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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-04/0006
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Die Markgrafschaft

werks sehen. Der Meister hat hier die frische
Melodik seiner Frühzeit keineswegs verloren,
sondern weitergebildet zu einem sehr eigenwilligen
, höchst persönlichen Stil. Hinzu kommt nun
noch die souveräne Beherrschung des großen
Formats, ein gesteigertes Pathos im Orchester, im
Chor und auf der Bühne, das aber nicht etwa zur
Verdünnung der rein musikalischen Substanz
führt, sondern vielmehr Hand in Hand mit
differenziertem Einfallsreichtum und großer
architektonischer Planung geht. Daß ein mathematisch
-formales Gerüst den Großwerken eine
Festigung gebe, ,,die alles Zerfließen in Nur-
Stimmungsmäßiges aufhält" und daß jetzt alles
Subjektive bei ihm im Absoluten der Musik
münde, wurde schon damals in einer Würdigung
seiner Kunst besonders betont. Das Meiden ausgetretener
Pfade in der Lyrik führt Weismann
von Eichendorff und C. F. Meyer weiter zur Vertonung
der entlegendsten poetischen Bereiche:
Gesänge nach Rabindranath Tagore, Chinesische
Lieder, Texte von Walter Cale, ja von Joachim
Ringelnatz entströmen seiner Feder. Seine sinfonischen
Werke, Instrumentalkonzerte und anderen
Stücke der großen Form aus jenen Jahren
verbreiten sich rasch in den Konzertsälen und
machen seinen Namen bekannt. Eine besondere
Würdigung sei hier dem Opernmeister gewidmet,
der, sehr zu Unrecht, weniger häufig genannt
wird und doch auch heute noch den Bühnen Bedeutendes
zu geben hätte. Daß Weismann mit
Vorliebe Dramen August Strindbergs vertont,
mag zunächst merkwürdig erscheinen, denn was
kann dieser problemzerwühlte schwedische literarische
Revolutionär dem Musiker bieten? Doch
beweist eben die Art, wie der gesunde, romantisch
-musikantische Geist Weismanns solch abgründige
Stoffe anpackt, seine schöpferische
Potenz: er hebt selbst die quälendsten Szenen
des Alltags auf der Bühne in eine höhere Sphäre,
in jene romantische Ebene, in der allein die Oper
zu Hause ist, deren Bereich, wie unlängst Gustaf
Gründgens darlegte, völlig irreal und dem kultischen
Urgrund des Theaters am nächsten ist. So
ersteht 1923 ,, Schwanen weiß" in reinster, zarter
Märchenwelt, und die Gestalt der kindhaft reinen
Prinzessin, der bösen Stiefmutter und des ritterlichen
Prinzen (der entfernt ein wenig an die
Lohengringestalt gemahnt) erblühen erst durch
die Musik zu farbigem Leben. Diesem dramatischen
Erstlingswerk folgt 1924 das visionäre
„Traumspiel", ebenfalls von Strindberg, bis nach
den kleineren Opern „Leonce und Lena" (1925,
Text von Büchner) und „Regina del Lago" (1928,
nach Walter Cale) die „Gespenstersonate" wohl
eines seiner bedeutendsten Werke darstellt. Die
Art, wie hier Strindbergs „dämonisch-verbissene
Demaskierung bürgerlicher Scheinmoral" musikalisch
überhöht wird, hat bei Kennern sogleich
Bewunderung erregt, und kein geringerer als
Alexander Berrsche rühmt bei der Münchener
Aufführung des Werkes die Genialität, mit der es
die diabolische Tiefenpsychologie Strindbergs für
den musikalischen Ausdrucksbereich des Romantisch
-Unheimlichen erobere, ohne ihre radikale
Schärfe und Erbarmungslosigkeit im geringsten
abzuschwächen.

Äußerlich war diese „Pfiffige Magd" wohl
Weismanns weitreichendster Erfolg; mancherlei
Ehrungen, wie der Beethovenpreis der Preußischen
Kunstakademie oder der Leipziger Bach-
Preis hatten ihn schon zuvor erfreut, und seit
1938 stand er als leitender Professor der Freiburger
damaligen Musikschule vor. Aber mit
Beginn des zweiten Weltkrieges wurde es still
um ihn, seine Heimatstadt schien ihn am raschesten
zu vergessen und zeigte sich auch sonst nicht
gerade dankbar gegen ihn. Er zog sich an seinen
geliebten Bodensee zurück, und in der Idylle von
Nußdorf bei Überlingen entstehen als dritte
Schaffensperiode jene ganz vergeistigten Werke,
in denen er zum strengsten polyphonen Stile gelangt
. Das klangdunkle Klavierkonzert „aus dem
trüben Winter 1942", wie er selbst erzählt, gehört
dazu, ferner Sonatinen, Interventionen für Violine
und Klavier und vor allem der „Fugenbaum"
Op. 150, jener vielgliedrige Klavierzyklus, der
sich bewußt an Bachs Wohltemperiertes Klavier
anlehnt. Sein letztes Streichquartett, ebenfalls
aus dieser Zeit, wurde vom Schwaller-Quartett,
dem es gewidmet ist, uraufgeführt. All diese
Werke verraten einen reifen Altersstil, der wie
bei vielen Meistern kein Nachlassen der Erfindungen
bedeutet, wohl aber ein Einsparen der
Mittel und eine' Annäherung an konstruktive
Tendenzen, die unserer heutigen Musik samt und
sonders eigen sind. Doch bedeutet dieser Zug, der
sich schon in frühen Werken Weismanns zeigte,
kein Nachgeben an Zeitströmungen, vielmehr
distanzierte sich der eigenwillige Einzelgänger
deutlich von den „neutönerischen" Klängen der
Gegenwart. Ein letzter Brief, den der Meister
kurz vor seinem Tode in seltsamen, bereits von
Krankheit entstellten Lettern an seinen Landsmann
Franz Philipp richtete, dokumentierte noch
einmal den geistigen Zusammenhang dieser alemannischen
Konservativen.

Nicht vergessen sei noch eine besondere Würdigung
des Menschen Weismann, der von dem
Künstler nicht zu trennen ist. Den Freiburgern
war die rüstige Gestalt, die oft schon in aller
Frühe auf den Bergen auftauchte und zahlreiche
Alpengipfel erstiegen hat, wohl vertraut. Ein Bild
von ihm zeigt ihn auf der Spitze des Piz Margna
nach seiner 35. Besteigung, und das Porträt, das
lange die später zerstörte Wandelhalle des Freiburger
Theaters zierte, stellte ihn als naturhaften
Wandersmann dar. Schlicht und gerade war seine
Art, dem effektvollen Blenden und lauten Erfolgsstreben
abgeneigt, dafür bis ins Alter zutiefst mit
der Natur verbunden. „Aus meinem Garten",
„Aus den Bergen", „Sommerland" — diese Überschriften
seiner frühen Klavierwerke verraten
seine Welt, und sie bleibt es musikalisch auch
dort, .wo die Überschriften wegfallen, und überraschenderweise
grüßt aus den abstrakten Linien
seiner letzten Inventionen für Violine und Klavier
noch einmal ein „Vogelkonzert" in den Garten
seiner Jugend hinüber. Und so glauben wir,
daß das Werk Julius Weismanns genau so lebendig
und unvergänglich bleibt wie die Berge und
Wälder des Schwarzwalds, wie die Naturkräfte
seiner alemannischen Heimat, mit denen der
Meister stets verbunden war. Dr. Franz Hirtler.


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