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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1951-08/0017
Die Markgrafschaft

15

heute alles aus der Fassung bringen? „Vergelten
? " murmelte er vor sich hin und ging zur Tür
hinaus.

In der Wirtsstube war ein aufgeregtes Durcheinanderreden
und Raten, so daß ihn keiner vermißte
. Keiner ahnte, welche Seelenqualen dieser
Mann erlitt, der dort in seiner Kammer über der
alten Truhe lag, und dem dieses „Vergelt's Gott"
wie die Stimme des jüngsten Gerichts in die
Ohren gellte. Gab es denn überhaupt einen Gott?
Gab es eine Vergeltung? Oder war all seine Angst
und Qual umsonst? So manchen hatte er nun
schon auf dem Gewissen, und keiner hatte ihn in
solche Unruhe gebracht. Warum nun dieser Berg-
hofer?

Plötzlich fühlte er sich an der Schulter gefaßt
und fuhr mit einem Aufschrei in die Höhe. War
das schon der Teufel, der ihn holen wollte? Aber
nein, dieses häßliche Lachen kannte er doch. Das
brachte ihn wieder zu sich, und er erkannte den
Brauknecht. „Zeig du", fuhr dieser ihn an, „mach
kai Unsinn. Witt is denn verrote, du Esel?" Der
Biersieder wollte ihm an die Gurgel fahren, aber
mit einem Griff schüttelte ihn der Brauknecht
ab.

Äußerlich ruhig trat der Biersieder nach einer
Weile wieder unter seine Gäste. Diese hatten sich
beruhigt, und ihre Geschäfte bildeten wieder den
Gesprächsstoff. Der Wirt brachte sein schäumendes
Bier an die Tische wie sonst.

Unterdessen wanderten die Bauern durch die
Wehrer Gassen und fragten überall nach dem
verschwundenen Berghofer. Aber auch hier
konnte ihnen niemand Auskunft geben, und sie
traten den Heimweg wieder an. Hatten sie diesem
Gebüsch schon durchsucht? Schon in jenen Graben
geschaut? Da oder dort schon gerufen? So
kamen sie todmüde gegen Abend wieder am
Kreuzweg an, wo sie sich trennten. Auf den Dank
des jungen Bauern sagten beide: „Wenn Ihr eus
bruuchet, so saget's".

Langsam ging Adolf seinem väterlichen Hofe
zu. Wie mochten Mutter und Geschwister gebangt
und gehofft haben. Wie sollte er ohne den Vater
heimkommen? Ein Schluchzen stieg ihm in die
Kehle. Aber nein, er durfte sich nicht gehen
lassen.

Es war ja nun wohl keine Hoffnung mehr, den
Vater zu finden. Die arme Mutter! Wie hatte sie
ihn so lieb gehabt, und wie war sie mit ihm in
Freud und Leid, in Glück und Not eins gewesen.
Mußte nun gerade er ihr diese traurige Gewißheit
bringen? Unter einer Gruppe Buchen blieb er
stehen und schaute mit nassen Augen nach dem
Hofe. Die Novembersonne ging eben unter, und
ihr Widerschein lohte in der niedrigen Fensterreihe
des Berghofes flammend auf. Der ganze Hof
war in rötliches Licht getaucht.

Da sah er die Mutter aus der Türe treten und
nach ihm Ausschau halten. Er fühlte die Schwere
der Last, die er ihr nun auf Herz und Schultern
legen mußte. Da durfte er nicht auch noch die
seine dazulegen; nein, er mußte ihr tragen helfen,
so gut er nur konnte.

Mit festen Schritten trat er aus dem Schatten
der Bäume auf den Weg, und nun sah auch die
Mutter ihren Sohn daherkommen. Allein! Sein
Gang war stark und sicher, und er trug den Kopf
hoch erhoben. „Ganz wie der Vater", durchzuckte
es ihren Sinn. Fragend trat sie ihm entgegen. Er
legte den Arm um sie: „Müetterli, mer hen en
nit gfunde". Schluchzend schritt die Frau am Arm
ihres Sohnes ins Haus.

Bald ging das Leben auf dem Berghof wieder
seinen gewohnten Gang. Adolf war für den verschollenen
Vater in die Lücke getreten. Sie
schafften alle im Sinne des geliebten Vaters und
redeten oft von ihm, als ob er ihnen nahe sei und
prüfenden Auges ihre Arbeit überschaue.

(Schluß folgt.)

Betrachtung über ein Vogelnest / Johann Peter Hebel

Wenn der geneigte Leser ein Finkennest in
die Hand nimmt und betrachtet's, was denkt er
dazu? Getraut er sich auch so eins zu stricken,
und zwar mit dem Schnabel und mit den Füßen?
Der Hausfreund glaubt's schwerlich. Ja, er will
zugeben: der Mensch vermag viel. Ein geschickter
Künstler mit zwanzig feinen, künstlichen Instrumentlein
kann nach viel mißlungenen Versuchen
zuletzt etwas herausbringen, das einem Finkennest
gleichsieht, und alle, die es sehen, können
es von einem wirklichen Nest, das der Vogel
gebaut hat, nicht unterscheiden. Alsdann bildet
sich der Künstler etwas ein und meint, jetzt sei
er auch ein Fink. Guter Freund, dazu fehlt noch
viel. Und wenn ein wahrer Fink, wie du jetzt
auch einer zu sein glaubst, dazu käme, und könnte
dein Machwerk durchmustern, wie der Zunftherr
ein Meisterstück, so würde er den Kopf ein wenig
auf die linke Seite drücken und dich mit' dem
rechten Auge kurios ansehen, und so er menschlich
mit dir reden könnte, würde er sagen: ,,Lieber

Mann, das ist kein Finkennest! Ich mag's betrachten
, wie ich will, so ist's gar kein Vogelnest. So
einfältig und ungeschickt baut kein Vogel. Was
gilt's, du Pfuscher hast's selber gemacht?" Das
wird zu dem Künstler sagen der Fink.

Ebenso ist es mit einem verachteten Spinnengewebe
. Der Mensch kann kein Spinnengewebe
machen.

Ebenso ist es mit dem Gespinst, worein sich
ein Raupenwurm sozusagen zu einem Karmeliter
oder Franziskaner einkleidet, wenn seine Fasten
und Reinigung angeht. Ein Mensch kann kein
Raupengespinst machen.

Der Hausfreund will ein Wort mehr sagen.
Alle Finkennester in der Welt sehen einander
gleich, wie fast - die Kirchen der Jesuiten, vom
ersten im Paradies bis zum letzten im Frühling
1813. Keiner hat's vom andern gelernt. Jeder
kann's selber. Die Mutter legt ihre Kunst schon
in das Ei. Ebenso alle. Spinnengewebe, ein jedes


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