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DIE MARKGRAFSCHAFT
Nr. 8/3. Jahrgang
Monatszeitschrift des Hebelbundes
August 1951
Öfters begegnet uns Hebelleuten der leise oder
laut erhobene Vorwurf: „Ihr treibt's denn doch
zu weit mit euerm Hebelkult! Hebel und nur
immer wieder Hebel — das wird einem überdrüssig
und widert vor allem die Jugend schon
an!" Ja, wenn wir wirklich Hebelkult trieben,
dann müßten wir diese Anklage einstecken. Aber
eben darum geht es uns nicht; das wäre ausgedroschener
Weizen. Gewiß
es gibt unter manchen
Markgräflern so etwas wie
einen Hebelkult, den wir
Hebelei zu nennen pflegen,
den wir aber auch von allem
Anfang an abgelehnt haben.
Wo man mit einem Menschen
Kult treiben muß, da
ist schon von vorneherein
etwas faul; das dürften wir
doch ausgiebig gelernt haben
. Und solche Mätzchen
um Hebel verbitten wir uns
stets und aufs nachdrücklichste
. Nein, einen Kult hat
gerade Hebel gewiß nicht
nötig. Er hat sich wie selten
ein Dichter allein durchgesetzt
und genießt eine
Verehrung wie nicht gleich
wieder ein anderer in seinem
Volk. Denn Hebel hat
eine ganz andere, viel tiefere
Bedeutung gewonnen.
Schon damals, als der bescheidene
J. P. H. die erste
Ausgabe seiner alemannischen
Gedichte „den Freunden
ländlicher Natur und
Sitten" widmete, war das
Echo darauf weit über die
Grenzen des alemannischen
Sprachgebiets so stark und
hundertfach, daß der Dichter
aus der Verwunderung und der „närrischen
Freude" darüber nicht herauskam, daß seine
heimatliche Mundart und damit sein Oberländer
Land und Volk in aller Herren Länder bekannt
wurden. Und hatte diese Erstauflage gerade den
Mann nicht erreicht, dem sie in jenem bekannten
Widmungsgedicht vom Blumenkränzlein zugeeignet
war, nämlich den Bergwerkinspektor Herbster
in Hausen, so haben sich dafür Menschen aller
Gattung und aller Stände die Dichtung zu eigen
gemacht, die das „Wälderbüblein" mit Liebe
verbreiteten, Musiker, die die lieblichen Lieder
vertonten, Künstler, die Illustrationen zu den
Nacht, mit dyner linde Hand,
tue my Büebli gaume,
trag's e weng ins Wunderland,
loß es heerlig träume.
Mond, chumm bring dy Silberschiff,
loß my Chind drin fahre,
bis zuem erste Vogelpfiff
muesch mer's guet bewahre.
Fahr mer's bis an Morgestern,
fahr mer's bis in Himmel;
chlaini Büebli ryte gern
uf de Wolkeschimmel.
Rytet's bis ins Morgerot,
rytet's zruck ins Bettli:
Schloof my Chind, bis d'Sunne stoht
goldig üb'rem Städtli.
Aus: ,,Alles, Haimet, isch dy Lied".
Gedichten schufen. Denn alle diese seine Zeitgenossen
spürten es schon heraus, daß in solchen
Liedern mehr steckte, als die zaghafte Widmung
angab: ein paar Freunden die ländliche Natur
nahezubringen und ländliche Sitte lieb und wert
zu machen. Der Bogen seiner Dichtung war
von vorneherein viel weiter gespannt; Hebel
bezog, wie das Goethe treffend aussprach, das
gesamte Universum mit
hinein, und die Schilderung
seiner ländlichen Sitten
war nicht etwa der
Abklatsch eines dörflichen
Brauchtums, also nicht
eine hohle Moral, sondern
bei ihm war Sitte und
Sittlichkeit hineinverwoben
in ein ewig-gültiges, göttliches
Sittengesetz. Und als
Dichter solch edler Kultur
hat uns Hebel noch unendlich
viel zu sagen — wieder
zu sagen: die Natur
wieder schauen zu lernen
in ihrem liebevollen Zusammenhang
mit dem All
und dessen Schöpfer — und
nicht mehr nur als ein
Einzelgebiet wissenschaftlicher
Forschung oder als
losgelöster Rekordbereich
menschlicher Leistungen und
Erfindungen; und die Sitte
nicht mehr nur anzusehen
als ein — in unserer Gegenwart
dazu noch unterhöhl-
tes, brüchig gewordenes —
Brauchtum, das mit allen
Mitteln gestützt und aufrechterhalten
werden sollte,
sondern sie als die vorgeschriebene
Bahn zu erkennen
, in deren stetigem
Geleise nur die Ordnung des großen Alls und
des kleinen Menschenlebens sich bewegen kann.
Und von hier aus stehen uns von selbst die
Pforten offen in Dichtung und Kunst, in
Bildung und Erziehung, kurz, in eine wieder
lebensvoll gewordene Kultur. Hebel ist in der
Tat und im besten Sinne ein Hebel geworden
, mit dem man Altes aus den Angeln und
neue Türen öffnen kann. Oder sagen wir's in
einem modernen Bild: Hebel könnte uns Anfahrtsrampe
sein für viele Güter und Werte, die es
einzuladen gilt. Seien doch wir Alemannen dankbar
, daß wir solch einen Mann und Dichter haben,
Jda Preusdi-Müller.
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