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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-08/0016
Die Markgrafschaft

14

alles vergebens. Schon lagen in der Tiefe die
Häuser von Wehr.

Während auf dem Berghof die Menschen in
Kummer und Sorge in der Stube saßen, war in
Wehr der Jahrmarkt lärmend zu Ende gegangen.
Käufer und Verkäufer waren von Straßen und
Plätzen verschwunden, und nur noch ein paar
ganz Seßhafte torgelten heimwärts.

Der Biersieder hatte seine Wirtschaft zugemacht
und die Haustüre geschlossen. Die Wirtsstube
lag still ud dunkel, nur im kleinen Hinter-
stübchen, hinter dessen geschlossenen Läden die
Fenster noch dicht verhängt waren, saß eine sonderbare
Gesellschaft beisammen. Ein halbes
Dutzend verwegen aussehende Kerle scharte sich
um den Ofentisch, unter ihnen der Biersieder. Sie
streckten die Köpfe zusammen, flüsterten und
lachten lautlos miteinander.. Wie kam der lustige,
biedere Biersieder zu dieser Gesellschaft? Der
Ausdruck seines Gesichts war ein anderer als in
der Wirtsstube. Eine unheimliche Gier schaute
aus seinen Augen. Ein häßliches Grinsen glitt
über seine Züge. Mit raschem Griff riß er einen
vor ihm liegenden Geldgurt auf, und gierig wühlten
seine Hände in den Geldstücken. ,,Ehrlich
teile!", zischte der schwarze Brauknecht, der
unten am Tische saß, und langte mit seinem
langen Arm nach dem Gurt. Auch die andern
streckten ihre offenen Hände hin. ,,Ehrlich teile?"
lachte der Biersieder. ,,Unter Spitzbuebe wird's
scho recht werde. Wer het der Fang gmacht? Ich
ellei!" Alle sprangen auf: ,,Un ich? — Un ich? —
Un mir?" ,,Bscht!" mahnte der Biersieder. „Wenn
ech öbber hört! Un zuedem: Wer het der Weberhansjörg
vom Hotzewald um sy Geld liichter
gmacht? Wer het im Schmid-Christe derfür
gsorgt, aß er kai Sarg meh braucht? Hett me
Euch gfrogt? Was hen si by sich gha? Es het jede
sy Teil gno, woner kriegt het".

Er nahm zwei Hände voll Silberstücke und
warf sie auf den Tisch. „Do teilet, 's ander ghört
mi". Mit einer raschen Bewegung strich er den
Gurt mit dem übrigen Geld in seine Schürze.
Unter leisen Verwünschungen und Flüchen löste
sich die Tischrunde auf, und einer nach dem
andern schlich aus der Türe und tauchte lautlos
in der schwarzen Nacht unter.

Der Biersieder schloß sorgfältig die Türe ab
und ging in seine Schlafkammer. Hier rückte er
eine alte Truhe von der Wand und löste dahinter
einen Dielen, unter dem er eine eiserne Lade
hervorholte. Schwer war diese, heillos schwer.
Er schloß sie auf, und seine Hände wühlten in
dem glänzenden Inhalt. Sie war gefüllt mit lauter
Münzen. Leise vor sich hinlachend warf er aus
dem Geldgurt Stück um Stück dazu. Dann saß er
davor und stierte hinein. Was war das für ein
Reichtum! Doch wie erworben? Sein Gewissen
regte sich.

Kam aus jener Ecke nicht die aufrechte Gestalt
des Berghofers geschritten? Schaute nicht der
Todtmooser Lochmüller über das Kopfende des
Bettes? Stand nicht der Schmidt-Christoph dort
am Schrank? Griff nicht die Hand des Hotzen-
bauern nach der Lade? Trat nicht der Uerich Wilhelm
aus dem vorderen Tal auf den aufstehenden
Dielen? Ragte dort nicht eine geballte Faust aus
dem Dunkel? Die Furcht schüttelte ihn, und
hastig warf er den Deckel zu und schloß die Lade
ab. Zitternd brachte er sie in ihr Versteck, legte
den Dielen darüber und rückte die Truhe wieder
an ihren Platz.

Es graute ihm, sich schlafen zu legen. Und
doch, was sollte er tun? Der Tag war noch weit,
und der Sturm heulte schrecklich um das Haus.
Er wollte den Fensterladen öffnen, aber der
Wind schlug ihn wieder zu. Stöhnend sank er
mitsamt seinen Kleidern auf das Bett und drückte
den Kopf in die Kissen. Das Entsetzen schnürte
ihm die Kehle zu. Würgte ihn einer? Er warf sich
herum und riß das Hemd am Halse auf. Seine
Fäuste trommelten auf die Brust. Wollte es da
drinnen denn nicht ruhig werden?

Die Geister der Gemordeten wichen nicht.
Die Nacht war furchtbar, und als der Tag graute,
schleppte sich ein gebrochener Mann mühsam aus
der Kammer. Grau und zerfallen sah sein sonst
so blühendes Gesicht aus.

Die Wehrer wunderten sich über sein schlechtes
Aussehen. „I ha halt gestert ais über der Durst
trunke", sagte er. ,,Das chunnt by mir selte vor,
derwege het's mi au so mitgno". Man lachte, und
der schwarze Brauknecht pfiff durch die Zähne.

Der Tisch in der Ofenecke war schon früh
wieder besetzt mit Wehrer Handwerksleuten. Bei
einem saftigen Znüni besprachen sie den Erfolg
des gestrigen Marktes und waren gerade im
besten Zug, als die Türe aufging.

Bleich und aufgeregt trat der junge Berghofer
mit seinen beiden Begleitern über die Schwelle.
Die frühen Zecher wollten die Wälder schon
johlend begrüßen, als sie die verstörten Mienen
der Männer bemerkten. Sie hielten erschreckt
inne, und nur der dicke Bäcker fragte: ,,Was isch
mit euch? Was hänt er?" „Mer sueche der Berghofer
".

Die Männer sprangen auf, und ein erregtes
Fragen begann. Jeder wußte ja, was es bedeutete,
wenn nach dem Wehrer Markt einer nicht heimkehrte
.

Der Biersieder hatte sich bis jetzt im Hintergrund
gehalten. Der Schreck verschlug ihm den
Atem. Er verfärbte sich. Da traf ihn ein drohender
Blick des schwarzen Brauknechtes. Mit aller
Kraft riß er sich zusammen und trat zu seinen
Gästen. Beim ersten Wort hatte er sich wieder in
der Gewalt und konnte mit seinem gewohnten,
freundlichen Gesicht und teilnehmenden Worten
nach dem Näheren fragen. Er gab ruhig und
bereitwillig die gleiche Auskunft wie am Tage
zuvor. Keiner der Gäste hatte den Berghofer
gesehen, keiner wußte etwas über seinen Verbleib
. Liebenswürdig bot der Wirt den drei Männern
Essen und Trinken an, aber sie dankten.
Mit einem kurzen „Vergelt's Gott!" verließen sie
die Stube.

,, Vergelt's Gott!" Dieser Dank griff dem Biersieder
ans Herz. Heimlich ballte er die Fäuste
und biß sich auf die Lippen. Mußte ihn denn


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