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Die Markgrafschaft
Suri Chuttle
Vor geraumer Zeit — man möchte sie nach
hergebrachter Weise die „gute alte" nennen, wenn
man bedenkt, daß dazumal die Menschen noch
nicht die „Segnungen" der Atomenergie erfahren
hatten, während noch die Genügsamkeit sich in
Form von kräftig duftendem Münstertäler Handkäs
kundtat — vor solch' geraumer Zeit also fuhr
in der beginnenden Dämmerung eines Wintermorgens
ein Münstertäler Bauer im Zuckeltrab
die Früchte seines und des Fleißes der Nachbarn
talab gen Müllheim, allwo er eintraf, als eben
die Turmuhren die neunte Stunde schlugen. Auf
dem Marktplatz war es schon recht lebendig, und
kaum hatte er sein Wägele in einem freien Winkel
zur Schau gestellt, so kamen die Hausfrauen,
berochen mit Kennermiene seine Ware, und da
sie ihnen frisch und gut dünkte, klimperte bald
manches Nickelstück in seinem Hosensack, während
der Duft des ,,Münstertäler'1 über den
Marktplatz zog.
Als endlich das letzte Käslein seinen Weg
künftiger Sättigung gegangen war, läutete die
Mittagsglocke. Unser Bauer, durchfroren und
hungrig, bedachte, daß er sich wohl noch ein
Stündlein der Labung gönnen und trotzdem vor
Einbruch des frühen Abends daheim sein könne.
Er band sein Rößlein an einen Mauerring, hängte
ihm den Futtersack unter's Maul und suchte ein
Gasthaus auf. Dort trug er der Kellnerin auf, ihm
eins seiner Lieblingsgerichte zu bringen, nämlich
saure Kutteln. Das Mädchen setzte, vom Gast
unbemerkt, ein etwas bedenkliches Gesicht auf,
ging zum Wirt und flüsterte ihm zu: „Do isch e
Bur, sinere Sproch no e Münschtertäler; seile
möcht suri Chuttle, aber unseri Chuttle het doch
scho e Gschmäckli".
Der Wirt, ein wohlbeleibter Mann, dem Mutterwitz
und Verschmitztheit aus den fettgepolsterten
Äuglein blinkten, meinte nach kurzer Überlegung
: „Hä — wege dem Gschmäckli! Weisch, ich
röscht ordli Ziebele a, e gueti Handvoll. Un wenn
des bringsch, chummi un schwätz ewengf mit'm,
do merkt'r nit, seil glaub i gwiß".
So geschah's. Das Maidli trug dem Bauer die
mit Zwiebeln überdämpften Kutteln auf. Der
Wirt schlurfte hinterdrein, servierte dem Gast
als Gratiszugabe zum Gericht sein wohlwollendstes
Lächeln und sagte freundlich: „Ich wünsch e
Guete! Ihr sin eurer Sproch no e Münschtertäler?"
„He jo", versetzte jener, „un ihr eure Chuttle
no e Sauchaib!" Danach, indem er das süße
Lächeln des Wirtes mit einem boshaften Lachen
quittierte, schritt er dem Ausgang zu.
Dem Wirt, was ihm selten genug geschah, verschlug
die grobe Antwort die Sprache, so gewaltig
hatte er an dem Münstertäler Bauernbrocken zu
schlucken. Dann aber riß ihn das höhnische Gelächter
der übrigen Mittagsgäste aus seiner Erstarrung
und, die Äuglein nun fast völlig vergraben
im von Scham und Gram hochrot ge-
i schwollenen Wulst der Backen, verschwand er in
den dunkelsten Winkel hinter seinen Schenktisch.
Fr. Sch.
Wenn man jemand lieb hat, ist man so groß . .
Rolf war, alles zusammengerechnet, zweieinhalb
Jahre alt, als er auf meinen Schultern den letzten
Rest des Berges zur bewaldeten Höhe hinaufschritt
. Die Bäume, Gräser und Sträucher
tranken den allüberall blinkenden Morgentau
und die ganze Welt stand, von neuer Kraft erfüllt
, in morgenfrischer Schöne da.
Eine Lerche sang. Der Wald begann zu lauschen
. Allüberall ein Klingen und ein Singen.
Die Glieder strafften sich. — Die Welt — wie
weit! — Der Himmel — wie hoch! Und aller
Blumen Köpfe reckten sich zur Sonne!
Wir ruhten auf grünem, blumenbesticktem
Bergeshang und sahen die schlohweißen Wolken,
helleuchtenden Schwänen gleich, zur Ferne ziehen
— Sonne in und Sonne über uns. — Da
rückte mein Junge näher an mich heran und
drückte meinen Kopf an sein frühlingsfrohes
Herz — und — dann kam die Offenbarung aus
Kindermund! Das übervolle Kinderherz mußte
sich äußern und während die Ärmchen meinen
Hals umpreßten, hörte ich sagen:
„Vater, wenn ma einen lieb hat, ist man so
groß!" Und indem er „soo groß" sagte, spannte
er seine Arme weit, weit aus.
Ich war erschrocken und beglückt zugleich.
„Wenn man einen lieb hat, ist man so groß!".
Es ist etwas ungemein Kindliches in der ganzen
Satzstellung, und doch: Ich wäre froh, wenn ich
diesen Satz in seiner vielsagenden Kürze gefunden
hätte.
„Wenn man keinen lieb hat, ist man so klein".
Wirkt nicht auch der Gegensatz merkwürdig
eindringlich? Und! Liegt nicht im Satz und
Gegensatz Himmel und Hölle, Reichtum und
Armut, Glück und Leid?
Aber noch eine andere frohe Botschaft trug
ich heim: Die höchste Weisheit und die tiefste
Inbrunst bedürfen keines ordinierten Priesters.
Gott offenbart sich selbst im Herzen der Unmündigen
und spricht aus ihrem Munde zu
gegebener Zeit. So hat er auch zu mir gesprochen
— und — Hand aufs Herz — das war die
schönste Predigt, die ich im Leben gehört habe.
Fahrenkrog.
Termine des Hebelbundes
Donnerstag, den 10. Mai 1951: Hebelmähli in Hausen
Donnerstag, 17. Mai 1951: „Schatzkästlein" in Lörrach
Sonntag, den 20. Mai 1951: Hebeltag in Lörrach
Mittwoch, den 1. August 1951: Dorf abend in Otlingen
Samstag, den 22. Sept. 1951: 125. Todestag Joh. P. Hebels
Sonntag, den 4. Nov. 1951: Hebelschoppen in Müllheim.
Herausgeber: Hebelbund Lörrach und Müllheim (Baden)
Verantwortlich: Redaktionskommission des Hebelbundes
Telefon : Lörrach 2900 - Müllheim 436
Manuskriptzusendungen an: Hebelbund Lörrach und Hebelbund Müllheim
Redaktionsschluß jeweils am 1. jeden Monats
Anzeigen-Annahme : F. Wolfsberger, Müllheim, Werderstraße 25
Druck : Markgräfler Druckerei, Müllheim (Baden)
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