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Die Markgrafschaft
Dreißigjährigen Krieg gelitten. Politische und
geistige Strömungen der Nachbargebiete ergossen
sich in das Land am Oberrhein. Von stärkstem
Einfluß war Basel, die Geburtsstadt Hebels. Bis
zum heutigen Tag gehen die geistigen, kulturellen
und wirtschaftlichen Beziehungen über die
Grenze, und auch das Blut kreist hinüber und
herüber.
In diesem Land ist der Markgräfler Weinbauer
zu Hause. Trotz der großen Bedeutung, die auch
anderen Kulturarten zukommt, sind dem Bauer
doch die Reben das Wichtigste. Mit bewundernswerter
Zähigkeit und trotz mancher Mißjahre,
vieler Fehlschläge und Enttäuschungen geht er
jeden Frühling hoffnungsfreudig an ihre Pflege.
Mit Ungeduld wartet er, bis „das Wetter aufgeht
", der Reif am Morgen nicht mehr über dem
Land liegt. Denn dann kann das Rebenschneiden
beginnen, eine der ersten Arbeiten im neuen
Jahr. In einigen Dörfern hört man lange vor den
anderen schon die Schere in den Reben knacken.
Vielfach besorgt der alte Weinbauer diese Arbeit,
mancherorts ziehen auch die Frauen mit der Rebschere
hinaus in die Reben. Dabei achtet noch
mancher Bauer nach alter Sitte peinlichst darauf,
daß die Reben nur im zunehmenden oder vollen
Mond geschnitten werden. Der Mond spielt neben
den Tierzeichen auch sonst bei mancherlei Verrichtungen
eine Rolle. So wird ein Schwein selten
bei abnehmendem Mond geschlachtet, weil sonst
der Speck auslaufe; die Bäuerin legt die Bohnen
nicht im Fisch, weil sie sonst schwimmen; Gelbrüben
werden nicht in der Jungfrau gesät,
Endivie wird im Krebs gesät usw. Heutzutage
wird allerdings nicht mehr in jedem Bauernhaus
nach diesen Regeln gegangen, vor allem die junge
Generation will nicht viel von diesen Geheimnissen
wissen.
Wenn das Markgräflerland im Blütenschmuck
daliegt, fängt es auch in den Reben zu rumoren
an. Fast an jeder Rute hängen jetzt kristallklare,
funkelnde Tropfen: Saft des neuen Triebes. Der
Volksmund sagt: Die Reben bluten. Mit tiefem
Sinn erlebt der Weinbauer diese ersten Anzeichen
des neuen Lebens im Weinstock. Er schaut überhaupt
mit offenem Blick in seine Welt. Er freut
sich am Wiedererwachen der Natur, am Blütenschmuck
der Obstbäume, er hängt mit der ganzen
Seele an seinem schönen Heimatland.
Für die Fortschritte im bäuerlichen Betrieb
und besonders im Weinbau zeigt sich der Markgräfler
aufgeschlossen, wenn er auch erst kritisch
das Neue betrachtet und nicht sogleich zugreift.
Am besten wirken Beispiele. Wenn gewiß, wie
auch in anderen Weinbaugebieten, vieles noch zu
tun sein wird, so stellt doch heute der Markgräfler
Winzer einen Wein auf den Tisch, der sich
überall sehen und erst recht trinken lassen kann.
Wie wichtig dem Markgräfler Bauer sein Weinbau
ist, zeigt sich auch darin, daß sich Badens
ältester Weinmarkt in der Stadt Müllheim seit
dem Jahre 1872 bis auf den heutigen Tag erhalten
hat und am 18. April dieses Jahres zum
70. Mal stattfindet. Er ist bis auf den heutigen
Tag der Spezialmarkt für Markgräfler Weine
geblieben. Sein Termin fällt mitten in die Frühjahrsarbeit
des Markgräfler Winzers, aber an
diesem Tag macht er „Fiirtig". Da bindet der
Winzer das Stickeisen vom Bein, Haue und
Spaten ruhen. Der Mann überläßt den Weinberg
den „Wiibervölcher", die mit dem Anbinden
genug zu tun haben. Der „Maa" zieht den „Sunn-
tigtschobe" an, setzt den schwarzen Hut auf und
geht auf den Müllemer Wiimärt. Und die Tochter
tut desgleichen. Sie legt die stolze Markgräfler
Tracht an mit dem seidenen Fürtuch, dem über
der Brust gekreuzten Spitzentuch und der Hörnerkappe
mit den schwarzseidenen Fransen. Denn
die Markgräflerin hat an diesem Tag eine besondere
Mission zu erfüllen. Sie ist dazu berufen,
das köstlichste Gewächs des heimatlichen Bodens,
den „flüssige Sunneschii" all den vielen Besuchern
des Marktes zu kredenzen.
Seit seinem Bestehen hat der Müllheimer
Weinmarkt das Ländliche, Heimatliche, Heimelige
behalten. Darüber ist der Markgräfler froh. Und
auch der Gast freut sich, wenn er — nachdem
marir ihm am Eingang zur Festhalle einen Katalog
und ein Gläslein in die Hand gedrückt hat — die
langen, weißgedeckten Tische mit den Probeflaschen
, den ersten Frühlingsblumen und die
Markgräflerinnen und Vrenelis im „Gstaat" sieht,
Hörnerkappe an Hörnerkappe, Spitzentuch an
Spitzentuch, und ein Maidli gattiger als das
andere. Und dazu die köstlichen Weine, um die
es ja eigentlich bei der ganzen Sache geht.
Auch die Wochen- und Viehmärkte und ebenso
die Holzversteigerungen spielen bei dem Bauer
eine große Rolle. Gerne gönnt er sich da ein
gutes ,,Z' Nüni" (Vesper um neun Uhr), wie überhaupt
,,Z'Nüni" und ,,Z' Obe" ihm wichtiger sind
als Mittagessen und Abendessen, die im allgemeinen
recht bescheiden gehalten werden. Als
Zeichen zum ,,Z' Obe" wird sogar extra um vier
Uhr die „Vieriglocke" im Kirchturm geläutet. In
vielen Bauernhäusern gibt es abends regelmäßig
eine „Schweitzi", eine gebrannte Mehlsuppe,
„prägleti Herdäpfel" mit Kaffee oder Milch.
Werktags wird gewöhnlich nur Haustrunk getrunken
, der im Volksmund unter „Hemglunker",
„Primilaferis" und sonst noch allen möglichen
Namen segelt. Er wird aus Obst, Treber oder
Weinhefe (Hefewein) bereitet und hilft den Durst
stillen, ohne gefährlich zu werden. Nur nach
besonders schwerer Arbeit, bei besonderen Anlässen
und an Sonn- und Festtagen wird im
allgemeinen „Rebwy" oder ,,urige" aus dem
Keller heraufgeholt.
Es ist ja ein Wesenszug des Markgräflers, daß
er gern, in sich gekehrt, sich seinem Gefühl hingibt
, sich seine eigenen Gedanken macht über
seine Umwelt. Von vielen Worten ist er kein
Freund. Seine verschlossene Art macht es dem
Fremden recht schwer, in Fühlung mit ihm zu
kommen, doch ist er gegen jedermann von einer
geradezu sprichwörtlichen Gastfreundschaft. In
feierlich ernster Form erfolgt die Begrüßung im
Markgräfler Bauernhaus, das ein bescheidenes
Heim oder eine stattliche Hofanlage sein kann.
Mag man lange schon mit dem Bauer oder der
Bäuerin in den Reben, im Feld, auf der Straße
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