
Gnaden zuzuwenden geruhen mögen, der ich zu
höchsten Hulden mich untertänigst empfehle
und in tiefster Ehrfurcht verharre
Euer Hochfürstlichen Durchlaucht
untertänigster
J. P. Hebel.
Lörrach, den 6. Dezember 1789.
Der Wechsel, mit dem Hebel gerechnet hatte,
trat im Jahre 1790 ein. Tobias Güntert wurde als
Nachfolger August Wilhelm Sieverts, der Pfarrei
Lind Dekanat Auggen erhielt, nach Weil berufen.
Nunmehr schien die Bahn zum Prorektorat frei.
Jedoch des Dichters Hoffnungen sollten sich nicht
erfüllen. Wohl besaß dieser nach mehr als siebenjähriger
pflichteifriger Tätigkeit am Pädagogium
berechtigten Anspruch aufzusteigen, zumal auch
vor ihm Güntert die Stufe vom Präzeptoratsvikar
zum Prorektor genommen hatte und somit dieser
A'organg in der Geschichte der Lehranstalt keineswegs
ohne Beispiel, eher Tradition war. Hebel
wird sich sofort nach Günterts Berufung, die am
17. Juni 1790 bekannt wurde, geschmeichelt haben
, sein im Dezember des Vorjahres unterbreitetes
Bittgesuch werde nicht ohne Wirkung bleiben
. Offenbar hat er auch im Vertrauen darauf
die Absendung einer weiteren Eingabe unterlassen
. Er muß demnach seiner Sache ziemlich sicher
gewesen sein. Man kann sich demzufolge die peinliche
Überraschung und Bestürzung ausmalen, als
nicht Hebel, vielmehr Ferdinand Zandt, auf den
Platz des Prorektors gesetzt wurde. Denn bereits
in der zweiten Hälfte des Juli erschien letzterer,
dem freilich der Ruf eines außerordentlich befähigten
Schulmannes vorausging, in Lörrach.
Vielleicht wären die Dinge zu Hebels Gunsten
gelaufen, wenn nicht des Dichters väterlicher
Gönner, der Auggener Dekan und Diözesanvorge-
setzter, J. B. Welper, am 13. Februar 1790, als er
im Begriffe stand, den neuen Stadtpfarrer Chr. A.
Wagner in sein geistliches Amt einzuführen, in
Lörrach plötzlich gestorben wäre. Jedenfalls stellen
diese für Hebel sehr unerfreulichen Ereignisse
den „unbeklatschten Akt von anno 90" dar, dessen
sich der Karlsruher Professor zehn Jahre später
mit den Gefühlen einer noch nicht völlig
überwundenen Bitterkeit erinnert. Im übrigen
hat den eingangs erwähnten H. W. Bommer das
gleiche Schicksal getroffen. Auch seine Wünsche
wurden zu Wasser, als trotz anfänglich günstiger
Aussichten, ein anderer die begehrte Stelle in
Empfang nehmen sollte.
Niemand wird es dem Enttäuschten verdenken,
wenn er zunächst nicht gerade frohen Herzens
den neuen Prorektor begrüßte. Allein ein Charakter
vom Schlage Hebels hat niemals persönlichen
Verstimmungen den Vorrang vor den sachlichen
Pflichten eingeräumt. Das beweist der Dichter
auch in diesem Falle. Daß es Zandt um die
Hebung der Schule, deren Besuch sich in den
letzten Jahren andauernd verringert hatte, ernstlich
zu tun war, hat sein Mitarbeiter rasch und
scharfsichtig erkannt. So kommt er seinen amtlichen
Aufgaben ohne eine Spur von Ressentiment
und mit unvermindertem Eifer nach, ja, er
wirkt an der Reform des Pädagogiums durch
kluge Umgestaltungsvorschläge im Lehrplan der
zweiten Klasse, der er ordinierte, tatkräftig mit.
Auch in einen unbefangenen persönlichen Verkehr
mit dem neuen Vorgesetzten und seiner
Familie scheint Hebel bald eingetreten zu sein.
Gesteht er doch in einem Briefe an Gustave Fecht
vom Dezember 1792: „Ich brauche keinen roten
Faden. Ich hab noch genug, halbe Stränglein und
ganze und Knäulein, die ich Ihrer Frau Mama
und Ihnen und der Frau Prorektor Zandtin weggeputzt
habe zum Flicken".
Im übrigen sollte Zandts Verhalten noch ein
zweites Mal für Hebel von schicksalentscheidender
Bedeutung werden. Aus Karl Herbsters Forschungen
wissen wir, daß sich Zandt Anfang 1791
privatim wegen Besetzung der beiden Collabo-
rantenstellungen am Gymnasium illustre in
Karlsruhe an das Konsistorium gewandt hat.
Diese Anfrage wurde dahin beantwortet, daß er
für die zweite Stelle in Aussicht genommen sei
und man in Bälde seine Entscheidung erwarte.
Nach Ablehnung des Antrags erging der Ruf an
Hebel. Vielleicht wurde dieser sogar durch Zandt,
dem der Fehlschlag der Hebeischen Hoffnungen
im Jahre 1790 gewiß nicht unbekannt geblieben
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-02/0006